Hamburg verdient jährlich 90 Millionen Euro durch seinen Bundesligaclub. Bei einem Abstieg droht der Hansestadt laut HWWI „eine gefährliche Zäsur“. 400 Fans bei Mutmachaktion am Trainingsgelände.
Hamburg. Im Kultur- und Gewerbespeicher in der Kehrwiederspitze 2 ist die Hamburger Welt noch in Ordnung. Täglich kommen hier 1500 Mini-Züge an, Hagenbecks Tierpark und der Michel leuchten, und das Beste: Jeden Tag kann hier ein knapper Sieg des HSV bejubelt werden. Es ist ein hanseatisches Utopia, leider nur eine auf rund 200 Quadratmetern nachgebaute Hamburg-Attraktion im Miniatur Wunderland. Doch geht es nach den Machern des Wunderlands, soll bald auch wieder in der wirklichen Welt, also zumindest in der seit Monaten kriselnden HSV-Welt, alles besser werden. „Es geht um unseren HSV, der hier in Hamburg gerade zerfleischt wird“, schreiben Frederik und Gerrit Braun, die Geschäftsführer des Miniatur Wunderlandes, in einem Facebook-Aufruf. Mit ihren „Fünf Geboten im Abstiegskampf“ (Keine Pfiffe, niemand verlässt vorzeitig das Stadion, für den HSV aufstehen, auch bei Gegentoren weiter anfeuern, und: In jedem Spiel alles für den HSV geben, als wäre es das letzte) wollen sie dafür sorgen, dass ihr Verein von ganz Hamburg mehr unterstützt wird.
In der virtuellen Welt – nicht im Wunderland, sondern im Internet – darf der öffentliche Aufruf nach 23.962 geklickten „Likes“ bereits als Erfolg gewertet werden. Aber auch im analogen Hamburg hat sich die Aktion herumgesprochen. Denn selbst den meisten nicht eingefleischten HSV-Anhängern ist klar, dass ein Abstieg des Bundesliga-Dinos für die Hansestadt fatale Folgen hätte. „Das wäre eine Katastrophe“, sagt Malte Heyne, Leiter der Abteilung Sportwissenschaft in der Handelskammer. So würde die Stadt nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht leiden, sondern auch einen kaum zu reparierenden Image-Schaden erleiden. „Eine große Stadt wie Hamburg braucht einen Fußballverein in der Bundesliga. Das strahlt in die ganze Welt.“
Doch würde ein Abstieg die Stadt tatsächlich teuer zu stehen kommen? Ja, sagt Prof. Henning Vöpel, der für das Hamburger WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) bereits 2008 die regionalwirtschaftlichen Effekte des HSV für die Metropolregion Hamburg untersucht hat. Sein damaliges Fazit: Insgesamt würde im Zusammenhang mit dem HSV ein Nettoeinkommenszufluss in Höhe von 84 Millionen Euro für die Region Hamburg und das Umland entstehen. Ein Wert, der laut Experten heute auf mehr als 90 Millionen Euro angestiegen sein dürfe. Direkt seien 740 Arbeitsplätze betroffen, indirekt an Spieltagen noch mal rund 1500 Teilzeitkräfte. „Sportlich, wirtschaftlich und strategisch wäre ein Abstieg eine gefährliche Zäsur“, sagt Vöpel, den das Abendblatt nach dem 0:3 gegen Hoffenheim am Wochenende und dem damit verbundenen Abrutschen auf den vorletzten Tabellenrang erneut befragte.
Wichtige Markenbildung würde fehlen
Ähnlich wie Heyne von der Handelskammer sieht Vöpel aber die größte Gefahr eines Abstiegs des HSV in der dann fehlenden Markenbildung für die Stadt Hamburg. „Ein Bundesligaclub ist ein wichtiger Imageträger für eine Stadt“, sagt der Sportökonom. So sei in Deutschland Bayern München das beste Beispiel für einen Club, der seine Stadt weltweit über fast das gesamte Jahr ins Bewusstsein und in den Fokus der Öffentlichkeit rücke. Berlin, nächster Gegner des HSV, habe dagegen jahrelang als Standort für Profisport an der Bundesliga-Abstinenz gelitten.
„Für das Stadtmarketing ist ein Bundesligist ein günstiger und wirkungsvoller Werbeträger, da die mediale Reichweite des Fußballs mittlerweile fast alle Bevölkerungsgruppen umfasst“, sagt Vöpel, der zudem vor den langfristigen Folgen eines Abstiegs warnt: „Gelingt nicht der sofortige Wiederaufstieg, gerät ein Verein in finanziell schwieriges Fahrwasser. Der Kader ist nicht mehr refinanzierbar, Stars gehen, Zuschauer bleiben weg und Sponsoren springen ab.“ Dem „unabsteigbaren“ HSV würde das Schicksal einer klassischen „Fahrstuhlmannschaft“ drohen. Große Sprünge seien dann sehr riskant, da man immer zweigleisig planen müsste und eine langfristige Strategie und kontinuierlicher Aufbau schwieriger werden würden.
Bei Abstieg gehen Experten von einem sofortigen Rückgang der Erträge (Fernsehgelder, Sponsoren, Merchandising und Spieltagseinnahmen) von 40 Prozent, im zweiten Zweitligajahr sogar von 60 Prozent aus. Für Hamburg hätte das einen wirtschaftlichen Effekt von 36 beziehungsweise 54 Millionen Euro. Als warnende Beispiele nennt Vöpel Frankfurt und den Kaiserslautern, die bis 1996 auch als „Bundesliga-Dino“ galten, seitdem aber mehrfach auf- und auch wieder abgestiegen sind.
Nicht nur für Frederik und Gerrit Braun, die zu den 400 Fans gehörten, die zur Unterstützung der Profis zum Training in den Volkspark kamen, wäre diese Vorstellung ein Horrorszenario. „Wir beide sind leidenschaftliche HSV-Fans und, wie das Wort es schon sagt, es schafft uns gerade großes Leiden“, lassen die Hamburger via Facebook wissen. Einziger Schönheitsfehler in ihrem Utopia in der Speicherstadt: Den täglichen Sieg in der nachgebauten Imtech Arena feiert der HSV gegen den FC St. Pauli. Und der Lokalrivale spielt bekanntermaßen: in der Zweiten Liga.