Abendblatt-Kolumnist Felix Magath erklärt die deutschen Schwachstellen und die harte Nuss England im WM-Achtelfinale.
Hamburg. Das war ein hartes Stück Arbeit! Das deutsche Team hat sich gegen Ghana viel schwerer getan, als ich vorher gedacht hatte. Ich hatte uns in der Offensive durchschlagskräftiger und in der Abwehr sicherer stehend erwartet. Beides konnte die Mannschaft nicht wirklich überzeugend umsetzen, wobei ich die Offensive an diesem Abend als den einen Tick besser funktionierenden Mannschaftsteil gesehen habe. Indes, viele und vor allem gute Möglichkeiten konnte sie sich nicht erspielen.
Während die Mannschaft die ersten beiden Vorrundenspiele von Beginn an konzentriert und diszipliniert angegangen war, lief es diesmal über die gesamten 90 Minuten nicht so rund. Das ist aus meiner Sicht auch der voran gegangenen Partie gegen Serbien geschuldet. Ein solches Spiel, in dem man annähernd eine Stunde lang in Unterzahl gespielt, sich gegen eine drohende Niederlage gestemmt, am Ende aber eben doch verloren hat, hinterlässt Spuren und beeinflusste eben auch die Ausgangsposition für dieses letzte Gruppenspiel. Gegen Australien und Serbien hat Deutschland konditionell einen Top-Eindruck hinterlassen, konnte diesen körperlichen Vorteil gegen Ghana aber läuferisch nicht ausnutzen.
Die Hereinnahme von Jerome Boateng auf der linken Abwehrseite hat auf alle Fälle gut getan und für mehr Sicherheit auf dieser Außenposition gesorgt. In der Innenverteidigung waren allerdings Lücken auszumachen. Ghana kam vor allem durch das Zentrum zu Chancen. Vier oder fünf Tormöglichkeiten durch die Mitte sind für einen Gegner wie Ghana gewiss zu viel. Manuel Neuer hat uns mit einem erneut überzeugenden Spiel und seiner Klasse-Parade Mann gegen Mann in der 51. Minute vor einem Rückstand und damit womöglich vor größerem Schaden bewahrt!
Wie erwähnt: die Außenpositionen Lahm und Boateng haben ihre Aufgaben gut erfüllt. In der Innenverteidigung aber gibt es noch Abstimmungsprobleme, die schon für das Gegentor gegen Serbien verantwortlich waren. Arne Friedrich, den ich gegen Ghana im Übrigen stark verbessert gesehen habe, und Per Mertesacker waren bei der Hereingabe zu weit nach rechts und links ausgeschert und hatten das Zentrum preisgegeben. Diese Lücken fallen mir immer wieder auf. An der Feinabstimmung muss gearbeitet werden, damit wir das Achtelfinale gegen England am Sonntag erfolgreich gestalten können.
Dass Mesut Özil das Tor des Abends erzielte, war kein Zufall. Der Bremer war der einzige, der nach vorne etwas entwickeln konnte. Rechts und links blieben Thomas Müller und Lukas Podolski hinter den Erwartungen zurück, vorne spielte auch Cacau nicht so effektiv wie erhofft. Er hat mich immer dann überzeugt, wenn er als Joker kam.
Gegen England stellt sich nun die Frage, wie das Offensiv-Spiel der DFB-Mannschaft ausgerichtet sein wird. Klose wäre aus meiner Sicht der einzige deutsche Angreifer, der sich in Kopfballduellen mit der englischen Abwehr behaupten könnte. Man kann aber auch auf diese Möglichkeit verzichten und versuchen, auf dem Rasen für Unruhe in Capellos Hintermannschaft zu sorgen.
Für welche Marschroute und welche Aufstellung sich Joachim Löw auch immer entscheidet - England wird ohnehin eine ganz harte Nuss. Obwohl mein persönlicher WM-Favorit bislang noch nicht so recht überzeugen konnte, wären mir die USA als Achtelfinalgegner lieber gewesen. Denn die Engländer sind von den Einzelspielern her gewiss nicht schlechter als wir. Sie sind nur bislang nicht in der Verfassung, in der sie ihre WM-Qualifikationsgruppe so eindrucksvoll beherrscht haben. Aber ich erinnere mich an 2006: damals wurde mit Italien ein Team Weltmeister, das sich in der Vorrunde auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatte ...