Bundestrainer Joachim Löw setzt auf “Stahlbad“-Effekt. Bastian Schweinsteigers Einsatz im WM-Achtelfinale am Sonntag ist gefährdet.
Erasmia. Als er vom Rasen in der riesigen Stadionschüssel von Johannesburg gehumpelt war, wurde Bastian Schweinsteiger kurz am lädierten Oberschenkel behandelt. Anschließend hüllte er sich in eine Decke, um die letzten Minuten am Spielfeldrand zu verfolgen. Da saß sie nun mit leidender Miene, die große Hoffnung dieser WM.
Nachdem den Lenker des deutschen Spiels gegen Ghana eine Oberschenkelverhärtung zur vorzeitigen Aufgabe gezwungen hatte, ist die medizinische Abteilung des DFB alarmiert. Müsste der 77-fache Nationalspieler ausgerechnet im Achtelfinalspiel gegen England am Sonntag (16 Uhr/ARD) passen, wäre dies eine Katastrophe. "Es sieht kritisch aus, aber wir sind guter Dinge", gab Co-Trainer Hansi Flick ein doppeldeutiges Bulletin heraus.
Selbst mit dem gegen Ghana agierenden Schweinsteiger blieb die DFB-Auswahl den Beweis schuldig, ob sie in einem K.o.-Spiel gegen eine Mannschaft der Güte Englands stark genug ist zu bestehen. Nur Manuel Neuer, Arne Friedrich, Philipp Lahm und eben Schweinsteiger genügten höchsten WM-Ansprüchen. Der Rest hatte mehr oder weniger stark mit flatterigen Nerven zu kämpfen. "Der Rucksack, den einige mit sich trugen, war groß und schwer", stellte Flick treffend fest, während Löw zu beruhigen versuchte und auf die Lernwilligkeit seiner Spieler setzte: "Dass diese junge Mannschaft nicht immer ihren hohen Rhythmus findet, ist doch normal. Das passiert auch erfahrenen Mannschaften. Die jungen Spieler haben so eine Alles-oder-Nichts-Situation das erste Mal erlebt. Es war gut für sie, durch dieses Stahlbad zu gehen."
Ob der aktuelle Trend, der nach dem starken Auftritt gegen Australien eher nach unten zeigt, wieder gedreht werden kann, darf allenfalls mit vielleicht beantwortet werden. In allen Mannschaftsteilen offenbarte die DFB-Auswahl Schwächen, vom anfangs unbeschwerten Vorwärtsdrang war nicht mehr viel zu sehen. Mesut Özil trotz seines wunderbaren Tores als WM-Star zu feiern, wäre reichlich übertrieben, Lukas Podolski enttäuschte, Thomas Müller rannte sich häufig fest, an Sami Khedira lief das Spiel zu oft vorbei. Als gefährliche Hürde könnte sich auch die unzureichende Bindung zwischen Abwehr, Mittelfeld und Angriff entwickeln. Den Engländern so viel Platz wie den Ghanaern einzuräumen, wäre grob fahrlässig.
Auch wenn die englische Mannschaft wahrlich noch keine Wunderdinge vollbracht hat, könnte sich die fehlende Erfahrung gegen die "Three Lions" entscheidend bemerkbar machen. Während die deutsche Startelf gegen Ghana auf zusammen gerade einmal 402 Länderspiele kommt, standen gegen Slowenien elf Engländer mit 559 - besser verteilten - Einsätzen auf dem Platz, die den Deutschen in Sachen Cleverness und Abgezocktheit überlegen sein könnten.
Gerade deshalb bräuchte Löw Schweinsteiger. Müsste dieser passen, hätte der Bundestrainer zwei Alternativen: Er könnte Sami Khedira mit dem defensiveren Part im Mittelfeld beauftragen und Leverkusens Toni Kroos als Offensivkraft bringen. Theoretisch könnte Löw auch Philipp Lahm von der rechten Abwehrseite ins Zentrum beordern. Der DFB-Kapitän musste schon einmal dort aushelfen: Im August 2007 beim 2:1 im Wembleystadion gegen England. Doch bei den dann erforderlichen Umbaumaßnahmen fehlt dem Bundestrainer womöglich das Personal. Auch Jerome Boateng plagt eine Muskelverhärtung, allerdings an der Wade.
In jedem Fall hat Marcell Jansen gute Chancen, gegen England als Linksverteidiger von Beginn an zum Einsatz zu kommen. Wie der HSV-Profi verriet, sprach er schon vor dem Ghana-Spiel mit Löw über einen Startelf-Platz. Sicher ist, dass Miroslav Klose nach abgesessener Gelb-Rot-Sperre wieder für Cacau in die Mannschaft zurückkehrt.
Auch wenn in Deutschland bei den Menschen vor dem TV - 29,11 Millionen schauten zu - und beim Public Viewing die Begeisterung förmlich überschwappte und Franz Beckenbauer schwärmte: "Für uns Europäer ist es das Spiel schlechthin. Jetzt geht die Weltmeisterschaft so richtig los." - die Stimmung im deutschen Lager ist vor dem nächsten Etappenziel nur gedämpft optimistisch. Während Flick England weiter als "Favoriten auf den Gewinn des WM-Titels" einstuft, sieht Arne Friedrich Deutschland nur als "Außenseiter". Beide wissen warum.