Frankfurt am Main. Selbst Uwe Seeler wurde aufgefordert, seine Ehrenkarte selbst zu versteuern. Ex-HSV-Sportchef Holger Hieronymus reagiert drastisch.

Die brisante Post erreichte den HSV bereits am Dienstag per Einschreiben. Der Inhalt: zwei zurückgegebene Ehrenkarten und ein kurzer Brief. Der Absender: Hieronymus, Holger.

„Es ist richtig, dass ich meine Ehrenkarten an den HSV zurückgeschickt habe“, bestätigt der Ex-HSV-Sportchef dem Abendblatt und sagt: „Ich wollte mich unter keinen Umständen einem Steuerrisiko aussetzen. Aber vor allem war ich irritiert über das Vorgehen des HSV. Um es vorsichtig zu formulieren: Ich hätte es anders gemacht.“

Mit dem „Vorgehen“, von dem Hieronymus da spricht, meint der Mitinitiator von HSVPlus einen Vorgang, der hinter den HSV-Kulissen längst ein mittelschweres Beben ausgelöst hat. So hat der Club bereits vor dem ersten Saisonheimspiel gegen den VfB Stuttgart sämtlichen Ehrenkarteninhabern ein formelles Schreiben zukommen lassen, in dem die Ticketbesitzer dazu aufgefordert wurden, die neuen Ehrenkarten selbst zu versteuern. Selbst Clublegende Uwe Seeler ist betroffen. „Der geldwerte Vorteil wird nicht von der AG versteuert“, heißt es in dem Schreiben, das der HSV-Vorstand auf Nachfrage nicht kommentieren wollte.

Mehr als 1300 Ehrenkarten

Dabei ist Hieronymus kein Einzelfall. Insgesamt geht es um mehr als 900 Ehrendauerkarten und rund 400 Ehreneinzelkarten, die pro Spieltag vom HSV an Ehrenämtler, Mitarbeiter und Ehemalige in drei verschiedenen Kategorien ausgegeben werden: rund 175 Businessseats- und Logenkarten, rund 130 VIP-Karten und mehr als 600 einfache Tribünenkarten. Und tatsächlich sind die Vorschriften, wen der Staat in welcher Höhe an dem Kartengeschenk zu beteiligen hat, höchst kompliziert.

Unter anderem hängt das davon ab, in welchem Verhältnis der Beschenkte zum HSV steht. Im Einzelfall kann der nun zu versteuernde Betrag sogar 8000 Euro überschreiten. „Die Übersendung von Ehrenkarten für den Besuch von sportlichen Veranstaltungen wird nach dem Einkommensteuerrecht als geldwerter Vorteil gewürdigt. Den Wert der Ehrenkarte hat der Empfänger daher grundsätzlich zu versteuern“, sagt der Hamburger Wirtschaftsprüfer und Steuerberater Jürgen Dräger von der Kanzlei MDS Möhrle. Dabei ist Dräger wichtig, dass ein Club aber auch selbst für die Steuer aufkommen kann. „Die Steuer für diese Geschenke kann das Unternehmen, hier also die HSV AG, gemäß Paragraf 37 b Einkommensteuergesetz mit pauschal 30 Prozent übernehmen, dann ist der Kartenempfänger von der Steuer befreit.“

Für viele ein zu hoher Betrag

Klingt kompliziert? Ist kompliziert! Unstrittig ist jedoch, dass es sich bei allen Betroffenen um einen unerwartet hohen Betrag handelt. Für viele ein zu hoher Betrag. So hat es in den vergangenen Wochen eine Reihe von erbosten Anrufen auf der Geschäftsstelle gegeben, eine Vielzahl von Karten wurde zurückgeschickt.

Dabei ist die Thematik keinesfalls neu. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach wies im Abendblatt-Gespräch bereits vor zwei Jahren auf die Steuerproblematik hin: „Wenn wir verdiente Leute aus dem Ehrenamt zu einem Länderspiel einladen, sagt uns der Staat, das müsst ihr jetzt versteuern.“ Und weiter: „Wer heute ein Vorstandsamt in einem Verein übernimmt, ist am Ende womöglich noch in der Haftung, falls beim Sponsoring irgendetwas nicht korrekt verbucht wird. Wenn der Metzger um die Ecke eine Mannschaft zum Essen einlädt, könnte es schon wieder geldwerter Vorteil sein, der versteuert werden muss. Diese Fragen schrecken manchen ab.“

Um dem vorzubeugen, hat die DFL 2012 eine streng vertrauliche Broschüre in Auftrag gegeben, die bei einer Steuerprüfung den Clubs als Hilfestellung dienen soll. Eine Gesetzesänderung hat es seitdem aber nicht gegeben, und auch die Vermutung, dass das HSV-Vorgehen mit der Ausgliederung zusammenhänge, ist falsch. Die Frage, warum der Club ausgerechnet jetzt seine Ehrenkartenbesitzer auffordert, den geldwerten Vorteil selbst zu versteuern, wollte der HSV allerdings nicht beantworten. Im Gegensatz zum FC St. Pauli, der in der Regel ebenfalls auf eine Individualversteuerung durch den Begünstigten, also den Karteninhaber, setzt. In bestimmten Einzelfällen gebe es aber auch eine Pauschalversteuerung durch den Verein, teilte der Kiezclub auf Nachfrage mit.

HSV will Auswirkungen zeitnah prüfen

Ob auch der HSV zukünftig im Einzelfall die Steuerlast trägt, will der Club nun zeitnah prüfen. Dabei geht es bei der aktuellen Debatte aber keinesfalls nur um ehemalige Legenden wie Seeler oder Hieronymus, sondern auch um Ehrenämtler, Schiedsrichter und Freiwillige. So will Jan Bartels aus dem Vorstand der Paul-Hauenschild-Stiftung die gleiche Konsequenz wie Hieronymus ziehen. „Ich habe mich entschieden, meine Ehrenkarten zurückzugeben, weil mir das einfach zu teuer wird“, sagt Bartels, der aber auch Verständnis für den HSV zeigt: „Mein Verständnis vom Ehrenamt ist nicht, dass man automatisch eine kostenlose Ehrenkarte für sich beanspruchen kann. Gleichzeitig kann ich diejenigen verstehen, die sich Tag und Nacht für den Club einsetzen und enttäuscht sind, dass sie nun zur Kasse gebeten werden. Am Ende muss der HSV eben sparen.“ Das weiß auch Olaf Kortmann, Träger der goldenen Ehrennadel: „Der HSV muss sparen, das weiß jeder. Aber in diesem Fall spart der HSV möglicherweise an der falschen Stelle.“ Immerhin hält der frühere Volleyballbundestrainer dem HSV zugute, dass Ehrenmitglieder im Vergleich zu anderen Vereinen immer noch sehr wohlwollend behandelt würden. Aber: „Die Privilegien für Ehrenmitglieder werden von Saison zu Saison weniger.“

Dies empfindet auch Otto Rieckhoff, der sich als Aufsichtsratsvorsitzender für eine Pauschalversteuerung eingesetzt hat, als zunehmend irritierend. „Bei vielen Vorgängen der letzten Zeit empfinde ich gar kein Unverständnis oder Ärger mehr“, so Rieckhoff, „sondern nur noch Kopfschütteln.“