Der 61-Jährige köpfte den HSV 1983 zu den letzten Meistertiteln in Deutschland und Europa. Ein Gespräch über große Tore, kleines Geld und unerbittliche Trainer.

Im Foyer des Hotels „Le Royal Méridien” an der Alster wimmelt es an diesem Sonntag von Welt- und Europameistern. Lothar Matthäus klönt mit Stefan Reuter, Thomas Berthold begrüßt Bernd Schuster herzlich. Grund für den Auflauf: TV-Moderator Reinhold Beckmann hat zur Benefizveranstaltung geladen, dem „Tag der Legenden”, zum Spiel des Teams Deutschland gegen Team Hamburg. Doch auch da muss es einen für jedes Team geben, der das Sagen hat. Beim deutschen Team ist das Horst Hrubesch.

Der „Lange“, wie er gerufen wurde, ist ein gefragter Mann an diesem Tag, es benötigt einige Anläufe, um ihn für das Gespräch drei Ecken weiter in den Captain’s Room in der Hotelbar zu lotsen. Ein perfekter Ort, schließlich führte Hrubesch, der heute in der Lüneburger Heide lebt, den HSV Ende der 70er-, Anfang der 80e-Janhre als Kapitän zu sportlichem Ruhm. Sein Ausspruch „Manni Banane, ich Kopf – Tor“ in einem TV-Interview beschrieb treffend, wie Manfred Kaltz als Flankengeber und Hrubesch als Vollstrecker harmonierten. Der Spitzname des gebürtigen Hammers war schnell gefunden: „Kopfball-Ungeheuer“ – was ihn aber nur bedingt charakterisiert: „Ich habe lediglich 38 meiner 139 Bundesliga-Tore mit dem Kopf erzielt“, klärt er auf.

Ein Interview zum Thema HSV hat der 61-Jährige seit zwei Jahren nicht mehr gegeben, es bedurfte einiger Überredungskunst, ihn anlässlich des 125. Geburtstags umzustimmen, inklusive des Versprechens, nicht zu viel zur aktuellen Situation des HSV zu fragen . Noch immer hängt sein Herz am Verein, auch wenn er seit 1983 nicht mehr für den Klub arbeitet. „Legen Sie los“, fordert er auf, zügig zu fragen. Am Ende wird es ein 45-minütiger Ausflug in die Vergangenheit. Hätten die „Legenden” nicht gedrängt, hätte es sicher noch Nachspielzeit gegeben.

Hamburger Abendblatt: Was glauben Sie, erscheint bei YouTube weit oben, wenn man Horst Hrubesch eingibt?

Horst Hrubesch: Mein Werbefilm mit den Lattenschüssen. Den lohnt es sich auch mal anzuschauen.

Ich meinte eher Ihre Eröffnungsrede zur Edelbluthaflinger Hengstpräsentation 2012 in Alsfeld.

Hrubesch: Gut, ne? (lacht) Mit den Pferden haben meine Frau und ich es endlich geschafft, uns ein gemeinsames Hobby aufzubauen.

Warum gerade Haflinger?

Hrubesch: Sie haben einen tollen Charakter. Früher war ich mit meinen Kindern auf dem Reiterhof. Damals wuchs der Wunsch, später mal einen Resthof mit diesen Pferden anzuschaffen. Das habe ich getan.

Reiten Sie die Pferde?

Hrubesch: Ich fahre Kutsche, das lenkt wunderbar ab, du kannst du über alles nachdenken, ob über Fußball oder Privates, bekommst den Kopf frei. Und du kannst viel lernen. Je nachdem, wie du dich positionierst, weiß das Pferd genau, was du von ihm willst. Das gleiche gilt für unser Gespräch. Sitzen Sie aufrecht oder gekrümmt, hat das eine andere Ausstrahlung auf mich.

Ich gebe mir Mühe. Ihr Leitspruch bei den Pferden, so steht es im Internet, lautet: Es gibt keinen Gipfel, den Leidenschaft nicht erstürmen kann.

Hrubesch: Super, nicht?

Ist das auch Ihr Motto für Ihre Arbeit als Fußballtrainer?

Hrubesch: Auch. Es geht darum, etwas mit Überzeugung zu machen, mit Leidenschaft. Du musst eine positive Aggressivität besitzen, die dich antreibt, die Bereitschaft, sich bis zum Gehtnichtmehr zu quälen. Profisport ist Arbeit, du musst schwitzen, du musst kaputt sein. Wenn du dann dabei noch den Spaß behälst, bist du angekommen.

Sie scheinen ein Händchen zu haben, das herauszukitzeln. Welche Ansprache brauchen junge Fußballer?

Hrubesch: Dafür gibt es nur ein Wort: Ehrlichkeit. Ich sage den Spielern, was ich erwarte und frage sie aber auch: Wie stellt Ihr Euch das vor als Nationalspieler? Erklärt es mir! Dann haben wir eine Arbeitsgrundlage. Ein Ziel muss schließlich gemeinsam verfolgt werden. Schauen Sie sich doch nur den HSV an.

Sie meinen, im Verein fehlt diese Gemeinsamkeit?

Hrubesch: Wenn alle zusammen arbeiten würden, ob Präsidium, Aufsichtsrat, Mannschaft und das Umfeld, auch die Zuschauer, und alle bereit wären, ihr Bestes zu geben, dann kämen wir wieder dorthin, wo wir mal waren. Ich rede nicht von deutschen Meisterschaften oder vom Europapokal, sondern vom Stellenwert, den der HSV deutschlandweit haben müsste. Da sind wir weit hinter den Erwartungen zurück. Der HSV ist ein Verein, der normalerweise im oberen Drittel spielen muss. Ich wünsche dem HSV zum 125. Geburtstag, dass sie sich endlich mal alle einig sind. Der Klub befindet sich in einer Phase, die wirklich eskalieren kann. Gebraucht wird eine Aufbruchstimmung.

2013 jährt sich der letzte Meistertitel, an dem Sie auch beteiligt waren, zum 30. Mal. Unfassbar lange her, oder?

Hrubesch: Die Zeit läuft. Es war spannend. Und es bleibt spannend. Der Vorteil meines Berufs ist, dass ich jede Woche, was von den jungen Spielern lerne. Ob das neue Medien oder neue Denkweisen sind.

Das klingt nicht so, als ob Sie besonderen Wert auf die Vergangenheit legen. Stimmt es, dass die Rolex-Uhr, die Sie vom HSV zur ersten Meisterschaft geschenkt bekommen haben, Ihr Sohn trägt?

Hrubesch: Für meine Erinnerungenbrauche ich keine Uhr. Was soll die bei mir in der Schublade liegen? Materiell eingestellt bin ich sowieso nicht. Ich habe kein Problem damit, was abzugeben. Außerdem konnte ich mit dieser Uhr beim Training keine Zeiten stoppen.

Lassen Sie uns trotzdem in Ihren Erinnerungen kramen. Was fällt Ihnen zuerst ein, wenn Sie an früher denken?

Hrubesch: Nicht an den HSV, sondern an mein erstes Bundesligaspiel für Rot-Weiß Essen 1975, das werde ich nie vergessen, diese 90 Minuten waren entscheidend für meine Karriere. Ich habe beide Tore beim 2:1 gegen Uerdingen erzielt. Dieses kleine, enge Stadion, das war Fußball pur, die reine Faszination. Wenn du beim Einwurf warst, konnte dir noch ein Zuschauer mit der Hand auf den Rücken hauen.

Damals waren Sie schon 24, sind spät eingestiegen.

Hrubesch: Ich war gelernter Dachdecker, hatte schon mit 21 geheiratet. In der Zweiten Liga gab es nur 400 Mark, das hätte ich nicht mit meinem Job vereinbaren können. Bei Essen habe ich anfangs 1800 Mark Brutto verdient, plus 15000 Mark Jahresleistungsprämien sowie Siegprämien. Das war immer noch weniger als ich vorher im Beruf verdiente. Aber der Reiz war da, es zu probieren.

Beim HSV war das Gehalt deutlich höher.

Hrubesch: Schon in Essen. Nachdem ich 18 Tore erzielt hatte, wurde mein Gehalt auf 80.000 Brutto angehoben. Das ist es, was ich eben meinte: Da wurde ehrlich anerkannt, wenn etwas geleistet wurde.

Sportlich ging es in Hamburg steil aufwärts. Nachdem Sie 1978 beim HSV anfingen, wurden Sie auf Anhieb Deutscher Meister. Was war das Erfolgsgeheimnis?

Hrubesch: Die Mannschaft hat der damalige Trainer Branko Zebec zusammengestellt. Er war ein Diktator, hat klar vorgegeben, was geht. Da gab es kein links oder rechts, keinen Unterschied zwischen Keegan und van Heesen, für ihn waren alle gleich. Ich kann mich noch erinnern, als Keegan mal sagte: Trainer, Sie wissen ja, ich fahre morgen noch mal nach London, habe da einige Sachen zu erledigen. Da sagte Zebec zu ihm: „Mein Junge, was willst du? Autogrammstunden in London oder bei mir Fußball spielen? Fährst du, brauchst du nicht wiederkommen.” Zu unserer Zeit ging das.

Auch Sie mussten unter Zebec leiden. 1980 hat er sie im Europacup-Finale gegen Nottingham auf die Bank gesetzt.

Hrubesch: Damals habe ich ein paar Tränen weggedrückt. Ich habe immer mit Zielen gelebt. Einer meiner Träume war, unbedingt oben in der Spitze mitzuspielen, national und europäisch.

Aber Sie waren leicht verletzt.

Hrubesch: Zebec machte mit mir vor dem Finale einen Test auf der Hotelterrasse. Ich musste vom Blumenbeet auf den Rasen springen, dort nach dem Ball grätschen. Und wie ich grätsche, hat er mir von oben auf den Knöchel getreten. Später, in der Besprechung, sagte er: „Junge, habe ich gesehen, du hast noch Schmerzen. Bleibst du erst mal auf Bank....”

Mit Zebecs Nachfolger Ernst Happel kam dann der ganz große Erfolg, 1983 der Titel im Landesmeister-Cup, der heutigen Champions League.

Hrubesch: Eine Mannschaft waren wir schon, aber er war der letzte fehlende Baustein. Als er das erste Mal in der Kabine war, schien es, als ob einer das Licht angeknipst hat.

Was hat Sie so fasziniert?

Hrubesch: Sein Auftreten, sein besonderer Humor und seine Ansprache. An einem Donnerstag ging er mal beiläufig an mir vorbei und sagte: „Du, Zauberer, du hast dich jetzt vier Tage ausgeruht, du musst langsam mal deinen Arsch bewegen.” Oder seine Sitzungen vor den Spielen. Vorher dauerten die gerne mal 30, 40 Minuten. Er sagte einfach: „Wenn Ihr Deutscher Meister werden wollt, müsst ihr in München gewinnen.” Heute wird oft vieles zerredet.

War es damals schöner, Profifußballer zu sein?

Hrubesch: Was die Medien angeht, sicher. Die Jungen können sich heute nicht mehr frei bewegen. Früher konntest du auch mit den Journalisten ein Bier trinken gehen. Das ist ja heute in den seltensten Fällen so. Sind wir ehrlich: Die Jungs können nicht so über die Stränge hauen, wie wir früher. Wir sind auch mal nach den Spielen losgezogen und waren die Nacht unterwegs. Aber wir haben gewusst. Am nächsten Tag geht wieder die Post ab, dann waren wir wieder da.

Sind Sie froh, heute nicht als Liga-Trainer unter diesem ständigen Druck zu stehen?

Hrubesch: Ich bin eher froh, dass ich in dem Bereich arbeiten kann, in dem ich unbedingt etwas bewirken wollte: der Jugend. Nach dem Bosman-Urteil wurden in Deutschland viele Ausländer verpflichtet. Für meinen Spruch, dass 60 Prozent dieser Spieler schlechter sind als meine jungen Spieler, wurde ich damals niedergemacht, obwohl die Aussage stimmte. Ich wollte die Jungen nach vorne bringen.

Was haben Sie sich vorgenommen mit 60?

Hrubesch: Moment, ich bin schon 61, auch wenn ich mich wie 33 fühle. Ich lebe immer nach vorne, gebe Gas und warte, was auf mich zukommt. Ob ich in diesem Bereich bleibe oder noch mal aussteige? Das kann ich Ihnen jetzt nicht sagen.

Gibt es eine Neuauflage ihres Buches „Dorsch-Angeln vom Boot und an den Küsten“?

Hrubesch: Lust hätte ich, alle 55.000 Exemplare sind schon lange verkauft. Nicht mal ich selbst besitze noch ein Exemplar. Aber ich bräuchte einen Autor.

Interessante Vorstellung. Leider habe ich keine Ahnung von Fischen.

Hrubesch: Dann wird es schwer.

Hrubesch-Biografie:

Als Spieler gewann Horst Hrubesch mit dem HSV. 1979, 1982 und 1983 die Meisterschaft, 1983 den Europapokal der Landesmeister. In 159 Bundesliga-Spielen für den HSV erzielte er 96 Tore. Seine ersten beiden Tore für Deutschland erzielte der21-fache Nationalspieler im EM-Endspiel 1980 beim 2:1 gegen Belgien. Seit 2000 arbeitet Hrubesch als Jugendtrainer für den Deutschen Fußballbund. 2008 gewann er erst mit der U-19 den Europameister-Titel, 2009 auch mit der U-21 und wurde mit dem DFB-Trainerpreis ausgezeichnet. Derzeit trainiert er die U-18.