Vor 30 Jahren gewann Lars Bastrup mit den Hamburgern den Europapokal der Landesmeister. Heute leitet der Däne eine christliche Gemeinde. Ein Hausbesuch.
Der Weg zur Eingangstür des schlichten Reihenhauses in Risskov bei Aarhus, 337 Kilometer nördlich der HSV-Arena, führt durch eine Garage, in der ein silberfarbener Honda Jazz steht. Kurz nach dem Klingeln erscheint ein 58 Jahre alter Mann mit kahlem Kopf. "Bitte, treten Sie ein", sagt er freundlich in fast perfektem Deutsch und lotst die Abendblatt-Reporter in sein Wohnzimmer im ersten Stock.
Die Einrichtung ist zweckmäßig: großes Ledersofa, gut gefüllte Bücherwand, Fernseher und E-Piano finden sich auf dem hellen Parkett. Auf einem kleinen Tisch steht ein siebenarmiger Leuchter, ein jüdisches Symbol. Hier also lebt Lars Bastrup, dessen Name mit dem bisher größten Triumph des HSV verbunden ist. Eines sucht man aber vergeblich: Erinnerungen an seine Karriere. Ob er noch Fotos aus seinen zwei Jahren in Hamburg im Hause habe? Kurzes Nachdenken. "Nein, ich glaube, ich habe keine mehr." Das Angebot, aus dem Verlagsarchiv noch einige Aufnahmen zu besorgen, lehnt er dankend ab: "Das brauchen Sie nicht."
Rückblende. Als sich die HSV-Spieler am 25. Mai 1983 im Athener Olympiastadion zum Gruppenfoto formierten, stand Bastrup in der zweiten Reihe, zwischen Felix Magath und Wolfgang Rolff. Nur noch wenige Augenblicke bis zum Anpfiff, 73.500 Zuschauer fieberten dem Anpfiff entgegen, unter ihnen 8000 Hamburger Fans. Anspannung, Konzentration, Selbstbewusstsein, all das ließ sich aus den Gesichtern jener elf Fußballer lesen, die gegen Juventus Turin um die Krone Europas kämpften - den Europapokal der Landesmeister. Bastrup verschwindet kurz in der Küche, um Tee und Kaffee zu servieren. "Wie geht es in Hamburg?", fragt er und erwähnt beiläufig: "Ich habe das neue Stadion noch gar nicht live gesehen. Wann wurde das noch mal gebaut?" 1997. Vor 16 Jahren.
Vor 30 Jahren war Bastrup einer der Publikumslieblinge in Hamburg, "Wiesel" nannten ihn die Fans ob seiner geschmeidigen Bewegungen. In den Vordergrund mochte er sich nie spielen, doch in jener für den HSV so magischen Nacht von Athen war der Däne ein entscheidender Mann beim taktischen Masterplan für den Sieg über das hochfavorisierte italienische Team.
Am Spieltag heckte der damalige Trainer Ernst Happel mit Felix Magath und anderen Spielern die Idee aus, dass Bastrup während des Spiels von seiner linken auf die rechte Seite wechselt. Die Überlegung: Da damals manngedeckt wurde, würde Juves Verteidiger Claudio Gentile den dänischen Stürmer verfolgen und so freie Räume auf links für Magath und Bernd Wehmeyer schaffen. Und so kam es auch: In der achten Minute erzielte Magath das entscheidende 1:0 - von der linken Seite. Der silberne Europapokal ging nach Hamburg.
Was Bastrup heute mit Ruhm und Titel anfangen kann? Vielleicht Stolz? Oder zumindest Freude? "Wenig", entgegnet er nach langen Sekunden des Überlegens. "Ich hatte immer Angst, dass sich die Erfolge, aber auch die Misserfolge im Fußball traumatisch auswirken könnten und von meinem Körper Besitz ergreifen. Profifußballer leben in einer eigenen Welt, ich wollte aber den Boden nicht verlieren, das Zwischenmenschliche nicht zerstören."
In einem seiner seltenen Interviews hatte Bastrup schon 1983 im Abendblatt auf seine Bedenken hingewiesen, als er sagte: "Mein Problem ist - wie finde ich wieder zurück ins Alltagsleben? Ein Fußballspieler hat einen Fulltime-Job. Da verliert man schnell die Beziehung zum normalen Leben. Ich bin isoliert, weiß bald nicht mehr, wie der Durchschnittsbürger zurechtkommt. Wenn andere das lange aushalten oder sich keine Gedanken machen - ich kann das nicht."
Bastrup blieb konsequent und verließ den HSV nach dem Ende der so glorreich verlaufenen Saison, wechselte zurück nach Dänemark zu Ikast FS. Bis heute ist er der erfolgreichste Ausländer, der je für Hamburg gespielt hat: Zwei deutsche Meisterschaften 1982 und 1983, dazu den Europapokal-Titel - den Rekord wird ihm wohl so schnell niemand nehmen.
"Es hat sicher einige Jahre gedauert, wieder komplett im normalen Leben anzukommen", versucht sich Bastrup mühsam zu erinnern. Zwei Jahre spielte er noch für Ikast, danach ließ er sich überreden, beim dänischen Erstligaclub erst das Trainer- und später das Manageramt zu übernehmen. "Ich bin da irgendwie reingestolpert, habe aber schnell gemerkt: Nein, das möchte ich eigentlich nicht. Also habe ich damit aufgehört. Das war's." Interviews, öffentliche Auftritte sind seitdem absolute Mangelware. Bastrup, der verschollene, fast vergessene HSV-Star, dieses Image bildete sich fast zwangsläufig. Er kann darüber schmunzeln: "Es gab keinen Plan, mich zurückzuziehen."
Beim Triumph in Athen trug Bastrup zum letzten Mal das HSV-Trikot. Als seine Mannschaftskollegen im Athenaeum-Interconti-Hotel mit Sekt auf den sensationellen Sieg gegen Turin anstießen, fehlte der Publikumsliebling. Auch die Feier mit den Fans im Stadion verpasste der damals 27-Jährige. In der 53. Minute hatte ihm sein Gegenspieler Claudio Gentile den Ellenbogen brutal und mit voller Absicht ins Gesicht gerammt, unbeobachtet vom rumänischen Schiedsrichter Nicolae Reinea. HSV-Manager Günter Netzer begleitete Bastrup ins Krankenhaus, wo ein doppelter Kieferbruch diagnostiziert wurde. Während die griechischen Ärzte sofort operieren wollten, entschieden Netzer und Bastrup, den Eingriff in Deutschland vornehmen zu lassen.
Erst nach Mitternacht stießen Manager und Spieler wieder zur siegestrunkenen Mannschaft. "Ich habe noch etwas mitgefeiert, nur mit dem Schreien funktionierte es nicht so gut", schmunzelt Bastrup. Zwar hat sich Gentile nie persönlich entschuldigt, aber ja, er habe dem Italiener längst verziehen.
Die erbetenen Erinnerungen werden schärfer. Bastrup erzählt, wie überzeugt er zu Beginn der Europacup-Saison war, den Titel nach Hamburg zu holen: "Das mag jetzt vielleicht überheblich klingen, aber ich habe tief in meinem Inneren gewusst, dass wir dieses Turnier, als solches habe ich diesen Wettbewerb empfunden, gewinnen würden. Wir hatten mit Abstand die beste Einheit von allen Mannschaften."
Obwohl er sich Mühe für den Gast aus Deutschland gibt: Wenn Bastrup über diese Phase seines Lebens spricht, scheint es fast, als rede er über eine dritte Person. Dabei betont er: "Wenn ich zurückdenke, empfinde ich Dankbarkeit für den HSV und die wunderschöne Stadt, die mit ihrer Mentalität auch in Süd-Dänemark liegen könnte." Aber die Wahrheit ist: Er denkt nicht zurück.
Anfang der 90er-Jahre nahm sein Leben eine entscheidende Wende. "Der Glauben hatte für mich schon immer eine wichtige Rolle gespielt, aber dann spürte ich, dass mich Gott immer mehr zu sich zog. Der Glaube an den Herrn Jesus ist seitdem mein Leben, er ist die Quelle, aus der Werte wie Liebe, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit entspringen können."
Heute leitet Bastrup, der dänische Literatur studiert, aber nie als Lehrer gearbeitet hat, eine christliche Hausgemeinde, "Kerem Shalom" (hebräisch für Weinberg des Friedens) in Risskov, die er mit seiner Frau Gitte aufgebaut hat. "Wir pflegen ein enges Verhältnis zu einer jüdischen Gemeinde in Akko im Norden Israels. Jedes Jahr bin ich für zwei, drei Monate dort, um mitzuhelfen. Die Hierarchie in unserer Gemeinde ist sehr flach, das ist wie bei einer Fußballmannschaft, die einen Kapitän hat, aber als Team zusammenarbeiten muss für den Erfolg." Es sei ein offenes Haus in Risskov, keine Sekte. Wer kommen will, ist willkommen. "Wir pflegen auch Kontakte zu anderen Gemeinden in Dänemark, wichtig ist, dass es kein Zwang wird." Man hält Gottesdienst, aber mehr im freien Stil. "Es wird gepredigt, Bibelunterricht gegeben, gesungen, gebetet, auch getanzt."
Schon zu seiner Zeit in Hamburg setzte er beim Zusammenhalt Prioritäten: "Wir waren damals eine richtige Gemeinschaft. Wenn das passiert, ist Fußball schön." Womit Bastrup nichts anfangen kann, sind die Auswüchse des Profisports. "Was die Gehälter und Ablösesummen betrifft, fällt mir nur das Wort Wahnsinn ein." Geld bedeutet ihm selbst nur, dass es ihm die Freiheit gibt, sein Leben selbst zu bestimmen. "Ich habe alles, was ich brauche. Gott hat es gut mit mir gemeint."
Sorgenvoll beobachtet er, dass sich der Fußball für immer mehr Menschen zum identitätsstiftenden Halt entwickelt hat: "Fußball ist schön, aber nicht wichtig. Ich hasse es, wenn Fußball zur Religion wird, zum Lebensinhalt. Wenn du das Leben durch andere Menschen lebst, sind diese Menschen zu Göttern geworden. Zu falschen Göttern." Als der HSV einen Friedhof einrichtete, regte sich bei Bastrup ebenfalls Widerstand: "Ich dachte: Das ist zu viel." Dass sich nur wenige Menschen für eine letzte Ruhestätte unter der Raute entschieden, nahm er erleichtert zur Kenntnis.
Auch wenn sich Bastrup gelegentlich Bundesligaspiele im Fernsehen anschaut, so ist sein Abstand zum HSV von heute gefühlt noch größer als die Distanz zwischen Risskov und Hamburg. Eine kritische Anmerkung kann er sich dennoch nicht verkneifen: "Hamburg ist die reichste Stadt Deutschlands mit einem riesigen Potenzial. Der HSV müsste zwar nicht jedes Jahr Meister werden, aber jedes dritte Jahr schon. Kontinuität ist leider Mangelware."
Einzig zu Clubmanager Bernd Wehmeyer hält Bastrup regelmäßig Kontakt. "Ist eigentlich sonst noch jemand von damals beim HSV beschäftigt?", fragt er. Nein. Eine goldene Generation im Abseits - ein sichtbarer Beleg dafür, dass in der Vergangenheit nicht immer die richtigen Entscheidungen getroffen wurden.
Am Wochenende wollen sich die Fußball-Helden von einst in Hamburg treffen. Bastrup wird, es verwundert kaum, bei der 30-Jahre-Feier fehlen. "Es ist nicht so, dass ich meine Mitspieler von früher nicht gerne sehen möchte, aber nur um nach Hamburg zu fahren, um ein paar Bier zu trinken, ist der Weg doch etwas lang." Wie es der Zufall will, hatte er sowieso schon einen Urlaub gebucht. "Aber im Grunde entspricht das auch der Rolle, die diese Ereignisse in meinem Leben spielen. Das alles ist so lange her." Die Erlebnisse in seiner neuen, vom christlichen Glauben bestimmten Welt sind es, an die er heute viel lieber zurückdenkt.