Diese Saison sollte im Zeichen des Aufbruchs stehen. Doch in der Not setzt der HSV mit der Trainerwahl auf volles Risiko.

Sein erster Auftritt als Trainer des HSV brachte Peter Knäbel bereits an den Rand seiner Toleranz-Grenzen. Die Mannschaft knicke immer wieder zu schnell ein, sagte der 48 Jahre alte Trainer des HSV nach dem 0:0 im Test beim Drittligisten VfL Osnabrück am Donnerstag. „Das Selbstvertrauen schmilzt wie Eis in der Sonne.“ Zu wenig Mut und Konsequenz hat er obendrein festgestellt. Gerade diese Eigenschaften haben Knäbel während seiner 27 Jahre im Profifußball-Geschäft allerdings immer begleitet.

Christian Hinzpeter hat als Vize-Präsident des FC St. Pauli viele Spieler kommen und gehen sehen. Als Peter Knäbel 1988 aus dem Nachwuchs des VfL Bochum nach Hamburg kam, da war den Verantwortlichen schnell klar: Hier kommt ein besonderer Fußballer. „Er hat sich zu 1000 Prozent mit dem Fußball auseinander gesetzt“, erinnert sich Hinzpeter, der heute als Sport-Manager aktiv in die Hamburger Olympia-Bewerbung eingebunden ist. „Ich musste damals mit Peter die Verhandlungen führen. Das war schon ziemlich schwierig“, sagt Hinzpeter mit einem Lächeln. „Er war sehr penibel.“

Schon als junger Profi verantwortungsbewusst und interessiert an allem, was mit dem Profi-Geschäft zu tun hat. Das zeichnete Peter Knäbel, der den HSV als Trainer in den kommenden acht Wochen vor dem Abstieg retten soll, aus. „Bei uns ging das bis zum medizinischen Bereich“, erinnert sich Christian Hinzpeter. „Wenn Peter zu unserem Mannschaftsarzt Benckendorff ging, hat er dem Doc genau diagnostiziert, welche Verletzung ihn plagt.“ Hinzpeter bezeichnet Knäbel im Rückblick als die linke und die rechte Hand des Trainers. Das war damals für zweieinhalb Jahre Helmut Schulte.

„Knäbels große Stärke ist es, Menschen mitzunehmen“

„Er hat immer über den Tellerrand hinausgeschaut“, sagt heute dieser Schulte, der heute Sportlicher Leiter ist bei Fortuna Düsseldorf. Was Knäbels neuen Job angeht, sprechen seine ehemaligen Weggefährten von einer „wahnsinnig mutigen Entscheidung“. Helmut Schulte betrachtet dies allerdings nicht als großes Risiko, selbst wenn Knäbels bislang letzter Job als Trainer des FC Winterthur in der Schweiz 15 Jahr zurückliegt. „Er hat zwar keine große Erfahrung als Profi-Trainer, aber er weiß doch, worum es geht. Die Gefahr, dass sich Peter falsch einschätzen würde, sehe ich nicht. Er hat die Aufgabe natürlich nicht für sich selbst, sondern für den HSV übernommen. Und ich wünsche ihm, dass er es zum Erfolg führt.“

Erfolg – das heißt, den HSV bis Ende Mai – oder notfalls durch die Relegation bis Anfang Juni – in der Bundesliga zu halten. An mangelndem Einsatz Knäbels wird es nicht scheitern, dessen ist sich Marinus Bester sicher. Der ehemalige Bundesliga-Stürmer des HSV arbeitet seit einem halben Jahr als Referent Knäbels in der Geschäftsstelle des Vereins. „In unserem ersten Gespräch hat er mich zunächst ausgesaugt“, berichtet Bester. Knäbel habe alles wissen wollen, Fakten, Einschätzungen, Zusammenhänge. Mit dem Bild, das sich daraus ergeben hat, legte Knäbel los.

HSV trifft auch nicht gegen Drittligisten

Artjoms Rudnevs humpelt beim 0:0 im Testspiel gegen Osnabrück in die Kabine
Artjoms Rudnevs humpelt beim 0:0 im Testspiel gegen Osnabrück in die Kabine © WITTERS | UweSpeck
Vorausgegangen war ein Schlag auf’s Knie
Vorausgegangen war ein Schlag auf’s Knie © WITTERS | UweSpeck
Auch unter Interimstrainer Peter Knäbel bleibt der HSV torlos
Auch unter Interimstrainer Peter Knäbel bleibt der HSV torlos © WITTERS | UweSpeck
Die treuen HSV-Fans warteten mal wieder vergeblich auf einen eigenen Treffer
Die treuen HSV-Fans warteten mal wieder vergeblich auf einen eigenen Treffer © WITTERS | UweSpeck
Auch mit Pierre-Michel Lasogga hält die Torflaute der Hamburger an. Der Stürmer wurde nach enttäuschender Leistung in der 61. Minute durch Müller ersetzt
Auch mit Pierre-Michel Lasogga hält die Torflaute der Hamburger an. Der Stürmer wurde nach enttäuschender Leistung in der 61. Minute durch Müller ersetzt © WITTERS | UweSpeck
Maximilian Beister erhielt den Vorzug vor Nicolai Müller. Ein Fingerzeig Richtung Leverkusen?
Maximilian Beister erhielt den Vorzug vor Nicolai Müller. Ein Fingerzeig Richtung Leverkusen? © imago/osnapix | imago sportfotodienst
Petr Jiracek räumte wie gewohnt souverän vor der Abwehr ab
Petr Jiracek räumte wie gewohnt souverän vor der Abwehr ab © imago/osnapix | imago sportfotodienst
Lewis Holtby erhielt 73 Minuten Spielpraxis
Lewis Holtby erhielt 73 Minuten Spielpraxis © imago/osnapix | imago sportfotodienst
Cléber Reis stand trotz Sperre in der Bundesliga in der Startelf
Cléber Reis stand trotz Sperre in der Bundesliga in der Startelf © Bongarts/Getty Images | Stuart Franklin
Auch Gojko Kacar durfte von Beginn an ran
Auch Gojko Kacar durfte von Beginn an ran © Bongarts/Getty Images | Stuart Franklin
Die HSV-Profis klatschen nach dem Spiel bei den mitgereisten Fans ab
Die HSV-Profis klatschen nach dem Spiel bei den mitgereisten Fans ab © Bongarts/Getty Images | Stuart Franklin
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„Seine große Stärke ist es, Menschen mitzunehmen“, sagt Marinus Bester. „Er schätzt jeden Einzelnen, nimmt die Menschen ernst. Er stellt sich nicht hin und sagt: ‚Ihr habt alle keine Ahnung.‘ Sondern er versteht es, die Leute für seine Dinge zu begeistern.“ Dass Peter Knäbel dabei eher intellektuell und analytisch daherkommt und nach außen keine derbe Fußballer-Sprache pflegt, sieht Bester nicht als Nachteil. Es brauche im Moment schließlich „keinen Schleifer, der die Spieler Medizinbälle durch die Gegend tragen lässt“. So wie er Knäbel erlebt habe, könne er auch auf die Mannschaft wirken – psychologisch, mit einfachen Schritten, klar in der Ansprache.

Gelingt Knäbel der Spagat zwischen Sportchef und Trainer?

Vorbehalte gegen ihn als Trainer, Zweifel an seiner Erfahrung im Abstiegskampf – natürlich wird auch Peter Knäbel selbst damit konfrontiert. „Ich bin nicht dafür da, Werbung in eigener Sache zu betreiben“, sagte Knäbel bei seiner offiziellen Vorstellung vergangenen Montag. Wer sich ein Bild von ihm als Trainer machen wolle, könne ja einfach zugucken. Knäbel vertraut darauf, dass ihm sein Fußballverstand die entscheidenden Antworten gibt auf die Defizite in der Mannschaft. Er ist es gewohnt, Erfolg zu haben. Die kleine Schweiz wurde in seiner Zeit als Technischer Direktor des nationalen Fußball-Verbandes zu einer respektablen Fußballgröße.

Knäbels neue Rolle beim HSV ist durchaus kompliziert. Die Spieler kennen ihn bislang als Direktor Profi-Fußball. Einigen der Akteure, deren Verträge zum Saisonende auslaufen, ist Knäbel in den vergangenen Wochen bereits in Gesprächen mit unangenehmer Thematik begegnet. Nun der Rollenwechsel. Vereins-Chef Dietmar Beiersdorfer wird zum „Bad Cop“, der Trennungen verkünden muss – Peter Knäbel wird zum „Good Cop“, der an die Stärken und die Ehre der Profis appelliert, damit der Club nicht absteigt.

Aber da ist ja diese eine Eigenschaft von Peter Knäbel. Er sei die beste Option in der aktuellen Lage, sagt Vereins-Boss Beiersdorfer. Er treffe Entscheidungen und sei – genau – „mutig“. Wie sehr sehnen sich die Fans des HSV nach diesem Mut ihrer Lieblinge auf dem Bundesliga-Rasen. Stattdessen fallen sie immer wieder um, wenn es hart wird. Reichen acht Knäbel-Wochen, um seine hervorstechende Eigenschaft auf das Team zu übertragen?

Sollte es am Ende schiefgehen, und der HSV doch in die Zweite Bundesliga absteigen, dann steht das Urteil für Ex-St.-Pauli-Trainer Schulte fest. „Dann ist die Mission gescheitert, aber nicht Peter. Er ist ein guter Mensch und hätte es verdient, dass er es schafft.“