Mit Rabatten und kreativen Aktionen versucht der Bundesliga-Dino, den Rückgang der Zuschauerzahlen aufzuhalten. Wie der angeschlagene Verein um seine Fans kämpft.
Hamburg. Es kann ein richtiges Fußballfest werden. Flutlichtspiel, angenehmes Wetter und mit Bayer Leverkusen ein attraktiver Gegner vor der Brust, der sich vermutlich nicht nur hinten reinstellen wird, sondern einen Sieg im Duell um die Champions-League-Plätze genauso nötig hat wie der HSV einen Erfolg im Abstiegskampf. Mit einem Dreier könnte der HSV vorlegen, zumindest bis Sonnabend auf Platz 15 vorrücken und die Konkurrenz damit unter Druck setzen. Diese Kombination müsste die Fans am Freitagabend (im Liveticker bei abendblatt.de, 20.30 Uhr) eigentlich in Scharen in die Imtech Arena locken – tut sie aber nicht. Bis Mittwoch waren nur 47.000 Karten verkauft und trotz Rabatt werden kaum mehr als 48.000 Zuschauer erwartet. Um 50 Prozent hatte der HSV die Preise für insgesamt 1000 Tickets auf der Westtribüne gesenkt, statt 52 kosten diese nur noch 25 Euro.
Die Zeiten des ganz großen Ansturms auf den Bundesliga-Dino sind offenbar vorbei. Der aktuelle Zuschauerschnitt von gut 51.000 befindet sich zwar immer noch auf einem hohen Niveau, nur vier Teams in der Bundesliga konnten in dieser Spielzeit mehr Fans ins Stadion locken. Doch in der Saison 2006/07 besuchten noch über 56.000 Zuschauer den HSV pro Partie, elf der 17 Heimspiele waren damals ausverkauft. Seitdem ging es fast stetig bergab (siehe Grafik). Ausverkauft meldete der Club 2013/14 erst zweimal, kalkuliert hat der HSV mit 52.000 Fans.
Für Oliver Scheel, Vorstand für Mitgliederbelange, nicht verwunderlich: „Die Heimspielperformance war in den letzten Jahren weder sehenswert noch besonders erfreulich, das muss man einsehen. Da gibt es sicherlich eine Reihe von Anhängern, die sich sagen, so etwas tue ich mir nicht mehr an.“ Der Zuschauerrückgang macht sich auch in der klammen HSV-Kasse bemerkbar. 1000 Fans weniger im Schnitt als erwartet hinterlassen ein Loch von rund einer halben Million Euro, so Scheel. Zudem verlieren auch die umsatzbringenden VIP-Tickets an Beliebtheit. Bis zum 31. März konnten die rund 4200 Besitzer der Edelkarten diese kündigen, mehr als ein Drittel machte davon Gebrauch.
Fan-Aufstand gegen Hertha
Vor allem nach den Erfahrungen Anfang des Jahres, als die Mannschaft unter Bert van Marwijk wohl vier der schlechtesten Partien der Vereinshistorie in Folge abgeliefert hatte, drohte eine echte Abspaltung der Anhänger. Bei der 0:3-Niederlage gegen Schalke verließen mehr als die Hälfte aller Zuschauer die Arena vor dem Schlusspfiff, und die dritte 0:3-Niederlage in Folge gipfelte nach dem Spiel gegen Hertha BSC Berlin im Februar in einen Fan-Aufstand, der so ausartete, dass Stürmer Jacques Zoua in Tränen ausbrach.
Doch die Stimmung hat sich mittlerweile gewandelt. Daran war Mirko Slomka nicht ganz unschuldig, denn der neue Coach hat für einen Aufbruch gesorgt, in nahezu jedem Pressegespräch an die Fans appelliert und diese für ihr außerordentliches Auftreten gelobt. Die geschmeichelten Anhänger zahlten es dem Coach erstmals bei dem 3:0-Sieg gegen Dortmund zurück, als jeder Befreiungsschlag und jedes gewonnene Kopfballduell frenetisch beklatscht wurde. „Die Begeisterungsfähigkeit der Fans ist ein Aspekt für den Erfolg. Unsere gute Punkteausbeute zu Hause liegt nicht zuletzt daran, dass der Funke von den Tribünen auf die Spieler übergesprungen ist“, kann Slomka sein Lob heute nur wiederholen.
Nach dem Dortmund-Spiel versuchte der Verein weiter, die Fans in ungewohntem Maße für Solidarität für ihren Club zu begeistern. Das vom Verein initiierte Motto „Flagge zeigen“ etablierte sich rasend schnell, in der gesamten Stadt sah und sieht man noch heute in hoher Zahl Fahnen mit der Raute aus Fenstern hängen, Fotos in den sozialen Netzwerken übertreffen sich an Originalität. Und vor dem Freiburg-Spiel rief der Verein zum „Trikot-Tag“ auf, um Zusammenhalt zu demonstrieren. Auch hier lockten Rabatte, das Trikot wurde 40 Prozent unter dem Normalpreis verkauft. Noch vor dem Wolfsburg-Spiel ist eine weitere Aktion geplant, dieses Mal aus der Fan-Szene kommend.
Scheel ist sich sicher, dass diese Aktionen Wirkung zeigen und der Zuschauerschnitt schon bald wieder bei „53.000 oder 54.000“ liegen wird – vorausgesetzt, die Mannschaft steigt nicht ab. Und auch bei Milan Badelj hat die Anhängerschaft in den vergangenen Partien Eindruck hinterlassen. „Das gibt es so wohl bei keinem anderen Club auf der Welt. Die Fans haben allen Grund, unzufrieden zu sein, doch die Unterstützung ist einmalig.“
Der Vorverkauf für das vorletzte Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg läuft recht ordentlich, fast 43.000 Tickets wurden bisher abgesetzt. Beim Heimfinale gegen die Bayern wird die Arena wohl ausverkauft sein. Vor allem aber bei Spielen in der Fremde ist der Support erstklassig. Die zehn Prozent der Tickets, die dem Auswärtsverein zur Verfügung stehen, werden fast immer ausgeschöpft. Am Mittwoch bildeten sich sogar Schlangen vor dem Ticketverkauf am Stadion, da die rund 3000 Karten für das letzte Auswärtsspiel in Mainz erstmalig zu erwerben waren. Innerhalb weniger Stunden waren diese vergriffen. Zumindest dort glauben die Fans also offenbar doch noch an ein wahres Fußballfest – mit Happy End.