Hamburg. Eine Ära ist vorbei: Westermann wird den HSV nach fünf Jahren verlassen. Kaum jemand hatte sich derartig mit dem HSV identifiziert.

Gemunkelt wurde es schon lange, seit Donnerstag herrscht Gewissheit: Nach fünf Jahren Vereinszugehörigkeit verlässt Heiko Westermann den HSV. „Heiko hat alles für den HSV gegeben und in vorbildlicher Manier seine Knochen für den Verein und die Fans hingehalten“, dankt Dietmar Beiersdorfer dem scheidenden Westermann auf der Vereinshomepage. „Wir haben höchsten Respekt vor seiner hochprofessionellen Einstellung und wünschen ihm für die Zukunft alles erdenklich Gute.“

Lobende Worte zum Abschied, wie eigentlich immer, wenn ein verdienter Spieler einen Verein nach vielen Jahren verlässt. Die Trennung sei einvernehmlich erfolgt, für beide Seiten sei diese Lösung die beste. Westermann selbst weilt noch im Urlaub, war nur am Mittwoch kurzfristig in Hamburg, da seine Tochter erkrankte. Doch der Abwehrspieler ließ ausrichten, dass er dem HSV „natürlich für die Zukunft die Daumen drückt“ und sich der Hansestadt so verbunden fühle, dass er sich vorstellen könne, mit seiner Familie nach der Karriere zurückzukehren.

Seine kurzfristige Zukunft sieht der 31-Jährige jedoch anderswo. Angebote gebe es aus Russland, Italien, der Türkei und England, aber auch aus der Bundesliga liegt offenbar eine Anfrage vor. Die Gespräche mit dem HSV seien zwar fair verlaufen, doch die Vorstellungen waren grundverschieden. Immerhin hatte Westermann beim HSV bisher rund zwei Millionen Euro verdient. Und diese Summe will der Club im Jahr 2015 nicht mal mehr im Ansatz stemmen. „Ich nehme mir die Zeit, meine Zukunft jetzt ganz in Ruhe zu entscheiden“, sagt Westermann.

Westermann prägte eine Ära

Beim HSV hat der gebürtige Unterfranke eine Ära geprägt, die ganz im Zeichen seiner fußballerischen Attribute stand: viel Kampf, wenig Glanz. Platz sieben war das beste Ergebnis, das Westermann in seiner Hamburger Zeit einfahren konnte. Ein internationaler Einsatz blieb ihm mit dem HSV verwehrt, einzig in der Nationalmannschaft durfte er bis 2013 mitspielen. Ob der Bundesliga-Dino diesen Beinamen heute noch tragen würde, wenn Westermann 2010 nicht für stolze 7,5 Millionen Euro von Schalke an die Elbe gewechselt wäre, bleibt Spekulation. Fakt ist aber: Der 1,90-Meter-Hüne war zu jeder Zeit gesetzt, verpasste in den fünf Jahren nur elf Bundesligaspiele.

Dennoch musste er sich sein Ansehen immer wieder aufs Neue erkämpfen. Die Fans waren bis zuletzt gespalten: Für die einen war Westermann aufgrund seiner wiederkehrenden Patzer der personifizierte Niedergang, andere sahen in ihm einen der wenigen Profis, der für den Club immer alles gab und sich dem Mannschaftswohl unterordnete. So maulte Westermann auch nicht, wenn ihn wieder einmal einer seiner zehn Trainer, die er in seiner HSV-Zeit vorgesetzt bekam, auf andere Positionen verschob, als die von ihm präferierte des Innenverteidigers.

Volley-Treffer gegen Leverkusen machte ihn zu „HW4“

Noch im letzten Winter sagte er bei dem Ausblick auf die Rückrunde, dass er sich beim besten Willen nicht vorstellen könne, noch mal als Außenverteidiger auflaufen zu müssen. Das Ende ist bekannt: Schon kurz darauf musste Westermann wieder die rechte Seite beackern, als hätte er nie etwas anderes getan. Diese Flexibilität zeichnete den Familienvater auf dem Rasen aus, zudem seine Zweikampfstärke und das vorbildliche Kopfballspiel. Gerade bei eigenen Standardsituationen war Westermann im gegnerischen Strafraum nur schwer zu kontrollieren, neun Tore sind für einen Abwehrspieler in 159 Bundesligapartien ein guter Wert.

Den wohl wichtigsten Treffer seiner Karriere erzielte er im Saisonendspurt vor einem Jahr, als er den Ball kurz vor Schluss gegen Leverkusen volley zum 2:1 in die Maschen schoss. Dies brachte ihm bei den Fans – in Anlehnung an Cristiano Ronaldos Numeronym „CR7“ – endgültig den Spitznamen „HW4“ ein, den Westermann mit einer Prise Selbstironie sogar in einem Rap-Song verewigte: „Nicht besonders filigran und entspannt, das Gegenteil von Urlaub oder Tagen am Strand. Dafür mit ‘nem scharfen Verstand, der Leidenschaft im Herzen, immer hart in den Kampf. Ich bin HW4, du bist HW4, wir sind HW4 – und das bleiben wir!“

Wir, das waren Heiko Westermann und die HSV-Fans, denen sich der Abwehrrecke immer noch sehr verbunden fühlt. Trotz der Anfeindungen, die ihm immer wieder zuteil wurden. Als Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister und HSV-Fan Garrelt Duin im März in einem Abendblatt-Interview sagte, er würde gegen den BVB auf Westermann verzichten, brach es nach dem Spiel aus dem Ex-Kapitän heraus: „Ich war die letzten fünf Jahre hier, habe immer meinen Arsch hingehalten – und kein anderer. Deswegen braucht mir ein sogenannter Fan oder sonst wer nicht zu erzählen, wie Fußball gespielt wird.“ Jener Duin bedankte sich am Donnerstag via Twitter für eine „intensive Zeit“.

Überwogen haben für Westermann die schönen Momente, allen voran das letzte Spiel gegen Karlsruhe, das sich wie ein „Pokalsieg“ anfühlte. Dort war er zwar gesperrt, feierte aber mit den Kollegen in der Kabine ausgelassen den Klassenerhalt: „Bundesliga, Hamburg ist dabei!!!“ Westermanns Abschiedsworte klingen versöhnlich: „Ich möchte den Menschen Danke sagen, die mich immer unterstützt haben, auch in den schwierigen Phasen. Und den Fans, die immer an die Mannschaft geglaubt und sie besonders in den entscheidenden Phasen gepusht haben. Macht es gut!“