Tull Harder, Idol und Kriegsverbrecher
Sind Sie arischer Abstammung?“ Diese Frage muss ab dem Oktober 1933 jeder beantworten, der HSV-Mitglied werden möchte. Im selben Jahr tritt der größte HSV-Star der SS bei: Otto Fritz Harder, genannt „Tull“. An keinem anderen lässt sich die Zerrissenheit des Vereins im Dritten Reich besser ablesen.
1927 noch dient Harder als Vorlage für die Hauptrolle im Stummfilm „Der König der Mittelstürmer“. „Wenn spielt der Harder Tull, dann wird es drei zu null“, singt man im Operettenhaus, als Schallplatte wird das Lied zum Gassenhauer. Zwei Mal holt Harder mit dem HSV die Deutsche Meisterschaft, 1923 und 1928. In 15 Länderspielen erzielt er 14 Treffer, fünf Mal läuft er als Kapitän auf. Ein 1,90-Meter-Brecher mit Möbelpackerkreuz, einer der handelt statt zu grübeln, legendär seine Alleingänge. Er ist der populärste deutsche Sportler nach dem Ersten Weltkrieg.
Und im Zweiten Weltkrieg ein Verbrecher. 1939 wird er Wachmann im KZ Sachsenhausen, ab November im KZ Neuengamme und von September 1944 bis März 1945 übernimmt der gelernte Kaufmann als Lagerkommandant das KZ Ahlem. 1000 Gefangene unterstehen seinem Befehl, 230 überleben es nicht. „Wenn ich über meine kurze Zeit als Kommandoführer nachdenke, so habe ich das bestimmte Gefühl, dass ich mir bewusst nichts habe zuschulden kommen lassen“, sagt Harder vor dem britischen Militärgericht.
Als Sportler sei er „Pflichterfüllung und Gehorsam“ bei der „Arbeit“ gewohnt gewesen. 1947 wird Harder zu 15 Jahren Haft verurteilt, der HSV schließt ihn aus, aber nur kurzfristig. Später wird die Strafe auf zehn Jahre reduziert, schließlich kommt Harder Weihnachten 1951 frei. Fünf Jahre später stirbt er, eine HSV-Flagge bedeckt den Sarg und der Nachruf in den Vereinsnachrichten lautet: „Nun ist er nicht mehr; aber unsere Gedanken werden noch oft bei ihm weilen.“