Hamburg. Bayer Leverkusen investierte in den letzten zwei Jahren rund 35 Millionen Euro in Hamburger Nachwuchsspieler. Ist Jung der nächste?
Wer in den vergangenen Jahren auf die Nachwuchsabteilung des HSV zu sprechen kam, überschlug sich nicht gerade mit Lobeshymnen. Zuletzt hatte Sportdirektor Bernhard Peters sogar eingeräumt, dass es „ noch zwei bis drei Jahre dauern wird, ehe der HSV im Nachwuchsbereich gut aufgestellt ist.“ Doch ein Club scheint die fußballerische Ausbildung in Hamburg in einer Weise wertzuschätzen, die sogar die eigene Wahrnehmung übertrifft: Bayer 04 Leverkusen. Kaum zeigt ein beim HSV herangereifter Profi überdurchschnittliches Potenzial, klopft auch schon Bayers Sportdirektor Rudi Völler an die Tür und hinterlegt sein Interesse. Und der HSV lässt sich dieses Interesse in der Regel gut bezahlen.
Der aktuelle Coup: Abwehrspieler Jonathan Tah wechselt nach Leverkusen und beschert dem Bundesliga-Dino eine Ablösesumme von rund zehn Millionen Euro. Der Jugendnationalspieler absolvierte am Mittwoch den Medizincheck und soll heute ins Trainingslager nach Österreich nachreisen. Kein schlechter Deal aus HSV-Sicht, nimmt man die bisherigen Leistungen des 19-Jährigen zum Maßstab. Weder während seiner Leihstation bei Zweitligaclub Fortuna Düsseldorf überzeugte Tah durchgehend, noch hinterließ er für die deutsche Auswahl bei der aktuellen U19-EM einen nachhaltigen Eindruck. Doch Völler beobachtete ihn quasi vor der Haustür in Düsseldorf regelmäßig und ist von den Qualitäten Tahs überzeugt. Der gebürtige Hamburger soll sich neben Ömer Toprak und Kyriakos Papadopoulos als Innenverteidiger Nummer drei bei Bayer etablieren.
Dem Wechsel voraus ging der unbedingte Wunsch seitens des Profis, den HSV trotz laufenden Vertrags verlassen zu dürfen, obwohl ihn Bruno Labbadia sehr gerne behalten hätte, wie er am Rande des Testspiels in Schneverdingen betonte: „Irgendwann ist es dann ein Geschäft. Leider können wir nur einen kleinen Teil der Ablöse reinvestieren.“
Diese Spieler brachten dem HSV das meiste Geld
Tah schwärmte noch im Mai vom HSV
Wie sich die Einstellung von Fußballprofis innerhalb kürzester Zeit immer wieder ändern kann, ist schon erstaunlich. So sagte Tah noch Ende Mai nach Ablauf des Leihgeschäftes in Düsseldorf: „Hamburg ist meine Familie. Es war von Anfang an klar, dass ich nach Hamburg zurückkehren werde. Ich spiele Fußball nicht für Geld, sondern aus Leidenschaft.“
Doch Leverkusen scheint eine magische Anziehungskraft auf HSV-Spieler auszuüben. Ziemlich genau ein Jahr ist es her, als der HSV nach einer regelrechten Posse Mittelfeldmann Hakan Calhanoglu, damals 20, ins Rheinland transferierte. Knapp 15 Millionen Euro brachte dieser Deal in die leeren HSV-Kassen. Ein Jahr zuvor gewann die Werkself das Tauziehen um den Seeler-Enkel Levin Öztunali, damals 17, der allerdings ohne Ablöse wechselte und mittlerweile auf Leihbasis in Bremen spielt. Dafür wurden die Hamburger für den Verkauf von Heung Min Son, damals 20, mit zehn Millionen Euro entlohnt. Knapp 35 Millionen in den vergangenen zwei Jahren aus Leverkusen – der HSV scheint seinen „Hauptinvestor“ bereits gefunden zu haben.
Im Gegensatz dazu bedient sich der HSV bei dem derzeit enteilten Bundesligakonkurrenten kostenlos. Torwart René Adler kam 2012 ebenso ablösefrei wie der bei Bayer aus disziplinarischen Gründen geschasste Emir Spahic. Als der beim HSV in Ungnade gefallene Sidney Sam 2010 aussortiert werden sollte, konnten die Hamburger von ihrem Lieblings-Geldgeber noch zwei Millionen Euro herausschlagen.
Labbadia setzte sich für Jung ein
Vom Weggang Tahs profitieren aber nicht nur die HSV-Finanzen, sondern auch der erst 20-jährige Gideon Jung. In ungewohnter Deutlichkeit positionierte sich Beiersdorfer zu dem Jungprofi, den er vor einem Jahr „vom Sofa aus“ aus Oberhausen verpflichtet hatte. Jung sei nun neben Cléber, Spahic und Johan Djourou Innenverteidiger Nummer vier – mindestens. Der Zukauf eines Tah-Ersatzes sei nicht geplant. Das überrascht zum einen, da Jung in der vergangenen Saison einzig für die U23 zum Einsatz kam. Zum anderen, da der gebürtige Düsseldorfer eigentlich für das defensive Mittelfeld verpflichtet wurde, wo er auch einzig und allein gespielt hatte, bevor er in der Regionalligamannschaft des HSV umfunktioniert wurde.
Doch Trainer Bruno Labbadia imponierte das Auftreten des Nachwuchsspielers während dieser Vorbereitung, und setzte sich dafür ein, Jung das Vertrauen zu schenken. „Jetzt bin ich natürlich noch motivierter“, sagte der Gelobte am Tag nach seiner Beförderung. „Es ist toll, dass der Coach so auf mich setzt. Doch ich werde jetzt nicht durchdrehen, sondern versuche, klar zu bleiben und will auch weiterhin Spielpraxis in der U23 sammeln.“ Sollte Jung jedoch regelmäßig bei den Profis zum Einsatz kommen, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis Völler auf der Matte steht und sich nach den Transfermodalitäten erkundigt ...