HSV-Chef Carl Jarchow und sein Werder-Kollege Klaus Filbry sind überzeugt, dass ihre Clubs den Klassenerhalt schaffen werden. Am Sonnabend findet das 100. Nordderby zwischen den beiden Vereinen statt.
Groß Meckelsen. Der Ort für den Gipfel vor dem großen Derby hätte kaum besser gewählt sein können. Fast genau auf halber Strecke trafen sich am Donnerstag im Hotel Schröder in Groß Meckelsen HSV-Vorstandschef Carl Jarchow und Klaus Filbry, Vorsitzender der Geschäftsführung bei Werder Bremen – 59,9 Kilometer vom Volkspark und 58,5 Kilometer vom Weserstadion entfernt. Auf Einladung des Bremer „Weser-Kuriers“ und des Hamburger Abendblatts sprachen sie über das Spiel am Sonnabend, Fehler der Vergangenheit und die ungerechte Verteilung der Champions-League-Einnahmen.
Hamburger Abendblatt: Herr Jarchow, Herr Filbry, wie hoch wird Ihr Puls sein, wenn am Sonnabend um 15.30 Uhr das 100. Nordderby angepfiffen wird.
Carl Jarchow: Sehr hoch, aber das wäre gegen Nürnberg oder Frankfurt nicht anders. Für uns geht es in jedem Spiel um sehr viel.Das ist bei mir genauso. Wobei ich sehr hoffe, dass wir ein hochemotionales, aber friedliches Derby erleben werden. Diesem Wunsch schließe ich mich ausdrücklich an. Ich appelliere an die Fans beider Vereine: keine Pyros, keine Gewalt. Es wäre ein erster Sieg für beide Clubs, wenn es weder bei der An- und Abreise noch im Stadion zu irgendwelchen Problemen kommt.
Dieses Derby ist durch die Abstiegsgefahr, in der sich beide Vereine befinden, besonders brisant. Vor vier Jahren duellierten sich die Clubs noch um den Einzug in das Finale des Uefa-Cups. Was ist seitdem schiefgelaufen?
Filbry: In der Saison 2010/11 sind wir mit einem Kader mit den Personalkosten eines Champions-League-Teilnehmers in Abstiegsgefahr geraten. Uns fehlten im Etat 25 Millionen Euro aus dem internationalen Geschäft. Wir müssen weiter den schwierigen Spagat zwischen einem wirtschaftlichen Konsolidierungskurs und sportlicher Leistungsfähigkeit bewältigen. Aber unser Ziel ist klar: Schritt für Schritt wieder nach oben.
Jarchow: Als ich vor drei Jahren dieses Amt übernommen habe, hatten wir eine durchaus attraktive Mannschaft mit hoch bezahlten Spielern, von denen viele allerdings am Ende ihrer Karriere standen. So eine Rechnung geht auf, wenn man international erfolgreich spielt. So aber mussten wir die Personalkosten radikal reduzieren, um eine schwierige Liquiditätssituation zu vermeiden.
Unbestritten ist allerdings auch, dass Sie beide eine Reihe von Fehleinkäufen zu verantworten haben.
Filbry: Ich halte nicht viel von dem Begriff Fehleinkauf. Es gibt immer Spieler, die bei dem einen Verein funktionieren und dann bei dem anderen nicht. Richtig ist allerdings, dass wir den einen oder anderen Profi verpflichtet haben, der dann bei uns seine Leistung nicht abgerufen hat. Von Spielern wie etwa Marko Arnautovic oder Wesley hatten wir uns mehr versprochen.
Jarchow: Auch wir müssen uns den Vorwurf gefallen lassen, dass wir Spieler geholt haben, die gemessen an ihrer Leistung zu teuer waren. Andererseits ist dieses Geschäft sehr schnelllebig. Unter unserem neuem Trainer Mirko Slomka sind jetzt Spieler angesagt, die vorher gar keine Rolle mehr spielten.
Sie spielen vor allem auf den bereits ausgemusterten Slobodan Rajkovic an, der beim 3:0 gegen Dortmund sehr gut verteidigte. Aber ist nicht dieser ständige Wechsel auf der Trainerposition das entscheidende Problem.
Jarchow: Thorsten Fink war zwei Jahre im Amt, was in etwa der durchschnittlichen Verweildauer eines Bundesligatrainers entspricht. Bert van Marwijk war nur sehr kurz da, was uns alle sehr schmerzt, wobei viele im Umfeld des Vereins ihn schon viel früher entlassen hätten. Das tut weh, und es ist richtig, dass der Mangel an Kontinuität dazu führt, dass die Mannschaft nicht optimal zusammengestellt ist. Jeder neue Trainer oder neue Sportchef will seine Ideen einbringen.
Werder hält dagegen an Robin Dutt trotz der Krise fest.
Filbry: Ich glaube schon, dass da die Uhren in Bremen etwas anders gehen. Mit Thomas Schaaf und Otto Rehhagel hatten wir zwei Trainer, die außergewöhnlich lange hier arbeiten konnten. Den Kurs dieser Ruhe und Bedachtsamkeit halte ich für absolut richtig. Und ich bin völlig von Robin Dutt und seiner Arbeit überzeugt, sodass wir sie überhaupt nicht infrage stellen.
Robin Dutt hat gesagt, er ist froh, dass er beim richtigen Nordverein ist.
Jarchow: Robin Dutt kennt ja auch im Gegensatz zu mir mehrere andere Vereine von innen. Ich bin seit 40 Jahren beim HSV, seit 25 Jahren Mitglied.
Es gab Zeiten, da waren Werder und der HSV mit den Bayern auf Augenhöhe. Jetzt scheint nicht nur München weit enteilt, sondern auch Borussia Dortmund und der FC Schalke 04. Wie wollen Sie diese Lücke jemals schließen?
Filbry: Mit kreativen Transfers, die uns in den Jahren zwischen 1999 und 2004 nach oben gebracht haben. Und wir erhöhen die Durchlässigkeit aus dem Jugendbereich in die Profiabteilung.
Aber die Kluft zu den regelmäßigen Champions-League-Teilnehmern wird doch immer größer.
Filbry: Das ist richtig. Und hier sehe ich auch die Uefa gefordert. Die Gelder müssen anders verteilt werden. Ich bin zwar dagegen, dass Vereine belohnt werden, die sportlich nichts erreicht haben. Aber die Lücke der Einnahmen zwischen Champions League und Europa League muss reduziert werden.Das sehe ich genauso. Wenn du heute in der Europa League unattraktive Gegner bekommst und nicht gerade das Halbfinale erreichst, verdienst du kaum Geld. Der Unterschied ist einfach zu krass. Grundsätzlich wird es für Traditionsvereine ohne internationales Geschäft immer schwerer. Vereine wie Hoffenheim, Wolfsburg oder Leverkusen haben da ganz anderes Potenzial. In Wolfsburg kommen zu den Heimspielen 25.000 Leute, und die leisten sich trotzdem Spieler für 20 Millionen Euro Ablöse.
Herr Filbry, können Sie denn die wirtschaftliche Lücke zum HSV überhaupt schließen? Bremen ist deutlich kleiner als Hamburg, hat nicht annähernd die Wirtschaftskraft der zweitgrößten deutschen Stadt.
Filbry: Aber Werder liegt in der ewigen Bundesligatabelle noch immer vor dem HSV......das tut jetzt weh ... ... und ich hoffe sehr, dass wir auch in der aktuellen Tabelle nach dem Derby noch vor dem HSV rangieren werden. Unser Stadion ist zwar kleiner, aber in Sachen Sponsoring-Einnahmen liegen wir ungefähr auf Augenhöhe. Vor allem aber haben wir über all die Jahrzehnte klug gewirtschaftet, wir haben immer noch eine positive Eigenkapitalquote, sind schuldenfrei.
Was waren Ihre schönsten Derby-Erlebnisse?
Jarchow: Ich habe viele Derbys erlebt. Eines der schönsten war der 4:1-Sieg im Weserstadion 1973. Ich hatte versehentlich eine Karte für den Werder-Block gekauft. Da musste ich mich doch sehr disziplinieren. Der 2:0-Sieg im Hinspiel hat schon sehr gutgetan. Vor allem habe ich mich für den zweimaligen Torschützen Nils Petersen gefreut, der eine lange Durststrecke überwinden konnte.
Die kleine Fee sagt: Sie dürfen sich einen Spieler vom Gegner kostenlos holen. Wen würden Sie verpflichten?
Jarchow: Ich denke eben diesen Nils Petersen. Mit dem hatten wir uns schon beschäftigt, als er noch in Cottbus spielte, aber er ist ja dann zu den Bayern gegangen. Wir haben eine tollen Kader, daher stellt sich diese Frage nicht. Das war aber jetzt sehr diplomatisch.
Beschäftigen Sie sich schon mit der Zweiten Liga?
Filbry: Nein, unser ganzer Fokus gilt dem Klassenerhalt.
Aber Sie müssen doch die Lizenzunterlagen für die Zweite Liga einreichen.
Filbry: Da geht es nur um Zahlen. Und das müssen zehn andere Clubs auch. Dazu ist man verpflichtet, sonst würde der Sturz in die Dritte Liga drohen.
Warum sind Sie überzeugt, dass der Abstieg vermieden werden kann?
Jarchow: Weil wir genau wie Werder qualitativ besser besetzt sind als die Konkurrenz im Abstiegskampf. Und beim 3:0 gegen Dortmund haben wir gezeigt, dass wir mit diesem Trainer auf dem richtigen Weg sind. Diese Derbys wird es weiter in der Bundesliga geben. Zudem haben wir einen erstklassigen zwölften Mann, unsere Fans. Die Unterstützung im Abstiegskampf in der vergangenen Saison hat ja bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt. Das habe ich auch registriert. Aber auch wir können uns immer auf unsere Fans verlassen, obwohl wir sie in den vergangenen Jahren nicht eben verwöhnt haben.
Nach dem 0:3 gegen Hertha BSC kam es aber zu einem Aufstand vor dem Stadion.
Jarchow: Ich stand in der ersten Reihe, es gab keine Gewalt. Den Unmut vieler Fans nach so einer Leistung kann ich verstehen. Dass dann Spielerautos beschädigt wurden, ist natürlich nicht zu akzeptieren. Aber das war eine verschwindende Minderheit.
Abschießend Ihre Tipps?
Jarchow: Tut mir leid, ich tippe grundsätzlich nicht.
Filbry: Möge der Bessere gewinnen. Und ich hoffe, das wird Werder sein.