Hamburg. Die Trainer der beiden großen Hamburger Fußballclubs sind grundverschieden. Mindestens eine Gemeinsamkeit haben die beiden aber doch.
Selbstverständlich hat der HSV die Nase vorn, doch bei diesem Thema braucht sich auch der FC St. Pauli nicht zu verstecken: Trainerentlassungen. Fünf Coaches hatte der Zweitligist in den vergangenen vier Jahren, beim HSV sind es sogar zehn. Da ist es auch wenig verwunderlich, dass die Buchmacher noch immer HSV-Coach Bruno Labbadia mit einer Quote von 8:1 als Favorit auf den ersten Rauswurf der Saison führen. Wirklich überraschend ist dagegen, dass erstmals seit einer langen Zeit keiner der beiden Clubs ernsthaft über eine Veränderung auf der Trainerposition nachdenkt. Ganz im Gegenteil. Labbadia und Ewald Lienen sitzen nicht nur fest im Sattel, sie sind die Aushängeschilder. Und: Beide schätzen einander sehr, obwohl es noch nicht viele Berührungspunkte gab. „Wir haben mehrfach telefoniert, als Ewald noch in Rumänien als Trainer gearbeitet hat. Er hat nach zwei Spielern gefragt, ich habe mich nach seiner vorherigen Station in Griechenland erkundigt“, erinnert sich Labbadia, der Lienen für „einen Trainer durch und durch“ hält. Und umgekehrt? „Menschlich mag ich Bruno sehr“, sagt Lienen – und scherzt: „Nur fachlich hat er keine Ahnung.“ Auf einen Kaffee wollen sich die „Fachmänner“ trotzdem bald treffen. Der Vergleich zweier Hoffnungstrainer, die so unterschiedlich und doch sehr ähnlich sind:
1. Erfolgsfaktor:
Sechs Spieltage vor Saisonende übernahm Labbadia das Himmelfahrtskommando HSV und hatte im Prinzip keine Chance – doch diese nutzte er. In drei Kurztrainingslagern schuf der Alsterliebhaber ein Gemeinschaftsgefühl, das es so beim HSV lange nicht mehr gegeben hat. Labbadia ist verständnisvoll, gab Brasilianer Cléber frei, um während des Nachmittagstrainings seine Familie vom Flughafen abzuholen. Gleichzeitig ist der Trainerstreber, der morgens spätestens um 7 Uhr aufsteht und den Tag beim Alsterlauf schon mal gedanklich durchdekliniert, extrem verbindlich. Mit Neuzugang Emir Spahic hat er einen Verhaltenskodex festgelegt.
Ewald Lienen übernahm den FC St. Pauli bereits nach der Hinserie der vergangenen Saison: Bis zur Winterpause aber waren noch zwei Spiele zu bestreiten, das erste in Ingolstadt am Tag nach seiner Verpflichtung. Mit 13 Punkte aus 17 Spielen war St. Pauli Tabellenschlusslicht, unter Lienen kamen bis zum Saisonende in 17 Spielen 24 Zähler dazu, was zum 15. Platz und direkten Klassenerhalt reichte. Jetzt stehen aus den ersten vier Spielen der neuen Saison schon zehn Punkte zu Buche. Lienen hat dem Team eingeimpft, dass eine stabile Defensive die Grundlage des Erfolgs ist. Es gibt keinen Akteur mehr, der sich daran nicht hält und auch nach hinten arbeitet. Nach und nach aber beeindruckt das Team auch mit spielerischen Elementen.
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2. Entertainment-Faktor:
Lewis Holtbys Trikot ist der Top-Seller im HSV-Fanshop, doch der wahre Star beim HSV ist Labbadia. Mit der Aktion „Mit Bruno in die Berge“ sollten Fans zum Schweiz-Trainingslager gelockt werden, bei Medien- und Sponsorenanfragen wird immer häufiger der eloquente Labbadia ins Schaufenster gestellt. Gerade nach Peter Knäbels Malheur um die abhanden gekommenen Dokumente ist Labbadia mehr denn je die Rampensau, die er eigentlich nie sein wollte. „Mein Antrieb ist es, dass meine Familie weiter super hier leben kann“, sagt der Wahl-Hamburger, der bei seinem ersten HSV-Engagement schmerzvoll erfahren musste, wie es ist, wenn der öffentliche Daumen auch mal gesenkt wird.
Die Fans des FC St. Pauli haben Lienen dagegen von Anfang an in ihr Herz geschlossen. Selbst den Fauxpas, als er bei seiner Vorstellung im vergangenen Dezember den Kiezclub als „Marke“ bezeichnete, verziehen ihm die Anhänger. Schon legendär ist seine Runde vor den Tribünen des Millerntor-Stadions, wenn er abwechselnd in die Hände klatscht und winkt. „Ich drücke damit meinen Respekt vor den Fans und ihrer Unterstützung für uns aus. Heißmachen muss ich unsere Anhänger nun wirklich nicht“, sagt St. Paulis Coach, der Labbadia inspiriert haben muss. Vor dem Stuttgart-Spiel machte Labbadia den Lienen, ging schon vor der Partie in die Fankurve.
3. Wutfaktor:
Labbadias Wutrede als Stuttgart-Trainer („Am Arsch geleckt! Das Fass ist absolut voll!“) ist legendär, wurde bei YouTube im Internet mehr als 22.000-mal geklickt. Ähnliches passieren würde dem HSV-Coach wohl aber kein zweites Mal. Der 49-Jährige ist entspannt geworden, blieb sogar nach der Berichterstattung über den angeblichen Kabinenzwist um Spahic gelassen. „Diesen Vorfall hat es nie gegeben“, sagte Labbadia. „Fragt mich doch einfach beim nächsten Mal ...“
Und Lienen? Von wegen Altersmilde ... Beim Spiel gegen Fürth (0:1) in der vergangenen Saison und auch wenig später beim Testspiel in Mönchengladbach überzog der älteste Coach der Zweiten Liga verbal gegen den Vierten Offiziellen sowie einen gegnerischen Spieler und musste dafür finanziell büßen. Wenn er das Gefühl hat, dass er oder sein Team ungerecht behandelt werden, wird es schon mal laut. Labbadia: „Ewald hat eben zu vielen Themen was zu sagen ...“
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4. Mourinho-Faktor:
„Es gibt Gott. Und dann komme ich“, sagte José Mourinho zum Anfang seiner Trainerkarriere und steht auch heute noch zu seiner Aussage. Labbadia hält von derlei Selbstbeweihräucherung nicht viel. „Der Ewald macht bei St. Pauli wirklich einen super Job. Aber bei mir brauchen Sie bitte nicht so dick aufzutragen“, sagte Labbadia am Montag im Gespräch mit dem Abendblatt.
Auch Lienen käme es nie in den Sinn, sich selbst als Erfolgsgaranten darzustellen. Immer wieder betont er die gute Zusammenarbeit des Trainer- und Funktionsteams. Interessant ist dabei, dass er seinen Co-Trainer Abder Ramdane als Teil seiner Familie betrachtet, obwohl dieser nach der Trennung von seiner Tochter de Jure nicht mehr sein Schwiegersohn ist. „Er ist der Vater unseres Enkels, also gehört er zur Familie“, so Lienen.