Die Berufung von Roger Stilz zum Co-Trainer des HSV überraschte viele im vergangenen Sommer – jetzt erlebt der Schweizer schon den zweiten Cheftrainer in einer Krisensituation.

Die Einladung zum Gespräch kam kurzfristig, spontan, per SMS. Um 8.30 Uhr am Morgen. In einer Stunde habe er jetzt Zeit, ob das passt? Aber klar. Es ist ja nicht so einfach, mal eben mit einem HSV-Trainer einen Kaffee zu trinken. Grundsätzlich nicht und in diesen Tagen schon gar nicht.

„Was mich schon etwas überrascht hat, wie sehr man sich rund um die Uhr mit dem Job beschäftigt“, sagt Roger Stilz: „Ich bin lange Tage und unregelmäßige Arbeitszeiten gewohnt. Nur die mentale Dauerbelastung ist in der Bundesliga enorm.“

In der Hamburger Fußballszene hat der Schweizer ja schon lange einen guten Namen. Feines Füßchen, Spielmacher. Erst bei Altona 93, dann SC Victoria. Dort auch seit 2007 Jugendkoordinator und schon als Spieler Co-Trainer.

„Ich wollte immer Trainer sein“

Aber als er im Sommer Assistenz-Coach bei den HSV-Profis wurde, das hat schon manchen erstaunt. Stilz auch, aber irgendwie auch nicht: „Ich habe immer darauf hingearbeitet, dass so ein Anruf mal kommen könnte. Ich wollte immer Trainer sein und ich glaube, dass ich einige Fähigkeiten, die man in diesem Beruf braucht, mitbringe.“

Thorsten Fink meldete sich im Sommer, er wollte jemanden aus Hamburg im Team haben. Finks zwei Söhne spielten bei Victoria, man kannte sich, trank auch mal einen Kaffee, traf sich auf Geburtstagsfeiern gemeinsamer Bekannter. Dass es auch Trainerangebote in den Nachwuchsbereichen des VfL Wolfsburg und dem FC St. Pauli gab, spricht eben auch für den guten Namen, den sich Stilz in neun Jahren Hamburg erworben hat.

Aber dieser Sprung? Der 36-Jährige hatte neben der Spieler-Trainer-Jugend-Tätigkeit bei „Vicki“ als Werbe-Model, Texter und Journalist – auch für die „Welt am Sonntag“ – gearbeitet. Freiberuflich, hat Rechnungen geschrieben, war sein eigener Herr. Plötzlich wurde er Teil der Maschinerie Bundesliga, mit festem Vertrag, der noch bis Saisonende läuft.

Kompetenz, Klarheit und Konsequenz

Er soll Topstars anleiten, die Millionen verdienen, van der Vaart, Adler, Jansen. Dafür ist schon ein ausgeprägtes Selbstvertrauen notwendig. „Ich bin überzeugt davon, dass es gut war für meine Tätigkeit jetzt, dass ich viele verschiedene Erfahrungen gemacht habe“, sagt Stilz, „ich war immer flexibel und anpassungsfähig. Und ich weiß, wo ich stehe, was ich kann und was ich noch nicht kann.“

Außerdem – er hat ja auch in der Schweiz schon auf professionellem Niveau gespielt, wenn auch zweite Liga. Sechs Europacup-Einsätze mit dem FC Vaduz immerhin. Tägliches Training, sieben Einheiten die Woche, volle Konzentration auf Fußball, Fitness, Psychologie, Gruppendynamik, Auftreten in der Kabine, das ist alles nicht neu.

In einem seiner letzten Spiele als Amateurkicker schoss er im vergangenen Sommer den SC Victoria mit einem Traumtor zum Pokalsieg, er kennt sich also aus. „Gewisse Mechanismen sind überall gleich. Und die Spielfeldgröße verändert sich auch nicht. Und man hat es immer mit Menschen zu tun. Und ich mag Menschen“, meint Roger Stilz, „für mich sind Authentizität, Kompetenz, Klarheit und Konsequenz wichtige Schlagworte – das gilt auch auf Bundesliga-Niveau.“

Guter Austausch mit van Marwijk

Dennoch ist er natürlich nicht wie Hans Allwissend zu seinem ersten Arbeitstag am Volkspark erschienen. Erst mal etwas zurückhaltend, alles anschauen. Sich den Jüngeren und weniger Etablierten annehmen, das ist ja auch ein Teil seiner Aufgabe. Insbesondere die Verbindung zum U23-Team. Dennoch wurde er schnell getestet: „Natürlich haben mich die Profis beäugt. Da war es auch wichtig, keinesfalls eine Show abzuziehen. Rafael van der Vaart holte mich in den Kreis, ich sollte mitkicken. War sicher ganz gut, dass ich das ein bisschen kann.“ Der Einstieg war gelungen.

Dass es mit Thorsten Fink so schnell wieder vorbei sein würde, das hatte auch Roger Stilz nicht geahnt. „Ich hatte immer das Gefühl, dass Thorsten es hinkriegen kann.“ Nach dem 2:6 in Dortmund jedoch wusste er, dass es jetzt eng wird. Da kamen schon die Gedanken hoch, wie geht es weiter. Mit der Mannschaft, mit dem Team, mit den Trainern. „Und bist du auch betroffen?“ „Es gab eine Zeit der Ungewissheit“, erzählt er, „ich habe vor allem gedacht, es wäre schade, wenn es schon vorbei wäre. Das wäre einfach zu schnell gewesen.“ Die Unsicherheit aber dauerte nicht lange. Sportchef Oliver Kreuzer rief sehr schnell an und teilte mit, dass Stilz bleiben soll.

Dann kam Bert van Marwijk. Der Niederländer wollte viel wissen, fragte, Stilz antwortete. Stand in den ersten Trainingseinheiten regelmäßig an der Seite des erfahrenen Coaches, während die Profis übten: „Ich habe dabei darauf geachtet, nichts zu sagen, was seinen eigenen Eindruck verfälschen könnte. Er ist als Trainer Vizeweltmeister geworden, dem werde ich doch nichts aufdrängen.“ Der Austausch sei sehr gut mit van Marwijk, sie reden viel.

„Ich bin jetzt richtig angefixt“

Und natürlich sei der Cheftrainer viel offener und freundlicher, als es in der Öffentlichkeit manchmal den Eindruck macht. Die Taktik, die mentale, die sportliche, die psychologische Ebene, alles wird im Trainerteam besprochen, die Spielanalyse des kommenden Gegners. Das tägliche Durchsprechen von Verletzungen, Spielerform, die andauernden sportliche Krisen, die Kritik am Chefcoach – „es ist sehr intensiv. Es ist spannend, ich lerne unheimlich viel und ziehe natürlich auch meine eigenen Schlüsse“, erklärt Stilz.

Und die Zukunft? Dass jetzt auch Trainer zunehmend Anerkennung finden, die nicht in der Bundesliga gespielt haben – wie Markus Gisdol in Hoffenheim, Thomas Tuchel in Mainz oder Robin Dutt in Bremen macht Mut.

Roger Stilz aus St. Gallen, der 2004 nach Hamburg kam, weil er genug hatte von der zweiten Schweizer Liga, weil er Neues kennenlernen wollte, eigentlich nur ein Jahr lang im Norden, der aber mittlerweile in Hamburg heimisch geworden ist, einen 15 Monate alten Sohn hat, seit 2007 ein abgeschlossenes Germanistikstudium, dieser Roger Stilz sorgt sich offenbar nicht. Den Fußballlehrerschein will er in den nächsten zwei Jahren machen, er sieht seine Zukunft endgültig im Trainerberuf: „Der Job ist so komplex, so spannend, so vielfältig – ich bin jetzt richtig angefixt.“