Hamburg. Ex-HSV-Profi Erik Meijer analysiert die Offensive seines Ex-Clubs. Nur 3,5 Torchancen pro Spiel sind nicht konkurrenzfähig.
Es sieht ja schon ganz gepflegt aus, wie der HSV im Herbst 2015 den Ball durchs Mittelfeld zirkulieren lässt. Mit Lewis Holtby, Aaron Hunt, Albin Ekdal und Marcelo Díaz hat der Club spielstarke Profis in seinen Reihen, doch in puncto Effektivität ist bei ihren Bemühungen noch deutlich Luft nach oben. Auch die Außen konnten nur ansatzweise überzeugen. Ganz klar: Offensiv hinkt das Spiel des HSV immer noch den Erwartungen hinterher. Lediglich 3,5 Torchancen konnte sich der Bundesliga-Dino in dieser Spielzeit pro Partie im Schnitt herausarbeiten, nur Darmstadt hat einen noch schwächeren Wert vorzuweisen. Das ist vom HSV nur minimal besser als in der vorigen Saison (3,35 Torchancen pro Spiel).
Auch wenn es bisher immerhin zu acht Toren reichte, zeigt der Trend nach unten: In den vergangenen vier Partien ist dem HSV nicht ein einziger Treffer aus dem Spiel heraus geglückt. Trainer Bruno Labbadia arbeitet seit seiner Amtsübernahme an diesem offensichtlichen Problem, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass eine funktionierende Defensive einfacher einzuüben sei als das Offensivspiel: „Es ist eine hohe Kunst, die Abläufe und Feinheiten perfekt einzustudieren, aber wir haben Bock darauf, und alle ziehen voll mit“, sagte er vor wenigen Wochen. Besserung schien zunächst auch in Sicht, doch der Durchbruch ist einfach noch nicht gelungen.
In der Länderspielpause will Labbadia mit seinem um acht zu den Nationalteams abgestellte Profis dezimierten Kader weiter am Feintuning arbeiten. Doch die Frage stellt sich: Liegt es nur an der Abstimmung? Oder ist das kreative Potenzial seiner Spieler einfach begrenzt? „Der HSV kann mittlerweile ganz gut auf Resultat spielen, doch nach vorne macht er noch nicht den Eindruck einer geölten Maschine“, sagt der heutige TV-Experte Erik Meijer, der von 2001 bis 2003 in Hamburg kickte und den HSV immer noch regelmäßig verfolgt. Meijer hat mehrere Probleme ausgemacht, wobei er dem Sturm nur eine Teilschuld anlastet. „Wenn Lasogga seine Klasse ausspielen will, muss er zwischen der 16er-Linie und dem Fünfmeterraum angespielt werden. Dort bekommt er aber zu wenige Bälle, deshalb lässt er sich oft ins Mittelfeld zurückfallen. Und Lasogga ist nun mal kein Spieler, den man in die Tiefe schicken kann“, analysiert der frühere Angreifer.
Probiert es Labbadia mit zwei Stürmern?
Ein weiteres Problem sieht Meijer in dem Mangel an Profis, die durch eine gewonnene Eins-zu-eins-Situation für Überzahl sorgen können. „Nehmen wir Holtby. Zu seiner frühen Profizeit bei Alemannia Aachen ist er oft ins Dribbling gegangen und hat so Räume für andere geschaffen. Das sieht man heute gar nicht mehr von ihm.“ Und auch für die Tatsache, dass der HSV als einziges Team der Bundesliga noch kein Kontertor erzielen konnte, hat Meijer eine Erklärung: „Die Mehrzahl der HSV-Profis bekommt den Ball gerne in den Fuß gespielt anstatt in den Lauf.“
Variationsmöglichkeiten hat Labbadia viele. Kaum Verletzte und auf den meisten Positionen eine ordentliche Konkurrenz sind gute Voraussetzungen für eine baldige Verbesserung. Mit Zoltan Stieber und Ivica Olic hat der Trainer noch zwei offensive Profis in seinen Reihen, die ihr Können in dieser Saison bisher kaum (Olic) oder noch gar nicht (Stieber) unter Beweis stellen durften. Und auch Artjoms Rudnevs stände noch zur Verfügung. Denn ein System mit zwei echten Stürmern hat Labbadia bisher noch nicht ausprobiert. „Zu Hause kann er das ruhig mal machen“, sagte Stürmerlegende Uwe Seeler am Montag. „Wenn jeder Stürmer nur ein Tor schießt, haben wir ja schon mal zwei.“ Und auch Meijer findet diese Option durchaus erstrebenswert: „Du brauchst bei zwei Angreifern Leute auf den Außenbahnen, die richtig Kilometer fressen. Doch die hat der HSV ja.“
Auch wenn gegen den starken nächsten Gegner Bayer Leverkusen die Defensive nicht vernachlässigt werden darf – eine weitere Nullnummer, und das mühsam aufgebaute neue Selbstvertrauen könnte genauso schnell wieder schwinden.