Hamburg. Der Vorstandschef spricht über die Außendarstellung des HSV, Interimstrainer Peter Knäbel und die fehlende Stabilität des Clubs.

An der Wand seines Büros ist das Ergebnis „HSV – Didi 2:1“ gekreidet. Spielt der Vorstandschef jetzt gegen seinen eigenen Club? Beiersdorfer lacht: „Nein, hier war neulich ein junger Redakteur einer Schülerzeitung, anschließend habe ich mit ihm im Büro noch gekickt. Und bei seinem Sieg etwas nachgeholfen.“ Was zeigt, dass Beiersdorfer, 51, den Humor in der Krise nicht verloren hat. Das Abendblatt traf den Vorstandsvorsitzenden vor dem Abschiedsspiel von David Jarolim. Kurz zuvor hatte der HSV bekannt gegeben, dass die Verträge von Rafael van der Vaart, Marcell Jansen, Gojko Kacar und Ivo Ilicevic nicht verlängert werden (Bericht unten).

Hamburger Abendblatt: Herr Beiersdorfer, sportlich ist beim HSV trotz des totalen Umbruchs im Sommer 2014 nichts besser geworden. Der HSV ist acht Spieltage vor Schluss 16., belegt also genauso den Relegationsplatz wie am Ende der vergangenen Fast-Abstiegssaison.

Dietmar Beiersdorfer: Es ist richtig, dass wir drei bis fünf Punkte hinter den Erwartungen liegen. Aber im Gegensatz zur Vorsaison spüren die Fans, dass die Mannschaft will. In Statistiken wie Laufleistung oder intensive Sprints war der HSV in der vergangenen Spielzeit Letzter, jetzt belegen wir hier Top-Positionen. Wir haben die Mannschaft zum Kämpfen und zum Laufen gebracht. Spielerisch ist unser Niveau bislang alles andere als zufriedenstellend. Und 16 Tore in 26 Spielen sind natürlich inakzeptabel.

Woran liegt die Misere?

Beiersdorfer : Wir bauen auf viele Jahre Misserfolg auf. Allein in der vergangenen Saison haben wir 75 Gegentore kassiert. Wir haben zwar versucht, das Gesicht Mannschaft zu verändern. Dennoch fällt es ihr schwer, wiederkehrende Rückschläge zu verarbeiten. So haben wir es nie geschafft, für Stabilität zu sorgen. Nach der Winterpause hatten wir nach der Niederlage in Köln zwar glücklich gegen Paderborn und Hannover gewonnen, dann aber aus sechs Spielen nur zwei Punkte geholt. Danach sahen wir uns gezwungen, durch den Trainerwechsel einen letzten Impuls zu setzen.

Herr Beiersdorfer, wir würden Sie gern mit Thesen konfrontieren, die unter Fans wie Experten diskutiert werden. Erste These: Die Mannschaft wurde völlig falsch zusammengestellt. Trotz Investitionen von 32 Millionen Euro in neun neue Spieler hat sich nichts zum Besseren geändert.

Beiersdorfer : Rein tabellarisch gesehen, kann man das so deuten. Ich sehe das anders. Zum einen haben wir auch Spieler für 25 Millionen Euro verkauft. Zum anderen bin ich überzeugt, dass jeder neue Spieler viel mehr draufhat, als er bislang zeigen konnte. Ein Nicolai Müller hat vergangene Saison für Mainz 05 zehn Tore geschossen. Wir haben es jedoch nie geschafft, offensiv so zu agieren, dass das auch hier möglich gewesen wäre. Pierre-Michel Lasogga hat vergangene Saison bei uns ja schon gezeigt, was er kann, jetzt war er leider nie in der notwendigen körperlichen Verfassung. Ohnehin hatten wir extremes Verletzungspech, mussten ständig in allen Mannschaftsteilen umbauen.

Zweite These: Beim HSV werden neue Spieler nicht besser sondern schlechter

Beiersdorfer : Da ist was dran. Neue Spieler profitieren in der Regel von einer funktionierenden Achse. Wir haben alle sehr hart dafür gearbeitet, dies zu ändern, um einen besseren Rahmen zu schaffen. 2003 hatten wir bei meinem Amtsantritt eine ähnliche Situation. Später waren wir der angesagte Verein in Deutschland für junge Spieler, um sich weiter zu entwickeln. Das ist also alles kein Hexenwerk, sondern absolut machbar. Aber wir brauchen mehr Zeit als gedacht. Ich wusste jedoch schon vor der Saison, dass wir hier nicht sofort durchstarten werden. Die Verunsicherung nach Jahren der Krise war zu groß. Siegermentalität muss sich erst wieder entwickeln.

Dritte These: Angesichts des Restprogramms muss der HSV froh sein, wenn es am Ende wieder für die Relegation reichen sollte.

Beiersdorfer : Nein, diese Mannschaft ist gut genug, um wieder zu punkten. Wir werden mit Sicherheit nicht darauf lauern, dass die Konkurrenz schwächelt. Und hätten wir gegen Berlin gewonnen, säßen wir jetzt hier nicht hier. Dann lägen wir zumindest nur zwei Punkte unter unseren Erwartungen.

Vierte These: Wenn es am Ende nicht reicht, hat sich das Thema Peter Knäbel erledigt. Dann ist sein Image durch den ersten Abstieg des HSV in der Bundesliga-Geschichte so stark beschädigt, dass er auch nicht als Sportchef weiter machen kann.

Beiersdorfer : Ich sage es Ihnen ganz deutlich: Mir geht das ganze Gerede vom HSV-Image komplett auf den Keks. Wir haben auch deshalb unsere Probleme, weil hier über Jahre viel zu sehr auf die Außendarstellung geachtet wurde und weniger auf überzeugende Inhalte. Ob den Journalisten denn auch gefällt, wenn wir mit dem einen Spieler weitermachen oder eben nicht. Dabei darf es doch einzig und allein nur um die aktuelle Leistung gehen. Und ich sage Ihnen: Wir ziehen unser Ding hier durch. Selbst wenn wir absteigen sollten, bleibt Peter Knäbel unser Direktor Profifußball. Weil er hervorragende Arbeit leistet.

Aber Sie müssen zugeben, dass es schon sehr gewagt ist, den HSV im Abstiegskampf einem Trainer anzuvertrauen, der das letzte Mal vor 15 Jahren einen unterklassigen Verein in der Schweiz trainiert hat.

Beiersdorfer : Es war nicht so, dass wir nicht über Alternativen nachgedacht haben. Doch wir waren dann überzeugt, dass Peter Knäbel in Verbindung mit Peter Hermann die richtige Lösung ist. Er hat schon mit 26 Jahren eine Mannschaft trainiert, er hat das nötige Rüstzeug. Außerdem hat die Lösung zwei große Vorteile.

Welche?

Beiersdorfer : Zum einen weiß jeder in der Mannschaft, dass auch nach der Saison kein Weg an Peter Knäbel als Direktor Profifußball vorbeiführen wird. Das sorgt für Klarheit. Und zum anderen kennt Peter Knäbel die Spieler ganz genau. Ihm werden Aha-Erlebnisse erspart bleiben, die hier jeder neue Trainer erleben würde. Dass ihm ein Spieler am Anfang ins Gesicht lacht, er sich am Schluss aber nicht auf ihn verlassen kann. Das ist bei Peter Knäbel ausgeschlossen.

Spielen wir einmal das optimaler Szenario durch. Knäbel gewinnt sechs der kommenden acht Spiele, wird von den Fans als „bester Mann der Welt“ gefeiert. Behalten Sie ihn dann als Trainer?

Beiersdorfer : Nein, wir brauchen ihn als Direktor Profifußball. Und er möchte nach den acht Spielen auch wieder in seinem angestammten Job arbeiten.

Dann wäre der Weg frei für Thomas Tuchel, Ihren Wunschtrainer im Fall des Klassenerhalts?

Beiersdorfer : Es ist bekannt, dass wir Gespräche hatten. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.

Falls es nicht reichten sollte, überdenken Sie dann Ihre Zukunft beim HSV?

Beiersdorfer : Nein, auch dann laufe ich nicht davon. Dann muss das Ziel direkter Wiederaufstieg heißen.

Wären bei einem Gang in die Zweite Liga die ambitionierten Projekte wie der Nachwuchs-Campus in Gefahr?

Beiersdorfer : Dank der großzügigen Unterstützung von Alexander Otto bauen wir den Campus auf jeden Fall. Wir gehen unseren Weg weiter.

Sie haben sich 2009 nach sechs erfolgreichen Jahren als Sportchef beim HSV verabschiedet. Wie hat sich das Geschäft seitdem verändert?

Beiersdorfer : In meiner ersten Amtszeit haben wir uns schon deshalb von den anderen Clubs abgesetzt, weil wir fleißiger waren und intelligenter gearbeitet haben. Das ist heute nicht mehr möglich, jetzt arbeiten alle gut und viel. Zudem ist es viel schwieriger geworden, Talente für kleines Geld vom Markt zu fischen, die nicht schon bei jedem Konkurrenten auf der Liste sind. Der wirtschaftliche Einfluss ist viel größer geworden.

Der HSV hat 2014 mit dem Umbau zur AG seine Strukturen völlig verändert.

Beiersdorfer : Der Schritt war wichtig. Wir waren zuvor in vielen Bereichen nicht mehr wettbewerbsfähig.

Stichwort Finanzen: Selbst im Fall des Klassenerhalts bleibt die finanzielle Situation beim HSV sehr angespannt. Wie wollen Sie da den angepeilten Umbruch finanzieren?

Beiersdorfer : Wir können doch aus Angst, dass wir uns keine neuen Spieler leisten können, nicht einfach alle Spieler weiterbeschäftigen (Schüttelt den Kopf). Das ist doch genau das, was wir nicht wollen. Außerdem werden durch die eingesparten Gehälter ja auch wieder Gelder frei.

Herr Beiersdorfer, bei Ihrem Amtsantritt wurden Sie wie ein Heilsbringer gefeiert. Wie sehr belastet Sie der Abstiegskampf persönlich?

Beiersdorfer : Dass der Job sehr schwierig wird, war mir vorher klar. Natürlich belastet mich das. Ich werde erst dann wieder mit Freude entspannt essen gehen können, wenn wir uns aus dieser Lage befreit haben.