Karlsruhe. Bundesweit echauffieren sich Fans über den Freistoßpfiff des Schiedsrichters vor dem HSV-Ausgleich. Sogar Kühne-Schecks werden kopiert.
Als die Deutsche Fußball Liga (DFL) die Schiedsrichter-Ansetzung für das Rückspiel in Karlsruhe bekannt gab, keimte unter den Anhängern des Hamburger SV bereits erste Hoffnung auf. Schließlich wurde Manuel Gräfe umgehend zum Relegations-Glücksbringer auserkoren, hatte der Berliner doch vor Jahresfrist zum Schiedsrichtergespann für das Duell mit der SpVgg Greuther Fürth gehört.
Am Montagabend um 20.51 Uhr entpuppte sich der Unparteiische aus Berlin tatsächlich zu einem schicksalhaften Begleiter des Bundesliga-Dinos: Beim Stand von 0:1 aus Hamburger Sicht erkannte Gräfe in der Nachspielzeit auf Handspiel des Karlsruher Mittelfeldspielers Jonas Meffert und bescherte dem HSV damit eine letzte Freistoßchance, die Marcelo Díaz per Kunstschuss zum Ausgleich nutzte. Die Rothosen retteten sich in die Verlängerung und darin durch den 2:1-Siegtreffer von Nicolai Müller schließlich in eine weitere Saison der ersten Bundesliga.
"Gar nicht so viel essen, wie man kotzen möchte"
Während sich beim HSV alles in Wohlgefallen auflöst, hadern der KSC und viele Fußballfans quer durch die Republik noch mit dem umstrittenen Freistoßpfiff nach dem mit angelegten Oberarm abgeblockten Schuss des aufgerückten HSV-Verteidigers Slobodan Rajkovic. „Man kann gar nicht so viel essen wie man kotzen möchte, wenn man das sieht“, schimpfte Sportdirektor Jens Todt über die Szene und spottete in Richtung Gräfe: „Augen auf bei der Berufswahl!“
„Ich glaube, ohne diese Situation wären wir Bundesligist“, sagte Kauczinski zum viel diskutierten Ausgleich. Präsident Ingo Wellenreuther meinte nach dem Fußball-Drama mit ruhiger, aber fester Stimme: „Ich glaube, wir hätten den Aufstieg verdient gehabt. Nur einer hatte was dagegen, das war der Schiedsrichter. Ich muss sagen, es ist für mich nicht nachvollziehbar, wie man in der 90. Minute, wenn man den Ball aus einem Meter Entfernung an den Körper geknallt bekommt, dann Freistoß pfeifen kann.“
Und der Betroffene selbst, Jonas Meffert, meinte: "Ganz klar kein Freistoß. Ich habe den Ball an den Arm bekommen und mich weg gedreht, von einem Meter schießt er mich an... Aber danach pfeift er ja auch den Elfmeter für uns, das war auch keiner. Daran merkt man dass er ein schlechtes Gewissen hatte." Ex-KSC-Profi Maik Franz meinte in Anspielung auf Todts "Kotz"-Aussage lediglich: "Da hast du Recht, Jens!"
Selbst in Gräfes Heimatstadt wird über den Fifa-Schiedsrichter, der 2005 mit Aussagen zum Hoyzer-Skandal in den Schlagzeilen stand, gespottet. "HSV mit Glück und Gräfe weiter erstklassig", titelte die "Berliner Zeitung" nach dem Spiel. Die "Frankfurter Rundschau" kommentiert die HSV-Rettung gar doppeldeutig als "Gekauften Klassenerhalt". Und auch die ARD-Talkrunde "Hart aber fair" im Anschluss an das Live-Spiel widmete sich zum Einstieg noch einmal der umstrittenen Szene. Dabei sprach Fußball-Kommentatorin Sabine Töpperwien von einem "geschenkten Freistoß".
ARD-Experte Mehmet Scholl versuchte Gräfes Pfiff so zu erklären: "Tatsächlich ist es so, dass der Spieler seine Körperfläche nicht vergrößert", sagte der ehemalige Profi, der in Karlsruhe seine Karriere begann. "Aber Manuel Gräfe stand wohl so, dass er es nicht richtig sehen konnte." Woraufhin KSC-Trainer Kauczinski einwarf: "Wenn er es nicht sieht, dann darf er es auch nicht pfeifen."
Imaginärer Kühne-Scheck kursiert im Netz
Im Internet werden derweil sogar Tweets aus der Türkei oder Dänemark abgesetzt, die dem Referee eine eklatante Fehlentscheidung vorhalten. Einige Fans gehen im Netz sogar noch einen Schritt weiter und unterstellen Gräfe bewusste Manipulation. Neben Bildern von Gräfe in HSV-Trikots kursiert vor allem ein imaginärer Scheck über 150.000 Euro, ausgestellt von HSV-Investor Klaus-Michael Kühne und dem angeblichen Verwendungszweck "HSV in der 1. Liga halten".
So oder so sind die verhinderten Erstligisten aus Karlsruhe nach dem Relegations-Aus untröstlich. „Wenn man das Gefühl messen könnte, wie es sich anfühlt, wenn das Herz herausgerissen wird, dann trifft es das gut“, sagte Reinhold Yabo mit verheulten Augen. Mit seinem Führungstor in der 78. Minute war der Joker eigentlich schon zum Helden des Abends auserkoren.„Bitterer“ und „schlimmer“ hätte die Dramaturgie nicht sein können, klagte Todt.
HSV-Trainer Bruno Labbadia sprach bei der Pressekonferenz indes erstmal den leidgeprüften Badenern sein Kompliment aus - und das war nicht die übliche Floskel, sondern die pure Erleichterung, dass es ihn und sein Team nicht erwischt hatte. „Unglaublich, was ihr uns abverlangt habt“, sagte der frühere KSC-Stürmer: „Es würde mich riesig freuen, wenn ihr das Jahr drauf mit uns in der Bundesliga wärt.“
Und angesprochen auf eine etwaige Übervorteilung durch Schiedsrichter Gräfe sagte Labbadia: "Ich hatte nicht das Gefühl, dass er auf der einen Seite anders als auf der anderen gepfiffen hat."
(HA/dpa)