Hamburg. Der HSV-Rückkehrer spricht über dünne Beine, seinen Körperfettanteil, Boxen als Ausgleichssportart und einen großen Traum.

Wie ein raubeiniger Mittelfeldabräumer sieht Kerem Demirbay, 22, nun wirklich nicht aus. Keine Frage, der HSV-Rückkehrer, der nach einem erfolgreichen Jahr in der Zweiten Liga beim 1. FC Kaiserslautern nun auch in Hamburg durchstarten möchte, ist austrainiert, wirkt aber gleichzeitig irgendwie zerbrechlich. Besonders Demirbays dünne Beine geben Grund zur Sorge. Wenn Tony Yeboahs sagenumwobener Oberschenkel einst tatsächlich einen Umfang von 69 Zentimetern hatten, dann dürften Demirbays Beine zusammen diese Zahl kaum überbieten. „Der Eindruck täuscht“, sagt aber der Fitnessfan. „In Wahrheit bin ich ganz schön muskulös.“ Höchste Zeit für ein Gespräch über das eigene Körperbewusstsein.

Hamburger Abendblatt : Herr Demirbay, entschuldigen Sie die direkte Frage gleich zu Beginn, aber sind Sie ein Hänfling?

Kerem Demirbay (lacht): So wurde ich zwar noch nie bezeichnet, aber wahrscheinlich bin ich das sogar. Ich bin kein dicker Brocken, sondern eher ein drahtiger Typ.

Sind die Zeiten der dicken Brocken im defensiven Mittelfeld vorbei?

Demirbay : Im modernen Fußball musst du vor allem schnell und beweglich sein. Du musst Power haben, aber keine Muskelberge. Wer zu viel Masse mit sich herumtragen muss, der kommt gar nicht erst in den Zweikampf.

Haben Sie mit Ihrer eher schmächtigen Statur gar keine Angst, an einem 90-Kilo-Gegenspieler einfach so abzuprallen?

Demirbay : Überhaupt nicht. Wenn ich in den Zweikampf gehe, dann will ich ihn auch gewinnen. Unbedingt. Ich bin vielleicht ein bisschen schmaler als manch anderer, aber ich würde mich selbst ungern als Gegenspieler haben.

Gehen Sie besonders sorgsam mit Ihrem Körper um?

Demirbay : Klar. Ich bin Fußballprofi, da ist mein Körper mein Kapital. Natürlich gehe ich vor oder nach dem Training fast jeden Tag in den Kraftraum, mache Stabilisationsübungen und habe auch schon viele andere Sportarten ausprobiert.

Welche sind das und was bringen Sie Ihnen?

Demirbay : Das sind ganz unterschiedliche. Man bekommt dadurch ein ganz anderes Bewusstsein für den eigenen Körper. Boxen ist zum Beispiel sehr gut für die Beweglichkeit.

Im Boxen wären Sie ein Halb-Mittelgewicht.

Demirbay : Dann hoffe ich mal, dass ich beim HSV ein echtes Schwergewicht werde. (lacht) Aber im Ernst: Beim Boxen werden natürlich andere Sinne als im normalen Fußballtraining geschult. Das kann schon helfen. Man lernt auch, ruhiger zu werden.

Achten Sie auch sehr auf Ihre Ernährung?

Demirbay : Ich kann leider nicht kochen und habe auch keine Freundin, die kochen kann. Deswegen gehe ich sehr viel essen. Aber ich halte mich schon relativ streng an meinen Ernährungsplan. Natürlich sündige ich auch mal, aber ganz bewusst. Ich habe einen Tag in der Woche, an dem ich mehr oder weniger alles esse, worauf ich Lust habe. Man muss seinem Körper auch mal etwas gönnen. Irgendwann bekommt man dann ein Gefühl dafür, was gut für den eigenen Körper ist und was nicht. Nach einem Spiel kann ich beispielsweise ganze Berge verputzen, weil ich meinen Energiehaushalt ausgleichen muss. Als Fußballprofi brauche ich auch Nahrungsergänzungsmittel, um meinen kompletten Bedarf abzudecken.

Was ist mit Alkohol?

Demirbay : Ich trinke so gut wie gar keinen Alkohol. Das hat allerdings weniger mit meiner professionellen Einstellung und auch nichts mit Religion zu tun. Der Grund ist ganz einfach: Mir schmeckt es nicht. Und der positive Nebeneffekt dabei ist: Ich bekomme keinen Bierbauch.

Seitdem der neue Athletiktrainer Daniel Müßig sämtliche Daten während des Trainings erhebt, können Sie ja sogar Ihren Körperfettanteil überprüfen.

Demirbay : Das stimmt. Mein Körperfettanteil liegt bei 9,3, vor anderthalb Jahren war er sogar bei 6,3. Aber das ist eher eine Spielerei. Es geht ja vor allem um die anderen Daten. Wir können in Echtzeit unsere Herzfrequenz einsehen, den Puls, die Erschöpfungswerte. Das ist schon alles ziemlich abgefahren, was da heutzutage möglich ist. Aber ich bin ein großer Fan von diesem Hightech-Kram.

Und was sagt die Hightech? Sind Sie fit für die Saison?

Demirbay : Ich fühle mich super. Aber natürlich habe ich noch einen kleinen Rückstand, weil ich nach der U21-Europameisterschaft drei Wochen später ins Training eingestiegen bin. Bis zum Saisonstart habe ich den Rückstand aber sicher aufgeholt. Ich gebe auf jeden Fall richtig Gas.

Bei der U21-EM haben Sie sich mit Deutschland für Olympia 2016 in Rio de Janeiro qualifiziert ...

Demirbay : ... und das ist natürlich ein absolutes Traumziel von jedem von uns. Wer träumt nicht davon, einmal mit Deutschland im Maracana zu spielen? Aber bevor ich daran denken kann, muss ich erst einmal beim HSV meine Leistung bringen. Ich habe einen ganz klaren Plan davon, was ich beim HSV in dieser Saison erreichen möchte. Und wenn der Plan aufgeht, dann bin ich auch im nächsten Sommer in Rio dabei.

Verraten Sie uns Ihren Saisonplan?

Demirbay : ( lacht) Ganz sicher nicht.

Haben Sie denn einen Karriereplan?

Demirbay : Den habe ich – aber auch den verrate ich nicht. Aber ich finde es wichtig, dass man sich hohe Ziele setzt. Die Ziele müssen nur auch erreichbar sein. Als ich beispielsweise als 20-Jähriger von Dortmunds Nachwuchsmannschaft zum HSV gewechselt bin, wollte ich unbedingt so schnell wie möglich ein echter Bundesligaprofi werden. Das Ziel war durchaus realistisch, aber am Ende hat es dann doch länger gedauert, weil ich gleich zu Anfang großes Verletzungspech hatte.

Ihr Ziel haben Sie nun über den Umweg Kaiserslautern erreicht.

Demirbay : Das stimmt. Das Jahr in Kaiserslautern war extrem wichtig für meine Karriere. Ich habe Spielpraxis gesammelt, und ich konnte beweisen, dass ich das Zeug zu einem guten Fußballprofi habe. Aber gerade weil das Jahr für mich so gut gelaufen ist, habe ich Lust auf mehr bekommen. Ich möchte mich auch beim HSV durchsetzen, möchte unbedingt beweisen, dass ich der Mannschaft helfen kann.

Und wer hilft Ihnen? Wessen Rat ist Ihnen wichtig?

Demirbay : Ich bin ein großer Familienmensch. Die Familie und ihr Rat sind mir eigentlich immer am wichtigsten. Und natürlich vertraue ich auch auf Gott.

Sind Sie gläubig?

Demirbay : Ich muss nicht unbedingt fünfmal am Tag beten, aber ich würde mich trotzdem als gläubig bezeichnen. Gott ist mir jedenfalls wichtig. Und wenn es von den Trainingszeiten am Freitag passt, dann versuche ich auch ab und an mit einem Kumpel in die Moschee in Altona zu gehen. Fußball ist ja wichtig, aber nicht alles.

Wie meinen Sie das?

Demirbay : Wenn man täglich die Nachrichten sieht oder hört, dann wird einem sehr schnell klar, dass es wichtigere Dinge als Fußball gibt. Als Deutschtürke verfolge ich zum Beispiel gerade sehr intensiv den Konflikt zwischen der Türkei und den Kurden. Es ist schlimm, wenn man bedenkt, was überall so auf der Welt passiert. Es ist schade, wie Menschen teilweise miteinander umgehen.