Hamburg. Der HSV-Boss hat vor allem die weitere Reform des Nachwuchsbereichs im Sinn. Und er trifft interessante Aussagen zu Lasogga und Holtby.
Dass Dietmar Beiersdorfer nur selten die Ruhe verliert, ist nichts Neues. Doch das vergangene Jahr mit dem HSV ist auch am Vorstandsvorsitzenden des Vereins nicht spurlos vorbeigegangen. Für sein persönliches Umfeld, sagte der 51-Jährige vor dieser Saison, sei er in den nervenaufreibenden Wochen des Abstiegskampfes belastend gewesen. Vier Monate später ist im Hause Beiersdorfer wieder Ruhe eingekehrt. „Meine Frau hat wieder Hoffnung“, sagt Beiersdorfer und lacht. Er sitzt entspannt in einer Loge im zweiten Stock des Volksparkstadions und nimmt sich Zeit für ein Lagegespräch über den HSV.
Mit einer gehörigen Portion Demut war Beiersdorfer nach der dramatischen Rettung in der Relegation in die neue Saison gestartet. 24 Personalentscheidungen hat er gemeinsam mit Peter Knäbel, dem Direktor Profifußball, im Sommer getroffen. 15 Abgängen standen neun Verpflichtungen gegenüber. „Das war ein Maximum an Kaderumbau und zwingend notwendig“, sagt Beiersdorfer mit ein wenig Abstand.
Beiersdorfer spricht von Stabilität
Mit einer Aussage, wohin der Weg des HSV nach diesem Umbruch führen werde, wollte er sich bislang Zeit lassen. Genauer gesagt: sieben Spieltage. Nun sind die ersten acht Spieltage in der Fußball-Bundesliga absolviert. Zeit für Beiersdorfer, ein erstes Zwischenfazit zu ziehen. Seine wichtigste Erkenntnis: „Wir spielen wieder Fußball, und es ist ein Ansatz von Spielkultur zu erkennen“, sagt Beiersdorfer. Auch wenn die Niederlage in Berlin weh tue. „Wir haben einen guten Schritt gemacht, der mit Statik und Stabilität zu tun hat.“
Da ist es wieder, das Lieblingswort dieser Tage beim HSV: Stabilität. Trainer Bruno Labbadia benutzt es. Peter Knäbel benutzt es. Die Spieler benutzen es – und setzen es um. Schaut man auf den Saisonstart der Hamburger, ist tatsächlich so etwas wie Stabilität im Verein zu erkennen. Und doch zeigte die 0:3-Niederlage am Sonnabend bei Hertha BSC, wie fragil das neue Gebilde des HSV noch ist. „Alle Spieler haben noch Steigerungsmöglichkeiten, aber als Mannschaft funktioniert es schon ganz gut“, sagt Beiersdorfer.
Aufholarbeit im Nachwuchsbereich
Er hat nun wieder Zeit, sich um die Zukunft und die Ausrichtung des Vereins zu kümmern. Vor allem die über die Jahre aufgekommenen Defizite im Nachwuchsbereich treiben Beiersdorfer um. Mängel, um die er sich gleich zu Beginn seiner zweiten Amtszeit beim HSV im Juli des Vorjahres gekümmert hat. „Wir waren in nahezu allen sportlichen Bereichen nicht wettbewerbsfähig“, sagt Beiersdorfer. Über Jahre habe der Verein die Nachwuchsarbeit vernachlässigt.
Eine Nachlässigkeit, die den HSV in diesem Sommer eingeholt hat. Das Ziel, auf dem Transfermarkt vor allem auf junge und entwicklungsfähige Spieler zu setzen, wurde nur bedingt erreicht. „Wir haben feststellen müssen, dass wir noch nicht den hundertprozentigen Zugriff auf die überregionalen Talente haben, weil andere Clubs wie Wolfsburg oder Leipzig uns voraus sind. Den Status müssen wir uns erst wieder verdienen und erarbeiten“, sagt Beiersdorfer. Mit dem 21 Jahre alten Österreicher Michael Gregoritsch, der für 2,5 Millionen Euro aus der Zweiten Liga vom VfL Bochum kam, wurde letztlich nur ein Spieler verpflichtet, der dieses Anforderungsprofil erfüllt und gleichzeitig bereits zu Einsätzen kommt. „Mehr war im Sommer wirtschaftlich nicht möglich, auch aufgrund der Explosion der Preise in der Zweiten Liga“, sagt Beiersdorfer. „Daher ist es jetzt wichtig, dass wir uns eine vernünftige Ausgangslage erarbeiten, um im Winter schon die Planungen für das kommende Jahr voranzutreiben.“
Der HSV-Kader in der Saison 2015/16
„Wir sind robuster geworden“
Beiersdorfer, das wird deutlich, hat eine Vision mit dem HSV. Dass er sich vom ersten Tag an um die Zukunft des Vereins gekümmert hat, wurde ihm in der vergangenen Saison allerdings beinahe zum Verhängnis. Denn während sich Beiersdorfer gemeinsam mit dem Direktor Sport Bernhard Peters die Ausrichtung der Nachwuchsabteilung vorantrieb, ging es mit der Profimannschaft konstant bergab. Am Tiefpunkt musste Beiersdorfer schließlich die Reißleine ziehen. Die Realität hatte ihn eingeholt. Ein Fehler, den er nicht noch einmal machen will. Auch deswegen wurden mit Emir Spahic, 35, und Aaron Hunt, 29, zwei Spieler verpflichtet, die nun maßgeblich zur Stabilität der Profimannschaft beitragen. „Wir sind robuster und wettkampffähiger geworden“, sagt Beiersdorfer. Von seiner neuen Transferstrategie habe er sich dadurch nicht verabschiedet. „Natürlich ist es unser Ziel, weitere Spieler zu verpflichten, die ihren besten Karrierezeitpunkt noch vor sich haben. Aber die Mischung muss passen. Man darf sich dabei nicht getrieben fühlen, den Altersschnitt auf 20 Jahre zu senken.“
Aussagen über Lasogga und Holtby
Ein Plan, der in Hamburg ohnehin nur schwer umzusetzen sei. „Hamburg ist ein Standort, an dem in der Vergangenheit viel erreicht wurde. Da ist das Verlangen nach Erfolg groß und der Druck auf die Spieler hoch. Deswegen brauchen wir Spieler, die Führung zeigen können – im Training, im Spiel und im täglichen Leben.“ Dabei gelte es auch, die vorhandenen Spieler besser zu machen. „Spieler wie Pierre-Michel Lasogga oder Lewis Holtby haben ihren Zenit noch vor sich“, sagt Beiersdorfer über die zwei Spieler, die der HSV schon im vergangenen Jahr als feste Achse der Mannschaft vorgesehen hatte. Beide Spieler sind aber bis heute noch zu sehr mit ihren eigenen Leistungsschwankungen beschäftigt. Und so gehört die Suche nach Stabilität und Führung in der Mannschaft des HSV für Trainer Bruno Labbadia nach wie vor zur wichtigsten Aufgabe.
Eine Aufgabe, die angesichts des sportlichen Rückschritts des HSV in den vergangenen Jahren eine echte Herausforderung geworden ist. „Es wird immer schwieriger, einen Selbstregelmechanismus in die Mannschaft zu bringen, weil die Fluktuation von Spielern immer größer und die Identifikation mit einem Verein immer geringer werden“, sagt Beiersdorfer. Umso wichtiger sei es, über die Stabilität der Profis und die Entwicklung des Nachwuchsbereichs die Position des Vereins wieder zu stärken. „Wir versuchen mit allen zusammen einen erfolgreichen Club aufzustellen. Einen Club mit Haltung und Stolz und Aussagekraft. Unsere Kernkompetenz muss Fußball sein.“
Und dann sagt Beiersdorfer noch einen Satz, dessen Umsetzung in Hamburg in der Vergangenheit schon vielen Verantwortlichen schwergefallen ist. „Wir wollen eine maximale Gesagt-getan-Rate.“ Gesagt wurde beim HSV schließlich immer viel. Beiersdorfer will auch viel tun. Die Arbeit, so viel ist klar, wird für ihn nicht weniger. Sein persönliches Umfeld stellt er damit weiter auf die Belastungsprobe.