Der Verein kooperiert mit Viagogo, obwohl die Hamburger gleichzeitig vor Gericht gegen den Internet-Schwarzmarkt kämpfen.
Hamburg. Die Pressemitteilung des HSV, die in dieser Saison für mehr Aufregung als jede Niederlage und jedes Gegentor sorgen könnte, wurde bereits am 21. September verschickt - ohne, dass sich jemand so richtig aufgeregt hat. "Viagogo wird offizieller Zweitmarkt-Ticket-Partner des Hamburger SV", hieß es in der E-Mail, in der in wenigen Sätzen bekannt gegeben wurde, dass das Onlineportal ab sofort "die offizielle Wiederverkaufsplattform des Vereins" sei. Die einzige erwähnenswerte Aktion, die einen Tag später beim Heimspiel des HSV gegen Borussia Dortmund folgte, war ein Transparent mit der Aufschrift Vianogo, mit dem ein paar Anhänger des Fanklubs Chosen Few ihren Unmut Ausdruck verleihen wollten. Viel Lärm also um nichts?
Mit Sicherheit nicht. "Ich bin über den Abschluss mit diesem Ticketbasar zutiefst erschüttert", sagt HSV-Vorsänger Johannes Liebnau, der für die kommenden Wochen Protestaktionen ankündigt: "Die Grenze des guten Geschmacks ist hier weit überschritten worden. Wir werden protestieren."
Was Liebnau und einen Großteil der Fans, die nur aufgrund der Feierlichkeiten zum 125. Vereinsjubiläum ruhig geblieben sind, an der neuen Partnerschaft so sehr stört: Der HSV macht Eintrittskarten zu Spekulationsobjekten, die künftig mit dem ausdrücklichen Einverständnis des Vereins auf der Online-Plattform von Viagogo mit einem Aufschlag von bis zu 100 Prozent gehandelt werden dürfen - selbstverständlich zuzüglich der üppigen Viagogo-Gebühren. Ein Beispiel: Zwei Karten für das Heimspiel gegen Bayern München, die im Original 190 Euro kosten, wurden gestern bei Viagogo für 338,22 Euro angeboten. Die Ticketgarantie, so steht es fett gedruckt in der Anzeige, sei "gratis". Die Gebühren von jeweils 25 Prozent sind es nicht.
Brisant ist der vor drei Wochen abgeschlossene Zweijahresvertrag aber vor allem deswegen, weil sich der HSV bislang gerne als Vorreiter im Kampf gegen den Online-Schwarzmarkt positioniert hat. "Der HSV versucht so gut wie möglich, gegen Schwarzmarkthändler im Internet vorzugehen", hatte Kai Voerste, Leiter HSV-Ticketing, dem Abendblatt noch vor sechs Wochen gesagt und dabei neben Internetunternehmen wie Seatwave und Ebay explizit Viagogo als Negativbeispiel benannt. Der "Morgenpost" sagte Voerste: "Firmen wie Viagogo verdienen Geld damit, dass auch der professionelle Schwarzmarkt ihre Plattform nutzen." Käufer von Viagogo-Tickets, betonte Voerste, würden gegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen verstoßen.
Diese Haltung hat der HSV nun offenbar aufgegeben. Die vereinseigene Tauschbörse, auf der Karten bislang für eine geringe Servicegebühr umgetauscht werden konnten, soll zeitnah dem Angebot von Viagogo weichen. Zudem erhält der neue Partner, der bereits seit einem Jahr mit dem HSV verhandelt, ein Kartenkontingent, über dessen Größe ebenso Stillschweigen vereinbart wurde wie über die finanziellen Konditionen. Nach Abendblatt-Recherchen soll es sich um 1500 Karten pro Spiel handeln, die nicht in den freien Verkauf gehen. Der HSV soll dabei einen sechsstelligen Betrag pro Saison erhalten. "Das Ticketing-Team des HSV hat in den vergangenen Jahren vorbildlich dafür gekämpft, dass Karten im Internet nicht überteuert auf dem Rücken von HSV-Fans verkauft werden können", sagt Supporters-Chef Ralf Bednarek, "umso mehr können wir nun kein Verständnis dafür aufbringen, dass unser Verein einen Deal mit Viagogo abgeschlossen hat, und damit die vor Gericht erzielten Erfolge ad absurdum führt."
Tatsächlich hat der HSV vor drei Jahren einen Musterprozess mit dem Aktenzeichen 406 O 159/09 gegen die Plattform Seatwave in Gang gesetzt, der in der ganzen Bundesliga mit großem Interesse verfolgt wird. Die damalige Intention: Der Verein wollte gerichtlich die Online-Anbieter zwingen, den Kartenverkauf gar nicht erst zuzulassen.
Obwohl das Oberlandgericht Hamburg erst am 25. Oktober ein endgültiges Urteil im Berufungsverfahren sprechen will, sieht Seatwave-Anwältin Mona Bandehzadeh nach der faktischen HSV-Kehrtwende in der Bewertung des Online-Schwarzmarktes nun eine neue Situation: "Es gibt keinen sachlichen Grund, der ein Verbot des Weiterverkaufs von HSV-Tickets über die Plattform von Seatwave rechtfertigen könnte - erst recht nicht, seit der Verkauf über Viagogo erlaubt ist", sagte Bandehzadeh dem Abendblatt.
Intern hat man sich beim HSV darüber verständigt, dass dem Prozess gegen Seatwave nach der Urteilsverkündung nicht weiter nachgegangen wird - unabhängig vom Urteil und sehr zur Freude von Neupartner Viagogo. "Natürlich kennen wir das Verfahren. Ich will mich aber nicht zu einem laufenden Prozess äußern", sagt Viagogo-Manager Steve Roest, der für den deutschen Markt zuständig ist. Im Gespräch mit dem Abendblatt bekräftigt Roest, dass sich die verärgerten Anhänger keine Sorgen machen müssten. "Es ist uns bekannt, dass nicht jeder Fan von unserer Partnerschaft überzeugt ist. Ich werbe aber dafür, dass man uns die Zeit gibt, damit wir die Fans überzeugen können", sagt der Niederländer, der beteuert, Fans vor Betrug schützen zu wollen: "Die Mehrheit der Tickets auf Viagogo wird zum Originalpreis oder weniger verkauft - zu sagen, dass alle auf unserer Plattform angebotenen Tickets überteuert sind, ist ein Mythos."
Dass beim Champions-League-Finale zwischen Bayern und Chelsea zwei Karten für mehr als 20.000 Euro verkauft wurden, sei mit der HSV-Partnerschaft nicht zu vergleichen: "Wir garantieren, dass HSV-Heimspielkarten maximal mit einem Gewinn von bis zu 100 Prozent verkauft werden. Im Fall des Champions-League-Finals war es anders, da dies kein offizielles Heimspiel von Bayern München war." Sein Fazit: "Wir glauben, dass die Ticket-Welt ein bisschen besser wäre, wenn die Vereine mit statt gegen uns arbeiten."
Beim HSV sieht man die Sachlage offenbar ähnlich. Trotzdem wollte sich gegenüber dem Abendblatt kein Offizieller zu dem Thema äußern - vorerst. "Wir erwarten, dass auf der außerordentlichen Mitgliederversammlung am 15. Oktober der Vorstand den Viagogo-Deal detailliert vorstellt und mit den Mitgliedern darüber diskutiert", fordert Bednarek. Eine aufregende Versammlung dürfte so programmiert sein.