Van Marwijk wurde am Mittwochmorgen offiziell als HSV-Trainer in der Imtech-Arena vorgestellt. Am Nachmittag leitet der Niederländer sein erstes Training. Das Video der Pressekonferenz gibt es jetzt bei abendblatt.de.
Hamburg. Bei einem Gläschen Weißwein und einem intensiven Gespräch mit Sportvorstand Oliver Kreuzer bis nach Mitternacht an der Bar des Teamhotels startete Bert van Marwijk beim am Boden liegenden HSV in seinen ersten Arbeitstag. Nur wenige Stunden später wirkte der 61 Jahre alte Niederländer frisch und gelassen, als er im Blitzlichtgewitter der Fotografen und vor mehr als einem Dutzend Kameras als neunter HSV-Trainer in zehn Jahren vorgestellt wurde. „Natürlich hätte ich auch lieber, dass der HSV um die Meisterschaft spielt, aber das hier ist auch eine Herausforderung“, sagte der Nachfolger von Thorsten Fink am Mittwoch bei seiner Präsentation.
„Wenn alles normal liefe, müsste der HSV um Platz eins bis sechs spielen. Nun müssen wir so schnell wie möglich wegkommen da unten.“ Er sei kein Trainer, der Druck von den Profis wegnehmen wolle, aber der Druck dürfe nicht unmenschlich werden: „Ich kenne die Situation, sie wird nicht einfach“. Der ehemalige Bondscoach erhält beim Tabellen-16. einen Zweijahresvertrag mit Option auf eine weitere Saison. Er soll rund 1,4 Millionen Euro pro Jahr verdienen.
Van Marwijk will aussortierten Profis Chance geben
Ein erstes Zeichen setzte er schon vor Trainingsbeginn am Nachmittag: Die vor Saisonbeginn aussortierten Spieler Slobodan Rajkovic, Robert Tesche, Michael Mancienne und Gojko Kacar könnten wieder eine Chance bei den Profis bekommen. „Bert van Marwijk wird mit allen vier Spielern ein persönliches Gespräch führen und dann entscheiden, wie es weitergeht. Das war sein ausdrücklicher Wunsch“, sagte Kreuzer. Auch Fink wollte zumindest den Abwehrspielern Rajkovic und Mancienne eine Rückkehr offenhalten, doch da hatte Kreuzer noch sein Veto eingelegt. Das Quartett sollte sich nur fithalten, um im Winter verkauft zu werden. Kreuzer hatte eine Rückkehr der Profis auch vergangene Woche noch ausgeschlossen.
Möller noch nicht abgehakt
Nicht durchsetzen konnte sich der neue Fußballlehrer am Volkspark in der Personalie Andreas Möller, doch abgehakt hat er eine Zusammenarbeit mit dem Welt- und Europameister noch nicht: „Ich hätte Andy gern dabei gehabt, aber der Verein hat gesagt, das geht im Moment nicht. Ich hoffe, dass ich ihn irgendwann hier herholen kann.“ Er selbst müsse sich nach seinem Jahr Auszeit an den neuen Rhythmus in der Bundesliga gewöhnen. Die Distanz zum aufgeregten Fußball-Geschäft könne er als Familienmensch gut wahren.
Nach Monaten der sportlichen Talfahrt soll van Marwijk den selbst ernannten Europacup-Anwärter endlich stabilisieren und wieder nach oben führen. Der HSV steht nach sechs Spieltagen mit mageren vier Punkten auf dem Relegationsplatz und hat mit 17 Gegentoren die schlechteste Defensive der Liga. „Ich mag gern offensiven Fußball, aber ich mag auch gern gut organisierten Fußball. Wir müssen lernen, als Mannschaft zu verteidigen“, sagte Disziplinfanatiker van Marwijk. Seine Teams - wie beim Uefa-Cup-Sieg mit Feyenoord Rotterdam 2002 - waren meist gut organisiert und defensiv stabil.
Lob an van der Vaart
Mit Absicht habe er die Mannschaft vorher nicht kontaktiert, auch nicht Rafael van der Vaart: „Ich kenne ihn sehr gut, wir haben vier Jahre gut zusammen gearbeitet. Er ist ein Liebhaber am Ball, ich mag solche Spieler“. Der Gelobte selbst begrüßte seinen ehemaligen Nationalcoach trotz der Differenzen bei der EM 2012 mit warmen Worten. „Mit seiner konzentrierten, ruhigen, souveränen Art wird er alle überzeugen. Er ist stets kontrolliert, strahlt das auch immer aus. Van Marwijk ist eine super Trainerwahl“, sagte der Kapitän der „Bild“. Alle Konflikte seien schon lange ausgeräumt: „Der Coach ist null nachtragend.“ Er hoffe, van Marwijk werde genauso viel Erfolg haben „wie unsere Landsleute Stevens und Jol zuvor beim HSV“.
Auch Kreuzer geht davon aus, dass die Trainerwahl einen positiven Einfluss auf die schwankende Form des Regisseurs haben wird: „Ich denke, wir werden ihn schon hinkriegen.“ Schon beim 1:0 im Pokalspiel gegen Greuther Fürth zeigte van der Vaart neben dem starken Talent Hakan Calhanoglu eine ordentliche Vorstellung. Vor seiner ersten Aufgabe am Sonnabend bei Eintracht Frankfurt bedankte sich van Marwijk bei Interimscoach Rodolfo Cardoso, der besonders auf die Jungen im Kader gesetzt hatte. Er selbst will sich nicht in die Karten gucken lassen, setzte für Freitag ein Geheimtraining an.
„Ich habe gar keine Erwartungen“, sagte Nationaltorhüter René Adler trocken, „ich hoffe, dass etwas Ruhe reinkommt und wir die Punkte wieder reinholen. Er ist ein erfahrener Mann.“ Die eingebrockte Suppe müssten die Spieler aber selbst auslöffeln.