24 Personen wurden bei dem Gedränge im Bremer Weserstadion nach dem Nordderby gegen den HSV verletzt. Ein 44-Jähriger schwebt in Lebensgefahr.

Der schwere Unfall auf einer Treppe im Weserstadion hat eine Diskussion über das Sicherheitskonzept der Bremer Polizei entfacht. Als externer Gutachter wird der Panikforscher Michael Schreckenberger von der Universität Duisburg-Essen die Vorfälle überprüfen. Bei mehreren Stürzen war am Sonnabendabend im Anschluss an das Nordderby in der Fußball-Bundesliga zwischen Werder Bremen und dem Hamburger SV (3:2) ein HSV-Anhänger schwer verletzt worden. Der 44-Jährige aus Neumünster, der noch im Stadion reanimiert werden musste, befand sich auch am Montag in einem kritischen Zustand. „Er liegt im künstlichen Koma. Es gibt keine Entwarnung“, erklärte ein Polizeisprecher auf Anfrage. Ein zweiter Schwerverletzter habe sich hingegen mittlerweile erholt und sei am Sonntag auf eigenen Wunsch aus dem Krankenhaus entlassen worden.

Auf mehreren Internet-Plattformen sind Bilder von dem Unfall zu sehen, der sich nach dem Bundesliga-Nordderby zwischen Werder Bremen und dem HSV auf der neu erbauten Westtribüne im Weserstadion ereignet hatte. Dabei ist ein heftiges Gedränge zu erkennen. Mehrere HSV-Fans schildern in Foren ihre Eindrücke. Der Polizei wird dabei unter anderem vorgeworfen, sie habe die vorgesehene Blocksperre zu spät aufgehoben. Dadurch sei es zu einem Gedränge mit zahlreichen Stürzen gekommen. Insgesamt wurden 24 Personen – Fans und Polizisten - verletzt.

„Wir werten das komplette Video-Material aus“, kündigte der Sprecher eine genaue Untersuchung an. Er warnte davor, Bildsequenzen isoliert zu betrachten. Rettungsaktionen der Polizei könnten so auch als Behinderungen aufgefasst werden. Polizeipräsident Holger Münch hatte bereits am Sonntag eine sorgfältige Aufarbeitung des Einsatzes angekündigt. Möglicherweise müsse auch das Konzept geändert werden. Auch die Kriminalpolizei hat Ermittlungen aufgenommen.

Unabhängig von diesen Ermittlungen soll der externe Gutachter das Besucherverhalten sowie die Kommunikationsstrukturen und -abläufe im Stadion analysieren, die zu dem Unglück geführt haben. Der Auftrag umfasst auch die Untersuchung der logistischen Bedingungen und der baulichen Gegebenheiten. „Wir sind uns alle einig, dass es bei der Untersuchung keine Tabus geben darf“, betonte Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD). Er hatte sich mit Werder Bremen und der Polizeiführung darauf verständigt, Schreckenberger einzusetzen.

Als verbesserungswürdig wird der Aufenthaltsort für die Anhänger der gegnerischen Mannschaft angesehen. Der Gäste-Block befindet sich im Oberrang des Stadions. Um ins Freie zu gelangen, müssen die Zuschauer mehrere Treppen herabsteigen. „Sachverständige müssen prüfen, ob beispielsweise die Verlegung des Gäste-Blocks in den Unterrang zu mehr Sicherheit führt. Wenn dies der Fall ist, dürfen sich die Verantwortlichen solch einer Lösung nicht verschließen“, erklärte Wilhelm Hinners, innenpolitischer Sprecher der Bremer CDU-Bürgerschaftsfraktion. Werder-Geschäftsführer Klaus Filbry wies darauf hin, dass die neue Tribüne von allen relevanten Behördenvertretern am 10. August geprüft und abgenommen worden sei.

Der Hamburger SV reagierte bestürzt auf die Ereignisse und sagte seine Mitarbeit zu. „Selbstverständlich werden wir diese Vorkommnisse mit den Verantwortlichen bei Werder und der Polizei aufarbeiten, auf dass sich ähnliche Szenen und Vorkommnisse nicht wiederholen und alle Beteiligten die richtigen Schlüsse daraus ziehen“, teilte der Verein mit.

Am Sonnabend hatten rund 3700 HSV-Fans nach Spielschluss zunächst friedlich in der Westkurve auf die Aufhebung der sogenannten Blocksperre gewartet. Als nach mehr als 20 Minuten die drei Treppenabgänge immer noch abgesperrt waren, entstand vor einer Treppe große Unruhe. Dort waren viele HSV-Anhänger aus Schleswig-Holstein unter Zeitdruck. Sie wollten ihren letzten Zug nach Hause erreichen. Um 20.46 Uhr durchbrachen dann 15 bis 20 Anhänger die Sperre und lösten die Stürze aus.

Der Vorfall ließ auch Kritik am Spielplan der Deutschen Fußball Liga (DFL) aufkommen, brisante Spiele wie das Nordderby nicht als Abendspiel anzusetzen. Der Regel-Spielplan sieht ein Spiel am Freitagabend (20.30 Uhr) und am Sonnabendabend (18.30 Uhr) vor. Danach ist es für die meisten Gäste-Fans nicht mehr möglich, mit öffentlichen Verkehrsmitteln die Heimfahrt anzutreten.

Lesen Sie auch den Abendblatt-Bericht von Denis Fengler und Kai Schiller:

Ein tragisches Unglück hat das Nordderby zwischen dem HSV und Werder Bremen überschattet. Bei einem Gedränge im HSV-Block wurden am Sonnabend 17 Polizisten und sieben Fans teils schwer verletzt, nachdem sie überrannt worden waren oder als sie die Treppen im Weser-Stadion hinunterstürzten. Ein 44-Jähriger aus Neumünster musste wiederbelebt werden. Sein Zustand war gestern Abend noch kritisch. Ein 43 Jahre alter Hamburger erlitt unter anderem einen Beinbruch. Noch ist unklar, wie es zu dem Vorfall kommen konnte. Die Kriminalpolizei hat kurz nach dem Vorfall im Stadion die Ermittlungen aufgenommen.

Hamburger Fans erheben schwere Vorwürfe gegen die Polizei, die zuvor eine Sperre für den HSV-Block verordnet hatte: Die Fans sollten nach dem Abpfiff noch 20 Minuten warten. Die Polizei wollte so verhindern, dass sie auf abziehende Werder-Fans treffen. Wie ein Augenzeuge berichtete, hätten die wegen der 2:3-Niederlage gereizten Fans aber statt der 20 fast 40 Minuten warten müssen, ohne dass es weitere Informationen von der Polizei gegeben habe. Als die Tore dann geöffnet wurden, seien viele losgestürmt, aus Angst, ihren Zug zu verpassen. In dem Gedränge sei es zur Panik gekommen.

Wie die Polizei auf einer Pressekonferenz mitteilte, wurden drei Treppenabgänge von der Tribüne mit dem Schlusspfiff um 20.21 Uhr gesperrt. Als die Sperre nach 20 Minuten noch nicht aufgehoben wurde, weil sich der Abmarsch der Bremer Fans verzögerte, sei vor einem der Eingänge eine Gruppe von HSV-Fans aufgetaucht, die dringend einen Zug nach Hamburg erreichen wollte, um einen Anschlusszug nach Schleswig-Holstein zu bekommen. Als die Polizei sich weigerte, den Block zu öffnen, hätten 20 Fans die Absperrungen durchbrochen und Polizisten mitgerissen. Dabei seien am Boden Liegende überrannt worden.

"Ich erwarte, dass dieses unglückliche Geschehen schnellstmöglich aufgeklärt wird", sagte HSV-Vorstand Oliver Scheel, der ebenfalls in dem Stehplatzblock warten musste. Bereits am gestrigen Sonntag versuchte Scheel, telefonisch mit den zuständigen Polizeibeamten in Bremen in Kontakt zu treten. Heute will er auch mit den Werder-Verantwortlichen den Dialog suchen. "Ich wünsche den Verletzten schnelle Genesung", sagt Scheel.

Auch HSV-Sportchef Bastian Reinhard zeigte sich tief erschüttert: "Es ist schon tragisch, wenn Menschen zum Sport gehen und dann lebensgefährlich verletzt im Krankenhaus landen. Dieser Fall muss unbedingt untersucht werden."