Las Vegas. Das Rennen in Las Vegas ist ein Millionen-Geschäft. Dieses Jahr möchte die Formel 1 die Anwohner noch stärker daran teilhaben lassen.
Ob sich Eier auf Asphalt wirklich zu einem essbaren Spiegelei braten lassen, ist eher fraglich. In Las Vegas, wo Anfang September noch eine Außentemperatur jenseits der 40 Grad-Marke herrscht und Restaurants deshalb auch im Außenbereich Klimaanlagen einsetzen, ist man als Besucher aber versucht, es hier, direkt vor dem edlen Hotel Bellagio, einfach mal auszuprobieren. Zumal der Asphalt regelrecht dazu einlädt.
Denn der wurde auf dem „Strip“, wie der Las Vegas Boulevard, der durch das Epizentrum der Glücksspiel- und Unterhaltungsmetropole führt, genannt wird, erst im vergangenen Jahr frisch verlegt. Aber nicht, damit die Kleinbusse, die hier als fahrende Werbetafel entlang eiern, besser fahren können oder gar, um darauf Spiegeleier zu braten.
Formel 1: Mit 350 km/h durch Las Vegas
Der neue Asphalt war notwendig geworden, weil sich die Stadt in ihrer Metamorphose vom Glücksspielparadies hin zur Sportstadt ein Rennen in der Königsklasse des Motorsports gesichert hatte: der Formel 1. Die Fahrer profitieren von dem frischen Belag, der Franzose Charles Leclerc erreichte im vergangenen Jahr eine Höchstgeschwindigkeit von 350 km/h. Gewonnen hat trotzdem ein anderer. Max Verstappen kam als Erster ins Ziel. In diesem Jahr kann sich der Holländer in Las Vegas zum Weltmeister küren.
Einer, der fast jeden Tag über die Rennstrecke fährt, dabei aber nicht ganz an die Geschwindigkeit von Leclerc und Verstappen herankommt, ist Taxifahrer Edward. Normalerweise meidet er diesen auf der ganzen Welt bekannten Teil der Stadt allerdings: „Menschen, die in Las Vegas wohnen, gehen nicht auf den Strip“, sagt er. Er selbst sei einmal im Jahr hier – zum Geburtstag seiner Frau. Dann gehen die beiden auf dem Strip essen. Und eben für die Arbeit, wenn er Touristen aus der ganzen Welt hier absetzt. Und das fast jeden Tag.
Formel 1: Anwohner klagten über Einschränkungen
Wenn die Boliden der Formel 1 am Sonntag (7 Uhr/Sky und RTL) durch Las Vegas rasen, sucht Edward mit seiner Frau das Weite: „Wir verlassen für drei Tage die Stadt“, erzählt er, während er an der goldenen Fassade des Mandala Bay und einem Hotel, das wie eine Pyramide aussieht, vorbeifährt. „Wir werden ein bisschen Urlaub machen, bis der Zirkus wieder vorbei ist.“
Zu groß sei der Trubel, zu voll die Stadt – und für ihn als Taxifahrer gebe es durch die vielen Sperrungen und Umleitungen ohnehin zu viele Einschränkungen, sagt er. „Im vergangenen Jahr war das größte Problem, dass die Leute nicht zur Arbeit gekommen sind wegen der ganzen Sperrungen“, sagt er.
Formel 1 kaufte Grundstück für 225 Millionen Euro
Außerdem seien durch die vielen Bauarbeiten schon vor dem Rennen andauernd Straßen gesperrt gewesen, was die Anwohner zusätzlich verärgert hatte. Für die Einwohner von Las Vegas sei das Rennen eher ein Fremdkörper. Für Edward gibt es deswegen nur eine logische Konsequenz: Er will raus aus der Stadt.
Fallon Porter kennt diese Kritik. Sie arbeitet für den Veranstalter des Rennens als Kommunikationsmanagerin und steht gerade auf dem Dach des vierstöckigen Boxengebäudes, das die Formel 1 im vergangenen Jahr eigens für das Rennen gebaut und das dazugehörige Grundstück kurzerhand für 225 Millionen Euro gekauft hatte. Die Sonne brutzelt erbarmungslos vom Himmel, selbst nachts sind hier immer noch 33 Grad. Porter scheint die Hitze nichts auszumachen.
Formel 1: Zahl der Anwohner-Tickets verdreifacht
„Die großen Bauarbeiten, wie für die Boxengasse und das Gebäude hier, haben vergangenes Jahr für viele Einschränkungen gesorgt“, gesteht sie. „In diesem Jahr gibt es die Infrastruktur schon, die Bauarbeiten sind dementsprechend deutlich weniger geworden.“
Auch die Kritik, dass die Menschen in Las Vegas zwar die Einschränkungen im Herzen der Stadt ertragen müssen, aber angesichts der teils astronomisch hohen Preise nicht sonderlich viel vom Rennen mitbekommen, hat sich die Formel 1 zu Herzen genommen. „Wir haben die Zahl an Anwohner-Tickets in diesem Jahr verdreifacht, damit mehr Menschen aus der Gegend am Rennen teilhaben können“, sagt Porter.
27.000 Euro für drei Tage Formel 1
Diese Tickets waren ausschließlich für Menschen mit Wohnsitz im Bundesstaat Nevada, in dem Las Vegas liegt, erhältlich und noch einigermaßen erschwinglich. Drei-Tages-Tickets, mit denen man aus verschiedenen Zonen entlang der Strecke das Rennen verfolgen kann, gingen bei umgerechnet 570 Euro los. Die Karten waren schnell ausverkauft.
Porter hat die Besuchergruppe inzwischen vom Dach in die Boxengasse geführt und zeigt auf eine Garage direkt neben dem Fahrerlager, in der aktuell noch Baumaschinen und jede Menge eingeschweißter Kartons herumstehen: „Das ist die ‚Papi Steak Garage‘“, erklärt sie, „die exklusivste Möglichkeit, das Rennen zu schauen.“ Und die teuerste. Wer von hier aus Verstappen und Co. zuschauen möchte, wie sie 50 Runden im Kreis durch Las Vegas fahren, muss für ein Drei-Tages-Ticket rund 27.000 Euro hinblättern.
Las Vegas: Von der Glücksspiel- zur Sportstadt
Dass die Formel 1 in der Glücksspielmetropole Halt macht, ist der vorläufige Höhepunkt einer von der Stadt forcierten Entwicklung hin zur ultimativen Sportstadt, die ein einzigartiges Angebot aus Entertainment und Sport bieten soll. Ein Konzept, das bislang durchaus aufgeht. Einer, der diese Entwicklung hautnah miterlebt, ist Ron Futrell.
Der großgewachsene Mann arbeitet als Sportreporter beim lokalen TV-Sender „8 News Now“ und lebt schon seit 40 Jahren in der Stadt. In jedem seiner Sätze fällt mindestens einmal das Wort „fucking“ – mal positiv, mal negativ konnotiert, wenn er etwa über bestimmte Politiker spricht. Früher hat er vor allem über Highschool-Sport in seiner Stadt berichtet, heute eben über die Formel 1, den Super Bowl und die Las Vegas Knights, eines der besten Eishockeyteams der Welt.
Sportreporter: „Ohne Tourismus sind wir tot“
Dass nun Rennautos durch „sein“ Las Vegas rasen, findet er „fucking amazing“ und macht dazu ausladende Handbewegungen, sodass auch jene, die des Englischen nicht allzu mächtig sind, schnell verstehen, dass er die Rennautos wohl ganz gerne über den Strip fahren sieht.
„Las Vegas braucht solche Events“, sagt Futrell. „Wir müssen das Rad immer am Laufen halten. Wenn der Tourismus in dieser Stadt stirbt, sind wir tot.“ Die Kritik mancher Anwohner aus dem vergangenen Jahr kann er deshalb auch nicht nachvollziehen. Das Formel-1-Rennen sei die größte Sportveranstaltung, die die Stadt bekommen könnte: „Die Olympischen Spiele kommen nicht hierher, die Fußball-Weltmeisterschaft auch nicht. Formel 1 ist das Größte, was wir uns wünschen könnten.“
Auch der Super Bowl war in Las Vegas
In seiner überschwänglichen Freude vergisst Futrell ein wenig, dass in diesem Jahr ja auch der Super Bowl, das Finale der nordamerikanischen Football-Liga und das wahrscheinlich größte Einzelsportereignis weltweit, in Las Vegas stattgefunden und eine halbe Million Besucher in die Stadt gelockt hat.
Doch anders als die Footballer, die jedes Jahr in ein neues Stadion ziehen, ist die Formel 1 gekommen, um zu bleiben. Zwar gilt der Vertrag zwischen Stadt und Formel 1 bislang nur bis zum kommenden Jahr, doch Las Vegas strebt eine „lebenslange Partnerschaft“ an und hat den Strip deswegen gleich schon mal für die kommenden zehn Jahre für die Rennen gesperrt.
Formel 1: Auch Deutsche reisen nach Las Vegas
„Das ist der richtige Weg“, findet Futrell. „Die Stadt verbindet Entertainment und Sport wie keine andere. Die Leute kommen auch aus Düsseldorf, München und Berlin, um hier Sport zu gucken und eine gute Zeit zu haben“, erzählt er seinem deutschen Gegenüber. Und Sporttourismus ist laut Futrell nicht nur ein „big deal“, sondern gleich ein „motherfucking big deal“. Ein sehr lukratives Geschäft eben.
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Im vergangenen Jahr hat die Stadt laut Veranstalter umgerechnet rund 73 Millionen Euro an Steuern durch die Formel 1 eingenommen, der wirtschaftliche Einfluss, also alle Transaktionen, die in Verbindung mit dem Rennen standen, belief sich auf 1,4 Milliarden Euro.
Formel 1: 1,4 Millionen Euro für den guten Zweck
Die Formel 1 ist bemüht, auch Menschen wie Edward zumindest einen kleinen Teil des großen Geldes zurückzugeben. So flossen nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr rund 1,4 Millionen Euro an lokale Organisationen, außerdem habe man knapp 70.000 Kilo an Lebensmitteln direkt nach dem Rennen an entsprechende Ausgabestellen gespendet.
Ob solche Taten Edward dazu bewegen können, sich in den kommenden Jahren vielleicht doch mal ein Rennen in seiner Heimatstadt anzugucken, bleibt fraglich. Über den neuen Asphalt kann er sich inzwischen immerhin freuen. Und vielleicht schenkt er seiner Frau zum nächsten Geburtstag ja wieder ein Essen auf dem Strip, während nebenan gut bezahlte Männer um die Wette fahren.