Jena. Der HSV verliert in einem denkwürdigen DFB-Pokal-Spiel verdient mit 2:3 nach Verlängerung gegen den Regionalligisten Carl Zeiss Jena.

Mit einer langen Analyse wollte sich Bruno Labbadia kurz vor dem Charterflug zurück in die Heimat nicht aufhalten. „Herzlichen Glückwunsch an den FC Carl Zeiss Jena“, sagte der Cheftrainer des HSV nach der zuvor nicht für möglich gehaltenen 2:3-Niederlage kurz und knapp, „Jena hat verdient gewonnen.“ Labbadia öffnete die oberen zwei Knöpfe seines verschwitzten Hemdes, schüttelte den Kopf und lauschte mehr oder weniger aufmerksam den Worten seines überglücklichen Nebenmanns. Von „einem unvergesslichen Fußballmärchen“, berichtete dieser. Und dann schüttelte auch Jenas Trainer Volkan Uluc seinen kahlen Kopf und stammelte in unfertigen Sätzen: „... unglaublich ...“, „... der helle Wahnsinn ...“, „... mit Worten nicht zu beschreiben“.

+++ Kommentar: Der HSV zerstört jede Hoffnung +++

Dabei deutete zwei Stunden zuvor noch relativ wenig auf ein außergewöhnliches Spiel mit einem noch viel außergewöhnlicheren Ergebnis hin. „Willkommen im Paradies“ stand bereits vor dem Anpfiff auf der Anzeigentafel im Ernst-Abbe-Sportfeld. Dass die vermeintlich freundliche Begrüßung aber nur ein Wortspiel in Anlehnung an den Stadtteil Jena-Paradies ist, bekamen die Hamburger deutlich früher mit, als ihnen eigentlich lieb war. So dauerte es nicht einmal 15 Minuten, ehe schlimmste Erinnerungen an die völlig verkorkste Vorsaison aufkamen: Nach einem Fehlpass durch Cléber, der erst in letzter Minute für den angeschlagenen Neu-Kapitän Johan Djourou (muskuläre Probleme) in die Startelf rotierte, wusste sich Emir Spahic nur mit einem Foul zu helfen. Den fälligen Freistoß schoss Julian Gerlach aus 25 Metern mithilfe des rechten Innenpfostens ins Tor. 0:1 nach einer Viertelstunde beim Regionalligisten. Willkommen im Paradies? Von wegen!

Dabei trat der Gerade-noch-Bundesligist auch im weiteren Spielverlauf so auf, als habe der Leibhaftige persönlich seine Finger mitten im Paradies im Spiel gehabt. Nur anderthalb Torchancen durch Spahic (33.) und Gotoku Sakai (36.) konnten sich die Hamburger in den ersten 45 Minuten erkämpfen, ein geordneter Spielaufbau im seit Wochen einstudierten 4-3-3-System fand praktisch nicht statt. Besonders besorgniserregend: Fünf Tage vor dem Bundesligaauftakt gegen Bayern München war ein Offensivspiel des HSV selbst gegen den Viertligisten nicht mal im Ansatz zu erkennen. „Das war schon extrem enttäuschend“, sagte Labbadia. „Wir hatten viele Spieler auf dem Platz, die nicht die notwendige Körpersprache hatten. Heute sind wir einfach nicht an unsere Grenzen gegangen.“

So war es auch wenig bis gar nicht verwunderlich, dass dem HSV an diesem Tag ein Tor zunächst nur mit ein wenig diabolischer Hilfe von außen gelingen konnte. Und tatsächlich drückten Schiedsrichter Frank Willenborg und seine Assistenten Frank Bokop und Henrik Bramlage kurz nach dem Wiederanpfiff sämtliche Augen zu, als Ivo Ilicevic den Ball ganz klar aus dem Aus auf Ivica Olic spielte. Im Gegensatz zu Jenas Hintermannschaft ließ sich der Kroate aber durch den Ball hinter der Auslinie so überhaupt nicht irritieren, um diesen direkt hinter die nächste Linie zu drücken – die Torlinie.

1:1 nach 49 Minuten, also alles wieder auf Anfang. Wer nun aber dachte, dass der Widerstand des Underdogs durch das geschenkte Tor gebrochen sein würde, der irrte. Es dauerte nicht einmal zehn Minuten, ehe das Jenaer Paradies so richtig zum Hexenkessel mutierte. Velimir Jovanovic konnte eine weitere Unsicherheit der Hamburger Fehlerkette ausnutzen und traf zum 2:1 (58.). Willkommen in der Hölle!

13.800 enthusiastische Zuschauer konnten ihr Glück nach 90 gespielten Minuten kaum fassen und freuten sich im Zuge der sich anbahnenden Sensation auch an der einen oder anderen Teufelei. „Absteiger, Absteiger“, sangen die einen, „Zweite Liga, Hamburg ist dabei“, freuten sich die anderen. Doch mit der Nachspielzeit, das sollte sich auch in Jena herumgesprochen haben, kennen sich die Hamburger bestens aus. Anders als in Karlsruhe vor exakt 70 Tagen war die Rolle des „Helden der letzten Minute“ diesmal allerdings nicht Marcelo Díaz, sondern Neuzugang Michael Greogoritsch vergönnt. Und diesmal waren auch nicht 91, sondern bereits 93 Minuten absolviert, als der Österreicher eine letzte Verzweiflungshereingabe aus der Drehung unter die Latte drosch. 2:2 nach 94 Minuten – und wieder alles auf Anfang.

HSV blamiert sich gegen Jena

Der HSV verliert gegen den Regionalligisten Carl Zeiss Jena
Der HSV verliert gegen den Regionalligisten Carl Zeiss Jena © dpa | Sebastian Kahnert
Velimir Jovanovic feiert mit seinem Team den Treffer zum zwischenzeitlichen 2:1
Velimir Jovanovic feiert mit seinem Team den Treffer zum zwischenzeitlichen 2:1 © Bongarts/Getty Images | Karina Hessland
Jenas Trainer Volkan Uluc
Jenas Trainer Volkan Uluc © dpa | Sebastian Kahnert
Robin Krauße im Zweikampf mit  Pierre-Michel Lasogga
Robin Krauße im Zweikampf mit Pierre-Michel Lasogga © Bongarts/Getty Images | Karina Hessland
Velimir Jovanovic feiert seinen Treffer
Velimir Jovanovic feiert seinen Treffer © Bongarts/Getty Images | Karina Hessland
Hamburgs Trainer Bruno Labbadia reagiert während des Spiels an der Seitenlinie
Hamburgs Trainer Bruno Labbadia reagiert während des Spiels an der Seitenlinie © dpa | Sebastian Kahnert
Hamburgs Ivica Olic (m.) jubelt mit Ivo Ilicevic (r) und Lewis Holtby (l) über seinen Treffer zum 1:1
Hamburgs Ivica Olic (m.) jubelt mit Ivo Ilicevic (r) und Lewis Holtby (l) über seinen Treffer zum 1:1 © dpa | Sebastian Kahnert
HSV-Fans während der Halbzeit
HSV-Fans während der Halbzeit © Bongarts/Getty Images | Karina Hessland
Ivo Ilicevic ärgert sich über eine vergebene Chance
Ivo Ilicevic ärgert sich über eine vergebene Chance © Bongarts/Getty Images | Karina Hessland
Jenas Sören Eismann (2.v.l.) , Marcel Bär (2.v.r.) und Robin Krauße (r) jubeln neben Schiedsrichter Frank Willenborg (l) über den Treffer zum 1:0
Jenas Sören Eismann (2.v.l.) , Marcel Bär (2.v.r.) und Robin Krauße (r) jubeln neben Schiedsrichter Frank Willenborg (l) über den Treffer zum 1:0 © dpa | Sebastian Kahnert
Und auch die Fans des Regionalligisten feiern
Und auch die Fans des Regionalligisten feiern © Bongarts/Getty Images | Karina Hessland
Jena ging zwei Mal in der regulären Spielzeit in Führung
Jena ging zwei Mal in der regulären Spielzeit in Führung © Bongarts/Getty Images | Karina Hessland
Ivo Ilicevic brachte die Flanke aus dem Aus zum zwischenzeitlichen 1:1. Protest bei den Gastgebern
Ivo Ilicevic brachte die Flanke aus dem Aus zum zwischenzeitlichen 1:1. Protest bei den Gastgebern © Bongarts/Getty Images | Karina Hessland
Albin Ekdal im Spiel gegen Jena
Albin Ekdal im Spiel gegen Jena © Bongarts/Getty Images | Karina Hessland
Rene Klingbeil  im Kopfballduell mit Lewis Holtby
Rene Klingbeil im Kopfballduell mit Lewis Holtby © Bongarts/Getty Images | Karina Hessland
Pierre-Michel Lasogga kommt nicht an den Ball
Pierre-Michel Lasogga kommt nicht an den Ball © Bongarts/Getty Images | Karina Hessland
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„Nach dem 2:2 in der 93. Minute war ich mir sicher: Bruno Labbadia und den Dino der Liga, die zwingt man einfach nicht in die Knie“, sagte Jenas Trainer Uluc später, als er doch längst eines Besseren belehrt worden war. Denn gerade als auch den zahlreichen mitgereisten Hamburgern das Gefühl beschlich, dass für den HSV am Ende irgendwie immer alles gut werden würde, holte Johannes Pieles die Hanseaten in die bittere Realität zurück. „Wir hätten die Geschichte vom Immer-wieder-Aufstehen weiterschreiben können, aber das haben wir leider verpasst“, sagte Labbadia, nachdem der Kopfball des eingewechselten Youngsters in der 106. Minute den sportlichen Schlusspunkt markierte. Ein finanzielles Nachspiel dürfte es für den HSV, der mit dem Erreichen der dritten Pokalrunde kalkuliert hatte, durch im Fanblock gezündete Pyrotechnik geben.

„All das, was wir uns zum Ende der vergangenen Saison erarbeitet haben“, sagte Labbadia, „das ist nun erst einmal wieder vorbei. Zur Erinnerung: Die neue Saison hat noch nicht mal begonnen. Doch nach dem Paradies droht dem HSV nun tatsächlich die Hölle. Freitagabend, 20.30 Uhr, Bundesligaauftakt. Der Gegner dann: Meister Bayern München.