Die Mannschaft von Trainer Martin Jol zeigt in Berlin zwei völlig unterschiedliche Halbzeiten. Den Rothosen ist vorzuwerfen, dass sie nach der frühen Führung durch ein Traumtor von Mladen Petric nicht vorzeitig für die Entscheidung gesorgt haben.

Berlin. Der Tabellenfünfte gegen den Tabellenvierten, da hätte eigentlich ganz Berlin ins Olympiastadion kommen müssen, aber nichts da. Gerade einmal 48 285 Zuschauer waren gekommen, um dieses Verfolgerduell zu erleben enttäuschend. Und so begann das Spiel dann auch. Bei nasskalter Witterung schoben sich beide Mannschaften den Ball hin und her, keiner wollte den Fehler begehen, Sicherheit zuerst.

Was auf Hamburger Seite fast schief gegangen wäre, denn in der achten Minute stand Andrey Voronin plötzlich frei vor dem Hamburger Tor, doch Keeper Frank Rost behielt die Ruhe und hielt den Schuss. Fast wäre der HSV wieder einmal schnell mit 0:1-Rückstand in Rückstand geraten, die letzten zwei Auswärtsspiele (Hoffenheim und Hannover) endeten mit einer 0:3-Pleite.

Diesmal aber entwickelte sich das Spiel zu Gunsten der Hamburger, die mit Guy Demel und Alex Silva auf der "Sechs" antraten. Der HSV bestimmte das Geschehen, der Ball hielt sich zumeist in der Hertha-Hälfte auf und er landete einmal auch im Berliner Tor: Einwurf des ehemaligen Hertha-Spielers Jerome Boateng (der bei jeder Ballberührung ausgepfiffen wurde), der Ball flog bis Mitte des BSC-Strafraums, dort verschätzte sich Nationalspieler Arne Friedrich, der unter der aufsetzenden Kugel hindurch sprang. Mladen Petric bemächtigte sich des Kunstleders, stoppte es und verwandelte mit einem kunstvollen Fallrückzieher. Ein Tor des Monats für den besten HSV-Schützen, der damit seinen fünften Saisontreffer markierte (12.). Von den Berlinern kam keine Antwort. Keine Chance mehr, kein großes Aufbäumen. Dem HSV aber ist vorzuwerfen, dass er aus seiner großen Überlegenheit nicht mehr Kapital geschlagen hat. 5:1 hieß es nach Eckstößen für die Jol-Truppe, die zudem 60 Prozent der Zweikämpfe für sich entschieden hatte. Aber: Zum ersten Mal in dieser Saison führte der HSV in einem Auswärtsspiel zur Pause mit 1:0. Und: Keine andere Bundesliga-Mannschaft hatte bis zu diesem Spieltag mehr Gegentore im ersten Durchgang kassiert, aber keine andere Bundesliga-Mannschaft hatte auch in der zweiten Halbzeit weniger Gegentreffer hinnehmen müssen, als der HSV. Alles klar also mit einem Auswärtssieg?

Mitnichten! Sekunden nach dem Wiedernapfiff hieß es bereits 1:1. Flanke Chahed, in der Mitte verpassen Joris Mathijsen und Nicu, dahinter aber lauerte Cicero, der den Ball akrobatisch einköpfte. Damit war das Spiel auf den Kopf gestellt, aber es kam noch schlimmer. Ein Doppelschlag: Hertha griff über rechts an, Mathijsen und Voronin gingen zum Ball, Schiedsrichter-Assistent Detlef Scheppe hob die Fahne in die Luft. Freistoß? Der Unparteiische Thorsten Kinhöfer ließ weiterspielen, aber Bastian Reinhardt stellte vorübergehend die Arbeit ein. Was Nicu zu nutzen wusste, er lief in den HSV-Strafraum, passte mustergültig zum zur zweiten Halbzeit für Raffael eingewechselten Valeri Domovchiyski, der ohne Mühe aus vier Metern zum 2:1 traf. Der HSV hatte leichtfertig einen scheinbar sicheren Vorsprung verschenkt. Entsprechend angefressen äußerte sich Trainer Martin Jol nach der Partie: "Das ist bitter, wenn man so ein Spiel noch verliert. In der ersten Halbzeit habe ich sehr viele positive Dinge gesehen. Umso ärgerlicher ist die Niederlage."

Die Frage, die die Hamburger Fans nach dem Wiederanpfiff beschäftigte: Was hatte man dem HSV in den Halbzeit-Tee getan? Schlaftabletten? Oder war es nur die pure Überheblichkeit? Von nun an hechelten die Hamburger diesem Rückstand hinterher. Jonathan Pitroipa kam (für Boateng), Paolo Guerrero kam (für Piotr Trochowski), aber gute bis beste Tormöglichkeiten blieben Mangelware. Zu allem Überfluss holte sich der meckernde David Jarolim noch seine fünfte Gelbe Karte der Saison ab und fehlt nun am nächsten Sonntag im Heimspiel gegen Werder Bremen.

Im Olympiastadion tat sich bis zum Schlusspfiff nicht mehr viel, die Hertha schaukelte das 2:1 sicher über die Bühne. Einzig Jonathan Pitroipa traf in der Nachspielzeit mit einem Distanzschuss noch die Latte des vom guten Jaroslav Drobny bewachten Tores der Berliner. Der HSV hat nun schon seit 1997 nicht mehr in der Hauptstadt gewonnen. Trotzdem erklärte Jol: "Ich kann meinen Spielern keinen Vorwurf machen. Als der Linienrichter vor dem zweiten Gegentor die Fahne gehoben hat, habe ich gedacht, das Spiel sei unterbrochen, war es aber leider nicht. Am Ende hat der Schiedsrichter nur zwei Minuten nachspielen lassen, obwohl es so viele Auswechslungen gab. Das war nicht richtig."

Jubel kam dann doch noch einmal auf, als die Anzeigentafeln das 2:2 der Gladbacher gegen den FC Bayern verkündeten. Auf den HSV war Verlass, er ist auswärts eben nur eine Mogelpackung und ein Punktelieferant. Das Mittelmaß hat den einstigen Gipfelstürmer wieder.