Seit den Werder-Wochen 2009 geht es für den traumatisierten HSV und auch für die damals siegreichen Bremer bergab. Eine Analyse vor dem Krisenduell.
Hamburg/Bremen. Etwas mehr als vier Jahre und vier Monate ist das Trauma alt, aber für manch einen Hamburger fühlt es sich noch an wie gestern: Der HSV gegen Werder Bremen, vier Spiele in 19 Tagen, gleich in drei Wettbewerben ging es um alles oder nichts. Und, die Geschichte ist bekannt, am Ende blieb dem HSV neben einem großen Nichts auch ein epochaler Scherbenhaufen. Seit der historischen Dreifachpleite ging es stetig bergab – was mit etwas Verzögerung allerdings auch für die damals siegreichen Bremer gilt. Ein Erklärungsversuch in fünf Schritten:
Sportliche Entwicklung: Die Werder-Wochen werden in Hamburg bis heute als Wendepunkt angesehen. Trainer (Jol, Labbadia, Moniz, Veh, Oenning und Fink), Sportchefs (Beiersdorfer, Siegenthaler, Reinhardt, Arnesen und aktuell Kreuzer), sowie Vorstände (Hoffmann und Kraus wurden durch Jarchow und Hilke abgelöst) kamen und gingen – der sportliche Erfolg blieb aus. Dass bei diesem Hochgeschwindigkeits-Personalkarussell die Rückkehr nach Europa in den Jahren danach ein Traum blieb, dürfte kaum überraschen.
Doch auch bei Werder setzte der sportliche Absturz mit Verzögerung ein. 2010 feierte sich Werder noch einmal mit dem Pokalfinale in Berlin – das jedoch mit einem 0:4 gegen Bayern erfolglos endete – und der Champions-League-Qualifikation. Und dann? Ging es abwärts. Dem endgültigen Abschied aus Europa im Dezember 2010 folgte Abstiegskampf in der Bundesliga, den in Bremen lange niemand wahrhaben wollte – genauso wenig wie die schlechteste Bremer Bundesliga-Rückrunde aller Zeiten (13 Punkte) 2011/12. Doch es wurde noch schlimmer: Abstiegskampf pur, die Rettung am vorletzten Spieltag und die Trennung von Thomas Schaaf standen am Ende der Saison 2012/13.
Umfeld: Nicht erst seit der „Mutter aller Niederlagen“ gegen Bremen 2009 rumort es in Hamburg. In der Hansestadt meldet sich eine ganze Armee von „Altstars“ in schöner Regelmäßigkeit zu Wort – und geizt dabei nicht gerade mit Kritik. HSV-Legende Uwe Seeler gibt dabei genauso oft und gerne die Marschrichtung vor wie auch andere Ex-Profis wie Uli Stein, Horst Hrubesch oder Felix Magath. Seit rund zwei Jahren bekommen die Kritiker verbale Unterstützung von Investor Klaus-Michael Kühne, der nicht nur einmal zum öffentlichen Rundumschlag ausholte.
Trotz Miseren behielt das Bremer Umfeld dagegen lange die Ruhe. Bis zur vergangenen Saison klammerte sich die Fan-Gemeinde an das Tandem Allofs/Schaaf. Erst dann kippte die Stimmung, Schaaf war plötzlich nicht mehr sakrosankt. Dennoch: Den Klassenerhalt verdankte Werder seinen Fans, die trotz Misere – wie ein Jahr zuvor auch beim HSV – den Schulterschluss mit den Profis übten. Seitdem gibt es an der Weser offenbar ein Einsehen, dass die schönen Zeiten in Bremen vorbei sind.
Struktur: Acht Jahre nach dem ersten Versuch Bernd Hoffmanns, die Profiabteilung des HSV auszugliedern, wird nach der sportlichen Talfahrt nun erneut über tief greifende Strukturreformen im Verein gerungen. Besonders Otto Rieckhoffs Initiative „HSVPlus“ wird bei der mit Spannung erwarteten Mitgliederversammlung im kommenden Januar gute Chancen eingeräumt.
Gegner der HSV-Strukturreform führen gerne an, dass Werders Ausgliederung kein Erfolgsmodell war – was man in Bremen ganz anders sieht. Bereits vor zehn Jahren wurde die Profifußballsparte in eine Kommanditgesellschaft auf Aktien gewandelt. Bei der Einführung zunächst kritisch beäugt, schwanden die Zweifel rasch: Der Verein ist eng eingebunden, der Klubpräsident ist gleichzeitig einer der drei Geschäftsführer. Kritik an der Kapitalgesellschaft gab es bisher nur wenig, weil streitbare Fremdinvestoren wie Kühne bislang keinen Zugang fanden.
Finanzen: Nachdem der HSV in der Saison nach dem Bremen-Fiasko erstmals die internationalen Startplätze verpasst hatte, fehlten dem Verein in den Folgejahren die dringend benötigten Zusatzeinnahmen. Das Geschäftsjahr 2010/11 schlossen die Hamburger erstmals nach sieben Jahren mit einem Minus von 4,9 Millionen Euro ab, ein Jahr später wuchs das Minus auf 6,6 Millionen Euro, in der vergangenen Spielzeit waren es sogar mehr als neun Millionen Euro. Die vor zweieinhalb Jahren von HSV-Chef Carl Jarchow angekündigte finanzielle Konsolidierung wurde nun auf das laufende Geschäftsjahr verlegt. Der Gehaltsetat liegt aber noch immer zwei bis drei Millionen über den vor der Saison angestrebten 40 Millionen Euro.
In Bremen ist die finanzielle Situation keinesfalls besser. Nach Jahren des Wachstums und positiver Ertragszahlen gab es erstmals 2011/12 einen deutlichen Umsatzeinbruch und 13,9 Millionen Euro Verlust. Der Aufsichtsrat sah sich sogar gezwungen, geforderte Investitionen abzulehnen. Und auch für 2012/13 wird ein Verlust von bis zu acht Millionen Euro erwartet. Der Gehaltsetat schrumpfte entsprechend von 48,5 Millionen Euro (2011) über rund 36 Millionen Euro (2012) auf heute geschätzte 30 Millionen Euro.
Sportliche Perspektive: Bremens neuer Trainer Robin Dutt und der neue Sportchef Thomas Eichin wollen einen vollständigen Neuaufbau einleiten, inklusive der Besinnung auf den eigenen Nachwuchs. „Der Weg ist alternativlos“, sagt Dutt. Dass Werder mittlerweile bundesweit als Abstiegskandidat gilt, nimmt Eichin allerdings nicht ohne weiteres hin: In einem Interview mit der hauseigenen Medienabteilung wehrte er sich gegen eine „ängstliche Erwartungshaltung“ und „Untergangsstimmung“.
Diese gehört in Hamburg bereits seit Jahren zum guten Ton. Und auch in dieser Spielzeit dürfte beim HSV alles von der Suche nach einem geeigneten Nachfolger Thorsten Finks abhängig sein. Das vor der Saison öffentlich ausgegebene Ziel Europa League erscheint nach dem miserablen Saisonstart schon jetzt als kaum noch zu realisieren. Sportchef Kreuzer hat nun eine Liste mit sechs Trainerkandidaten erstellt, auf der neben Bert van Marwijk auch Ex-Werder-Trainer Schaaf draufsteht. Der gilt noch immer als lebende Legende in Bremen – und wird nun auch in Hamburg geschätzt. „Ich finde Thomas Schaaf gut und ich finde, dass seine Erfolge, die er mit Werder gehabt hat, für ihn sprechen“, sagte Jarchow. Hoffnungsträger Schaaf? Auch Sportchef Kreuzer lobte den „guten Trainer“, bekräftigte aber, noch keinen Kontakt mit dem ehemaligen Bremer zu haben. Ob also ausgerechnet der Mann, der das größte Dilemma der HSV-Historie zu verantworten hatte, für eine bessere Zukunft sorgen soll, bleibt ungewiss.
* Thorsten Waterkamp ist Redakteur beim „Weser Kurier“, in dem die Gemeinschaftsarbeit mit dem Abendblatt ebenfalls erschien.