Lippi zieht Konsequenzen im Italien-Streit. Albaner euphorisch empfangen. Alaba wendet sich an enttäuschte Fans. Iren verdrängen Henry.
Island-Kommentator vor Rauswurf als Trainer
Der isländische TV-Fußball-Kommentator Gudmundur Benediktsson, der mit seinen schrillen Jubelschreien beim 2:1 (1:0)-Sieg des Teams seines Landes über Österreich im letzten Vorrundenspiel für weltweite Schlagzeilen sorgte, droht nun seinen Job zu verlieren. Benediktsson ist im Hauptberuf Assistenzcoach des isländischen Erstligisten KR Reykjavik, und dessen Trainerteam steht gerade nach drei Niederlagen in Serie vor der Entlassung.
Dabei war Benediktsson extra für das Ligaspiel in der auch während der Europameisterschaft laufenden isländischen Meisterschaft gegen IA Akranes in die Heimat geflogen, doch sein Einsatz half nichts. Auch mit dem mittlerweile berühmten TV-Kommentator auf der Bank verlor KR Reykjavik mit 1:2.
Cheftrainer Bjarnig Gudjohnsen und Benediktsson stehen somit laut isländischen Medien vor der Entlassung. Für Benediktsson bliebe dann immer noch der Zweitjob beim Fernsehen, für das er als freier Mitarbeiter tätig ist. Bei Islands Achtelfinal-Duell mit England am Montag (21 Uhr) in Nizza wird er jedenfalls wieder vor dem Mikrofon sitzen.
Candreva steht weiter auf der Kippe
Drei Tage vor dem Achtelfinal-Klassiker gegen Spanien hat Italiens Mittelfeldspieler Antonio Candreva erneut nur Teile des Mannschaftstraining absolviert. Der Einsatz des 29-Jährigen in der wichtigen Partie am Montag ist damit weiter ungewiss. Der Profi von Lazio Rom absolvierte bei der Einheit am Freitag in Montpellier die Aufwärmübungen mit dem Team und danach ein individuelles Programm. Die zuvor angeschlagenen Salvatore Sirigu und Federico Bernardeschi kehrten dagegen ins Teamtraining zurück. Ein Fehlen von Candreva gegen Spanien wäre ein herber Rückschlag für Italien, der Profi gehörte gegen Belgien und Schweden zu den Besten.
Corluka weiter im Wasserball-Outfit?
Fußballer und ihr Aberglaube - das war schon immer ein Stoff für absurde Geschichten. Kroatiens Verteidiger Vedran Corluka ist bei dieser EM bislang vor allem durch seine ständig und nicht immer ganz freiwillig wechselnden Kopfbedeckungen aufgefallen - und will daran jetzt so lange wie möglich festhalten.
Gleich während des ersten Spiels gegen die Türkei erlitt der ehemalige Profi von Bayer Leverkusen eine Platzwunde am Kopf. Die wurde noch am Spielfeldrand mit einem Dieter-Hoeneß-Gedächtnis-Turban verbunden. Corlukas Problem war nur: Die Wunde platzte immer wieder auf, selbst während des Spiels gegen Tschechien fünf Tage später.
Irgendwann hatte Corluka genug von der Turban-Binderei - und setzte sich noch auf dem Platz eine Wasserballkappe auf. Die schützt die Wunde zwar angeblich deutlich besser, sieht in den kroatischen Nationalfarben rot-weiß-blau aber auch ziemlich bunt und albern aus.
Vor dem Achtelfinal-Spiel gegen Portugal ist die Wunde längst verheilt und die Kappe eigentlich nicht mehr nötig. Doch Corluka will sie am Samstag trotzdem wieder tragen, selbst bei sommerlichem Wetter. „Es sieht so aus, als würde sie Glück bringen“, sagte er.
Lippi verzichtet auf Azzurri-Comeback
Der italienische Weltmeister-Coach Marcello Lippi (68), den Italiens Fußballverband nach der EM-Endrunde in Frankreich als Technischen Direktor verpflichten wollte, verzichtet auf sein Comeback bei den Azzurri. Der Erfolgscoach zog die Konsequenzen aus der Kritik in verschiedenen Medien an seiner Person um angebliche Interessenskonflikte, da sein Sohn Davide Berater mehrerer Profi-Fußballer ist.
"Ich will meinen Sohn schützen, der diesen Job seit über zehn Jahren macht. Er hat für seine Zukunft gekämpft, und ich habe ihn stets von meiner Arbeit ferngehalten, zumindest in Italien", sagte Lippi der Gazzetta dello Sport. Der Coach bedauerte seinen Entschluss.
"Ich würde mit großem Enthusiasmus für den Fußballverband arbeiten, doch ich kann nicht", betonte Lippi. Der Toskaner war 2006 nach Italiens viertem WM-Triumph in Deutschland erstmals als Nationaltrainer zurückgetreten.
Nach dem Viertelfinal-Aus der Südeuropäer bei der EM 2008 unter Lippis Nachfolger Roberto Donadoni übernahm er wieder den Trainerposten, demissionierte jedoch nach dem Vorrunden-K.o. seiner Titelverteidiger bei der WM-Endrunde 2010 in Südafrika erneut.
Zuletzt war Lippi als Trainer beim chinesischen Spitzenklub Guangzhou Evergrande tätig. Lippi hätte an der Seite von Giampiero Ventura, Nachfolger für den nach der EM zum FC Chelsea wechselnden Nationaltrainer Antonio Conte, zusammenarbeiten sollen.
Europameisterlicher Empfang für Albanien
Albaniens Nationalteam ist nach dem Vorrunden-Aus von tausenden Fans in Tirana begeistert empfangen worden. Die Mannschaft von Nationalcoach Gianni De Biasi wurde am Donnerstag bei der Ankunft in der Heimat noch am Rollfeld von Ministerpräsident Emi Rama über einen roten Teppich geleitet. Später fuhr das Team mit den Bundesligaprofis Mergim Mavraj vom 1. FC Kön und Amir Abrashi vom SC Freiburg in einem offenen Bus in den Nationalfarben Albaniens durch die Straßen Tiranas. Das Team bekam von Rama zudem aus Dankbarkeit für die Leistung bei der EM in Frankreich Diplomatenpässe ausgehändigt.
Rama dachte dabei schon wieder voraus. „Dieses Team ist wirklich bereit, sich der schwierigen WM-Qualifikation zu stellen“, sagte der Ministerpräsident. EM-Neuling Albanien hatte am vergangenen Sonntag mit 1:0 gegen Rumänien den ersten Sieg bei einem großen Turnier überhaupt gefeiert. Trotzdem gehört der Dritte der Gruppe A am Ende nicht zu den vier besten Gruppendritten, die das Achtelfinale erreichten. Dies stand allerdings erst am Mittwochabend fest.
Iren denken nicht mehr an Thierry Henry
Die Iren versuchen vor dem Achtelfinale gegen Frankreich mögliche Gedanken an eine Revanche für das Handspiel von Thierry Henry auszublenden. „Ja, ich war damals dabei“, sagte Routinier Robbie Keane vor der Partie am Sonntag (15 Uhr) in Lyon. „Aber ich werde nicht eine Sekunde daran denken. Wie lange ist es her? Sieben Jahre. Es muss weitergehen“.
Im November 2009 hatte es im Playoff-Rückspiel für die Qualifikation zur WM 2010 in Südafrika vor dem entscheidenden französischen Treffer ein klares Handspiel von Thierry Henry gegeben, das nicht geahndet wurde. Irland verpasste dadurch die Weltmeisterschaft.
„Es sorgt noch für einige Debatten, aber vielleicht mehr in Frankreich als in Irland“, sagte Trainer Martin O'Neill. „Wir haben beschlossen, das zu vergessen. Natürlich wird darüber gesprochen, aber ich glaube nicht, dass es uns beeinflussen wird, wenn wir spielen.“ Neben Keane waren aus dem heutigen Aufgebot John O'Shea, Glenn Whelan, Torwart Shay Given und Aiden McGeady damals dabei.
Mehr als die Vergangenheit beschäftigt O'Neill die Gegenwart und die deutlich längere Erholungspause der Franzosen. Die Gastgeber spielten ihr letztes Gruppenspiel am Sonntag (0:0 gegen die Schweiz), die Iren qualifizierten sich erst am Mittwochabend durch ein 1:0 gegen Italien für das Achtelfinale. Dies könne „sehr, sehr wichtig werden“.
Alaba richtet sich an enttäuschte Fans
Nach dem frühzeitigen Abschied aus Frankreich hat sich Bayern-Profi David Alaba bei den Fans der österreichischen Nationalmannschaft für die Unterstützung bedankt und eine tiefe Enttäuschung im Team eingeräumt. „Ich weiß, dass ihr enttäuscht seid. Aber glaubt uns, wir sind es umso mehr“, schrieb Alaba am späten Donnerstagabend im Internet. „Wir haben gemeinsam mit Euch die Europameisterschaft erreicht. Aber irgendwie hat es nicht sein sollen. Wir wollten mehr erreichen. Der Schock sitzt tief.“
Für jeden seiner Mitspieler sei es „immer eine Ehre, für unser Land spielen zu dürfen. Wir werden nun alle erstmal das Turnier verarbeiten und dann Schritt für Schritt wieder auf das nächste schauen - mit der Einstellung, immer alles für Euch zu geben!“
Die Elf von Trainer Marcel Koller war bei der EM nach einem 0:2 gegen Ungarn, einem 0:0 gegen Portugal und einem 1:2 gegen Island in der Vorrunde ausgeschieden. Die Wiener Zeitung „Der Standard“ stellte dazu fest: „Ein Problem des Teams war, dass es die Erwartungen selbst sehr hoch geschraubt hat.“ Nach der souveränen Qualifikation mit 28 von 30 möglichen Punkten sei das Land durchgedreht und die Realität verkannt worden.
Chappi traut der Schweiz Großes zu
Ex-BVB-Profi Stéphane Chapuisat traut der Schweiz den Viertelfinal-Einzug zu. „Ich bin überzeugt, dass die Schweiz am Samstag gegen Polen gewinnen kann. Zum ersten Mal ist der Gegner etwa gleich stark“, sagte Chapuisat vor dem Duell der Schweiz mit Polen im Achtelfinale am Sonnabend (15 Uhr) dem TV-Sender SRF.
Der frühre Stürmer hatte 1997 mit Borussia Dortmund die Champions League gewonnen und war 1994 mit der Schweizer Nationalelf im WM-Achtelfinale gescheitert. Damals war auch der frühere Nationalspieler Georges Bregy dabei, der die aktuelle Nationalelf im Vergleich zu 1994 sogar für eine der bislang besten der Schweiz hält. „Individuell ist die Mannschaft sicher besser besetzt“, sagte Bregy SRF. „Es ist eine der besten Mannschaften, die wir je hatten.“
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Die Auftritte der Spielerfrauen bei der Fußball-EM
Rooney hat genug vom Scheitern
Wayne Rooney hat genug vom frühen Scheitern bei großen Turnieren mit der englischen Nationalmannschaft. „Ich sitze hier nicht und sage, dass wir eine Gruppe von jungen Spielern sind und deshalb glücklich wären, das Viertelfinale zu erreichen“, sagte der Kapitän der Three Lions vor dem Achtelfinale gegen Island am Montag in Nizza. „Wir sind hier und wollen es gewinnen.“
Dabei sieht sich Rooney nicht mehr in der alleinigen Verantwortung für den Erfolg Englands. „Ich habe immer sehr viel Druck gespürt bei vergangenen Turnieren und gedacht, dass ich derjenige bin, der die Spiele und Turniere gewinnen muss“, sagte er. „Wir haben jetzt viele Spieler, die dies können. Wir haben fünf oder sechs Spieler in unserem Team, die uns Spiele gewinnen können, und das war nicht immer so.“
In seinem ersten Turnier als Spielführer agiert Rooney nicht mehr als Stürmer, sondern als Organisator im halblinken Mittelfeld. In Frankreich will der 30 Jahre alte Superstar von Manchester United seine schwache Bilanz von bislang nur einem Sieg in der K.o.-Runde einer EM oder WM verbessern. „Für England in Turnieren zu spielen, war bislang enttäuschend, weil wir es nie weit geschafft haben“, sagte Rooney. „Ich denke aber, dass wir die Chance haben, wirklich gut bei diesem Turnier abzuschneiden.“
Ex-Bundesligaprofi macht den Deutschen Mut
Der frühere Bundesligaprofi und Slowakei-Kenner Tomislav Maric sieht den deutschen Achtelfinalgegner fußballerisch nicht ansatzweise auf einem Level mit dem Weltmeister. „Es gibt ganz wenige Topmannschaften in der Slowakei, die deutschen Mannschaften ab Platz fünf vielleicht Paroli bieten könnten“, sagte Maric in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur.
Die Slowakei sei „ein fußballerisches Exportland. Da werden Spieler ausgebildet, und wenn sie was erreicht haben in der heimischen Liga, werden sie ins Ausland verkauft“, sagte Maric. Der 43-Jährige hat bis zuletzt den slowakischen Erstligisten DAC Dunajska Streda trainiert.
Humorvoller nordirischer Irland-Coach
Von der „Liebesaffäre, die wir alle sehen wollten“, schrieb der „Irish Examiner“ nach dem emotionalen Achtelfinal-Einzug der Iren. Wenige Sekunden nach dem 1:0-Sieg gegen Italien stürmten Chefcoach Martin O'Neill und sein Assistenztrainer Roy Keane, der vielleicht raubeinigste aller raubeinigen Ex-Profis, aufeinander zu und fielen sich wie wild um den Hals: hier der stille und bedächtige O'Neill, dort der laute und aufbrausende Keane.
Seinen Job als Nationaltrainer Irlands verrichtet der Nordire O'Neill unaufgeregt und mit leiser Stimme. Der 64-Jährige wirkt manchmal wie ein pensionierter Briefträger mit altmodischem Brillengestell. Als Spieler gehörte er zum legendären Team von Nottingham Forest, die Nordiren führte er 1982 bei der WM in Spanien als Kapitän an. Seine Trainerkarriere führte ihn zu Leicester City und Celtic Glasgow. Doch obwohl er immer wieder für Top-Jobs gehandelt wurde, landete er nur bei Aston Villa und Sunderland.
Mit der Berufung zum Nachfolger von Giovanni Trapattoni im November 2013 scheint O'Neill seine Berufung gefunden zu haben - im Duett mit Keane ist die EM schon vor dem Achtelfinale gegen Frankreich ein Erfolg. Und was sagte der Mann mit dem feinsinnigen Humor zur Umarmung Keanes? „Ich habe ihm geraten, er solle sich mal rasieren.“