HarseWinkel. In der Jugend wurde Schipplock aussortiert. Unter Förderer Labbadia will er nun durchstarten. Ex-Coach Stanislawski erwartet zehn Tore.
Sven Schipplock weiß, was wichtig ist. Die letzte HSV-Trainingslager-Einheit verpasste Hamburgs Neuzugang zwar, doch pünktlich zum Mittagessen am Freitag traf der Stürmer im Hotel Klosterpforte ein. „Am Tisch saß ich mit Lewis Holtby, Pierre-Michel Lasogga und René Adler, da hatte ich gleich eine lustige Runde erwischt“, sagte Schipplock, der trotz des mittäglichen Unterhaltungsprogramms so seine Schwierigkeiten hatte, die Augen offenzuhalten. „Die Nacht war kurz“, gab die vorerst letzte HSV-Verpflichtung zu. Um vier Uhr hatte sein Wecker in Hoffenheims Norwegen-Trainingslager geklingelt, um 6.10 Uhr musste er den Flieger von Oslo nach Düsseldorf nehmen. Dass er nur zwei Stunden vor der Abfahrt aus dem HSV-Trainingslager ankam, störte den Nachzügler aber keineswegs. „Ich bin zwar müde, aber ansonsten fit.“
Das Gefühl, etwas später als die anderen zu sein, ist Sven Schipplock ohnehin nicht fremd. Anders als Frühstarter Michael Gregoritsch, der schon mit 15 Jahren als jüngster Torschütze in Österreichs Bundesliga als Jahrhundertjuwel gefeiert wurde, galt Schipplock schon immer als Spätzünder. „Ich war nie das größte Talent“, gab der Neu-Hamburger ohne Umschweife zu. Der gebürtige Schwabe ist keiner, der sämtliche U-Nationalteams durchlaufen und in Nachwuchsleistungszentren den Feinschliff verpasst bekommen hat. Vielmehr musste er schon in der Jugend manchen Rückschlag hinnehmen, wurde aussortiert, weggeschickt. „Meine Zeit in der Jugend war nicht einfach“, sagte Schipplock.
HSV gewinnt Testspiel gegen Kassel
In der C-Jugend wechselte er von seinem Heimatclub FC Engstingen, wo er acht Jahre lang von Papa Markus trainiert wurde, zum SSV Reutlingen. Nicht mal ein Jahr durfte der Youngster bleiben. Stets bemüht stand in seinem Abschlusszeugnis, mehr nicht. Der Einsatz habe gestimmt, sagte Reutlingens Förderverantwortlicher Walid Al-Kayed, aber bei der Technik hätte es gehapert. Ähnliches hörte Schipplock auf seiner nächsten Station in Sondelfingen. „Er war talentiert“, erinnerte sich sein früherer Trainer Peter Slavic, „es gab aber Jungs mit noch mehr Talent.“
Also ging die Reise durch die schwäbische Provinz weiter. Von Pfullingen zurück auf die Ersatzbank von Reutlingen, wo Schipplock von seinem Traum von einer Profikarriere so weit entfernt schien wie der HSV aktuell von der Meisterschaft. Die Verantwortlichen teilten ihm zum Ende seines letzten Nachwuchsjahres sogar mit, dass in der ersten Mannschaft kein Platz für ihn frei sei. Natürlich dürfe er in Reutlingen bleiben, müsste dann aber in der Kreisliga A spielen.
Doch wie sonst auch im Strafraum ließ der Youngster nicht locker. „Irgendwie war ich immer etwas ehrgeiziger als die anderen.“ Schipplock überzeugte den damaligen Regionalligatrainer Peter Starzmann, ihn zumindest für einen Monatsverdienst von 150 Euro ins Trainingslager mitzunehmen. „Er war völlig unbedarft und nur als vierter Stürmer vorgesehen“, blickte Starzmann Jahre später in der „Stuttgarter Zeitung“ zurück. Doch aus dem vierten Stürmer wurde zum Saisonstart Stürmer Nummer eins. Der mittlerweile 18 Jahre alte Spätzünder erhielt die erhoffte Chance. Und nutzte sie.
Labbadia, Rangnick, Meyer und Magath wollten Schipplock
„Ich hatte ihn schon in seiner Zeit in Reutlingen auf dem Zettel. Seine Mentalität imponierte mir“, erinnert sich Bruno Labbadia, der den plötzlichen Überflieger direkt nach seiner ersten Halbserie als Profi nach Fürth locken wollte. Doch Labbadia war nicht alleine. Von einem auf den anderen Moment stand Schipplocks Telefon nicht mehr still. Ralf Rangnick wollte den Angreifer nach Hoffenheim lotsen, Nürnbergs damaliger Trainer Hans Meyer rief an, und mit Felix Magath, der seinerzeit an Wolfsburgs Meisterkader bastelte, traf sich Schipplock in einem Münchner Hotel.
Am Ende der Wintertransferperiode 2008 entschied sich Schipplock gegen Labbadia, Rangnick, Meyer und Magath – und für die Heimat. Der VfB Stuttgart hatte das Rennen gemacht. Doch Schipplock wäre nicht Schipplock, wenn er nicht auch in Stuttgart ein wenig länger als manch anderer gebraucht hätte. Trainer Armin Veh, gerade Meister mit dem VfB geworden, befand ihn für zu leicht für die Bundesliga – ab zur zweiten Mannschaft.
Bei den Amateuren geizte der Schwabe keineswegs mit Toren. In 89 Spielen erzielte Schipplock 31 Treffer für Stuttgart II. Doch bei den Profis gingen und kamen die Trainer – nach Veh Markus Babbel, Christian Gross und Jens Keller –, ehe dann doch noch ein Coach von Schipplocks Qualitäten überzeugt war: Bruno Labbadia.
Schipplock traf zehnmal in 135 Testspielminuten
„Ein Typ wie Sven ist wichtig für eine Mannschaft. Er gibt immer Vollgas, ist heiß auf Tore und unermüdlich unterwegs“, sagt Labbadia, der Schipplock auch nicht mehr böse ist, dass er nach einer Profisaison beim VfB 2011 nach Hoffenheim wechselte. Verantwortlich hierfür war ein anderer Hamburger: Holger Stanislawski. „Sven ist ein sehr laufstarker Spieler, der extrem unangenehm zu spielen ist“, lobt der frühere Hoffenheim-Coach, der nur Gutes über seinen damaligen Einkauf zu berichten weiß. „Sven hat vor dem Tor einen sehr guten Riecher und wird sich, wenn er mehr Einsatzzeiten hat, sicher weiterentwickeln. Er hatte in Hoffenheim immer starke Leute vor sich, aber ich denke, dass der Wechsel zum HSV ihm guttut.“ Was er von Schipplock erwarte? „Er ist jetzt dran, sich einen Stammplatz zu erkämpfen und zu zeigen, dass er in der Lage ist, zehn und mehr Tore zu machen.“
Zehn Tore? Klingt ambitioniert, doch in der Vorbereitung hat Schipplock die Zehntoremarke längst geknackt. Vor seinem HSV-Debüt am Freitagabend hatte Schipplock in nur 135 Testminuten für Hoffenheim tatsächlich zehn Vorbereitungstore erzielt. „So kann es weitergehen“, sagt Schipplock, der bei seinem vorletzten Auftritt mit Hoffenheim in Hamburg – im DFB-Pokal gegen Paloma – sogar fünf Treffer erzielte. Er ist nun 26 Jahre alt. Bestes Fußballeralter. Nur seine Zeit als Spätstarter, die könnte nun endlich vorbei sein.