Hamburg. HSV-Kapitän Johan Djourou ist an der Elfenbeinküste geboren, in der Schweiz und in England aufgewachsen. Ein Gespräch über Integration.
Sein Outfit hätte HSV-Kapitän Johan Djourou, 28, nicht passender zum Gespräch wählen können: der Schweizer hat ein schwarz-weißes Shirt an, eine schwarze Hose und schwarz-weiße Schuhe. „Black and white!“, sagt Djourou, der eigentlich beim HSV das beste Beispiel dafür ist, dass eben nicht alles schwarz und weiß ist.
Hamburger Abendblatt: Herr Djourou, was bedeutet „Multikulti“ für Sie?
Johan Djourou: Gemeinsam, zusammen, gemischt. Es geht nicht um schwarz, weiß, braun oder gelb. Es geht um eine Vielfalt, die man aber wollen muss.
Zuletzt scheinen immer weniger „Multikulti“ zu wollen. Können Sie als gebürtiger Ivorer mit Schweizer Pass, der früh nach England gezogen ist, den Deutschen ein bisschen die Angst nehmen?
Djourou : Selbstverständlich brauchen die Leute keine Angst zu haben. „Multikulti“ ist ja keine Krankheit, ganz im Gegenteil. Ich habe gerne in der Schweiz gewohnt, auch in London und jetzt in Hamburg. Von allem habe ich das Beste für mich aufgesogen, habe also fast nur gute Erfahrungen gemacht. Aber natürlich habe ich auch leicht reden: Ich bin Fußballprofi, habe also ganz andere Voraussetzungen. Das ist mir natürlich auch bewusst. Eine Fußballmannschaft ist ein ganz eigener kleiner Kosmos, den man wahrscheinlich nur schlecht mit der wirklichen Welt vergleichen kann.
Im Kosmos Fußball sind Sie perfekt integriert. Wie könnte Integration in der wirklichen Welt funktionieren?
Djourou : Puh, schwere Frage. Auf der einen Seite sind da die Gastgeber gefragt. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich komme ja aus Genf. Wenn dort am Hauptbahnhof eine Gruppe von Schwarzen steht, dann ist das für viele eine Gruppe von Drogendealern. Dieses Vorurteilsdenken ist natürlich gefährlich. Auf der anderen Seite sind aber auch die Gäste gefragt. Jeder muss selbst sein Bestes geben, sich möglichst schnell zu integrieren. Der wichtigste Schlüssel hierfür ist die Sprache.
Sie sprechen Französisch, Englisch und Deutsch ...
Djourou : Als Schweizer hatte ich es vielleicht ein bisschen leichter, aber für mich war das auch ein harter Weg. Ich bin als 17-Jähriger zu Arsenal London gewechselt und hatte natürlich viel Kontakt mit Kolo Touré und Thierry Henry. Die haben mich auch mal in den Arm und unter ihre Fittiche genommen. Und natürlich haben wir immer Französisch gesprochen. Ich wollte aber unbedingt Englisch lernen. Also bin ich bewusst auch auf die englischen Jungprofis zugegangen, habe mich mit ihnen verabredet und mit ihnen gesprochen. Nur so lernt man die Sprache.
Haben Sie nach Ihrem Wechsel zu Hannover 96 einen Sprachkurs gemacht?
Djourou : Nein, ich hatte ein paar Vorkenntnisse aus der Schule. Ich habe ganz einfach versucht, so viel wie möglich in der Kabine mit Deutschen Kontakt zu haben. Und auch wenn ich als Fußballer da leichtes Reden habe, gilt das natürlich auch für Flüchtlinge. Man muss den Menschen helfen, weil sie unsere Hilfe brauchen. Aber natürlich müssen Sie sich auch selbst helfen, indem sie sich versuchen zu integrieren.
Woran denken Sie, wenn Sie jeden Tag an dem Flüchtlingslager an der Schnackenburgallee vorbeifahren?
Djourou : Natürlich macht mich das traurig, gerade jetzt, wo es immer kälter wird. Viele der Flüchtlinge haben ja nicht mal richtige Schuhe. Sie haben Badelatschen! Im November!! Ich kann die Leute ja verstehen, die sagen, dass Deutschland nicht unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen kann. Aber gleichzeitig muss man verstehen, dass diese Menschen dringend Hilfe brauchen.
In Deutschland fordern viele, dass man die Grenzen schließen müsste ...
Djourou : Das ist keine Lösung. Aber ich bin auch ehrlich: Ich habe auch keine Lösung. Europa kann nicht alle Menschen aufnehmen, die in Not sind.
Fühlen Sie sich mehr als Afrikaner oder eher als Europäer?
Djourou : Mein Herz ist zu 100 Prozent afrikanisch und zu 100 Prozent europäisch. Das ist mathematisch zwar falsch, aber für mich persönlich irgendwie doch richtig. Meine leibliche Mutter ist von der Elfenbeinküste, meine Adoptivmutter aus der Schweiz. Ich liebe beide.
Wie erklären Sie Ihren drei Töchtern die aktuelle Flüchtlingsdebatte?
Djourou : Das ist eine wirklich gute Frage. Julia ist erst fünf Monate, aber Lou ist schon sechs Jahre alt, Aliany ist vier. Und natürlich bekommen die beiden viel mehr mit, als man glaubt. Letztens hat mich Lou gefragt: „Papa, was ist ein Flüchtling?“ Da habe ich die ganze Familie ins Auto gepackt und bin zum Flüchtlingslager in der Schnackenburgallee gefahren. Wir wurden dann aber gebeten, dass wir mal einen Termin machen sollen. Das werde ich jetzt tun. Mir ist wichtig, dass meine Mädels verstehen, dass es uns richtig gut geht, dass es uns besser als vielen anderen geht. Sie sollen aber auch verstehen, dass nicht alles selbstverständlich ist im Leben und, dass es Menschen gibt, die unsere Hilfe brauchen.
Und? Verstehen Sie es?
Djourou : Ich denke schon. Wir sind ja eine sehr internationale Familie. Lou ist in der Schweiz geboren, Aliany in London und Julia in Hamburg. Wir versuchen, unsere Kinder tolerant zu erziehen. Ich war auch mit ihnen in Afrika, damit sie wissen, woher wir stammen.
Sie selbst haben Ihr Elternhaus mit 13 Jahren verlassen, um aufs Fußballinternat zu gehen. Was würden Sie sagen, wenn eine Ihrer Töchter mit 13 in die USA will, um Schauspielerin zu werden?
Djourou : Natürlich würde ich mein eigenes Kind genauso ungern ziehen lassen wie meine Eltern mich haben ziehen lassen. Gerade mein Vater wollte mich zunächst nicht nach England gehen lassen. Er fragte mich: „Was machst Du, wenn Du es nicht schaffst?“
Was haben Sie geantwortet?
Djourou: Ich habe ihm gesagt: „Papa, ich habe nur diese eine Chance, die muss ich nutzen.“ Er wusste, dass es mein großer Traum war. Und wahrscheinlich würde ich ähnlich reagieren, wenn meine Töchter einen ähnlichen Traum hätten. Träume sind wichtig.
Vor zwei Jahren haben wir Sie gefragt, was für Sie Heimat ist. Haben Sie mittlerweile eine Antwort darauf?
Djourou : Heimat ist, wo das Herz zu Hause ist.