Unter dem Niederländer kehrt das Glück zum HSV zurück. Das schmeichelhafte 2:2 bei Eintracht Frankfurt offenbart aber alte Probleme.
Frankfurt am Main/Hamburg Allzu viel Zeit wollte Bert van Marwijk am Sonntagmittag nach der pünktlichen Landung in Fuhlsbüttel nicht verlieren. Raus aus dem feinen Spieltagszwirn, rein in den Trainingsanzug – und nach einem kurzen Abstecher zur sonntäglichen Presserunde in der Imtech Arena schnell auf den Trainingsplatz. „Wir haben schon ganz gut gefußballt. Aber wir haben noch viel zu tun“, sagte der Neu-Hamburger, dessen deutsch-niederländisches Sprachgemisch zum Auftritt seiner Mannschaft beim 2:2 gegen Eintracht Frankfurt am Vortag perfekt passte. Es war, daran änderte auch die relativ kurze Nacht in Frankfurt nichts, ein Punktgewinn der Sorte „extrem glücklich“. Konsequenz Nummer eins: Auch an diesem Montag wird trainiert. Konsequenz Nummer zwei: bloß nicht abheben.
Dabei hätte man rund 16 Stunden zuvor noch meinen können, dass nun irgendwie wieder alles gut sei beim HSV. Direkt nach dem Schlusspfiff musste van Marwijk von Interview zu Interview eilen, ließ im ZDF die vergangenen Tage Revue passieren, erklärte bei Sky seine Philosophie, stellte sich der ARD und gab auch den extra nach Frankfurt gereisten niederländischen Journalisten Rede und Antwort. „16. Platz, die meisten Gegentore, eine völlig verunsicherte Mannschaft“, zählte der Neu-Trainer mit einem lauten Stoßseufzer auf, „da muss man dann auch mit einem 2:2 in Frankfurt zufrieden sein“.
Van Marwijk konnte mit dem Ergebnis nicht nur zufrieden sein, er musste es sogar. Denn wirklich verdient, das wusste der Fußballliebhaber nur zu gut, war das schmeichelhafte Remis in Frankfurt nicht. „Natürlich war es ein glücklicher Punktgewinn für uns“, sagte Sportchef Oliver Kreuzer, der sich aber darüber freuen durfte, dass mit dem neuen Trainer zumindest mal das Glück wieder mit den Hamburgern war. Die zweite, vielleicht sogar noch wichtigere Erkenntnis des Tages war, dass van Marwijk in nur zweieinhalb Trainingseinheiten für so etwas Ähnliches wie Stabilität gesorgt hatte. „Wir haben auch nach dem Rückstand an unserer Strategie festgehalten, wir sind ruhig geblieben, haben unseren Plan weiterverfolgt“, zählte Kreuzer glücklich auf und konnte sich einen kleinen Seitenhieb gegen den beurlaubten Ex-Coach Thorsten Fink dann aber nicht verkneifen: „Das alles kann man dem neuen Trainer zuschreiben.“
Besseren Fußball konnte man dem 61 Jahre alten Coach nach gerade mal drei Tagen im Amt dagegen noch nicht zuschreiben. 2476 Tage nach seinem letzten Spiel als Bundesligatrainer hatte der „Ritter im Orden von Oranien-Nassau“ wie erwartet auf dieselbe Startelf wie Interimsvorgänger Rodolfo Cardoso beim 1:0-Pokalsieg am Dienstag gegen Fürth gesetzt: In der Innenverteidigung durfte folglich erneut der 17 Jahre alte Jonathan Tah und im Mittelfeld der 19 Jahre alte Hakan Calhanoglu ran – doch als Protagonisten der von der DFL zum Spitzenspiel erkorenen Partie taugten die Youngster beide nicht.
Lasogga erfüllt als einziger die Erwartungen
Für Schlagzeilen – positive wie negative – sorgten diesmal andere Kollegen. Pierre-Michel Lasogga zum Beispiel, der im zweiten Einsatz von Anfang an für den HSV sein zweites Tor (45.) erzielte. Oder Marcell Jansen, der nach ausgeheiltem Zehenbruch der logische Torschütze des 2:2-Endstands (86.) war, da er als Einziger die sicherlich hohen Erwartungen van Marwijks restlos erfüllt haben dürfte. Da waren dann aber auch noch Johan Djourou, der sich mit Rückenschmerzen durchquälte, das 1:1 durch Johannes Flum (31.) aber fahrlässig verschuldete. Und vor allem van Marwijks größter Sorgenfall Rafael van der Vaart. Der Mittelfeldregisseur konnte zwar nach dem Spiel schon wieder scherzen, dass er bei dem angekündigten Psychotest mit den zahlreichen privaten Fragen wohl jede Menge zu berichten hätte. Allerdings gab seine Leistung auf dem Spielfeld so gar keinen Anlass für gute Laune.
Diese wollten sich die Hamburger nach dem zumindest in der Theorie gelungenen Einstand van Marwijks aber partout nicht nehmen lassen. So einigten sich die Protagonisten darauf, die (wenigen) positiven Dinge hervorzuheben und die (vielen) negativen Dinge für den Moment zu ignorieren. „Die Mannschaft hat 90 Minuten lang versucht das umzusetzen, was ich von ihr verlange“, bilanzierte van Marwijk, der im Anschluss von den Spielern gelobpreist wurde. Er hätte die Mannschaft gut eingestellt (Jansen), dem Team Vertrauen (Lasogga) und Stabilität (Heiko Westermann) beschert und für Sicherheit (Djourou) gesorgt. „Wir leben noch“, sagte Westermann, und van der Vaart meinte sogar erkannt zu haben, dass „der Einfluss des Trainers deutlich zu erkennen“ gewesen sei: „Wir hatten keine Angst mehr, Fußball zu spielen, haben nicht immer nur mit langen Bällen unser Glück versucht.“
Wirklich nahe an der Wahrheit dürfte wohl nur die Einschätzung von Sportchef Kreuzer gewesen sein, der einen wirklichen Van-Marwijk-Effekt erst gegen Ende der Hinrunde erwartet. „Ein echtes Resümee kann man doch erst in ein paar Monaten ziehen. Bis man eine Handschrift erkennen kann, werden noch einige Wochen vergehen.“ Das Problem dabei ist jedoch, dass der HSV diese Zeit nicht wirklich hat. Denn van Marwijks Zustandsanalyse („16. Platz, die meisten Gegentore, eine völlig verunsicherte Mannschaft“) vor der Partie hat sich auch nach dem Spiel nicht geändert. Durch Nürnbergs 3:3 gegen Werder Bremen am Sonntag bleibt der HSV auch am Tag des 126. Vereinsgeburtstags auf einem Relegationsplatz. Herzlichen Glückwunsch …