Sao Paulo. Ferrari hat gute Chancen, den Konstrukteurs-WM-Titel der Formel 1 zu holen – trotz vieler Fehler. Es wäre ein Triumph für Fred Vasseur.

McLaren, das Team der Saison. Lando Norris, der Mann, der Max Verstappen den Formel-1-Titel an den letzten vier Rennwochenenden noch abjagen könnte. Alles gut und schön. Aber vor dem Großen Preis von Brasilien an diesem Sonntag (18 Uhr deutscher Zeit/Sky) ist Ferrari das Team der Stunde. Mit einer guten Chance, den Konstrukteurs-Titel zu holen – was noch im Sommer absurd schien. Teamchef Fred Vasseur, der Vater des roten Wunders, frohlockt nach zwei Siegen in Folge: „Solange sich alle auf Verstappen und Norris konzentrieren, ist das perfekt für uns. Wir können unter dem Radar fliegen.“ Die Scuderia könnte nach 16 Jahren wieder einen Weltmeistertitel nach Maranello holen – auf dem Schleichweg.

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Allein mit dem Überschwang des Sieges beim Großen Preis von Mexiko, den er für das eigene Seelenwohl so sehr gebraucht hatte, kann die Ankündigung von Carlos Sainz jr. nicht zu tun haben. Der 30 Jahre alte Spanier, der bei Ferrari zum Saisonende gegen Lewis Hamilton ausgetauscht wird, könnte sich tatsächlich mit einem WM-Titel aus Italien verabschieden. Nicht im Einzel, aber in der Mannschaft. Vor den letzten vier Rennen dieser ungemein spannend gewordenen Grand-Prix-Saison hat seine Scuderia Ferrari das Red-Bull-Team in der Konstrukteurs-WM bereits überholt und liegt nur noch 29 Zähler hinter Spitzenreiter McLaren. Sainz ruft das in Mexiko-Stadt als Kampfansage in die Arena: „Wir dürfen uns jetzt erlauben, vom Konstrukteurstitel zu träumen.“

Ferrari-Teamchef Fred Vasseur (rechts) mit seinen beiden Topfahrern Charles Leclerc (links) und Carlos Sainz.
Ferrari-Teamchef Fred Vasseur (rechts) mit seinen beiden Topfahrern Charles Leclerc (links) und Carlos Sainz. © AFP | PATRICK T. FALLON

Was das für eine Erlösung wäre. Seit 2008 fährt die ruhmreiche Scuderia diesem Traum hinterher, mit den 16 vorausgegangenen Titeln als drückender Last. Hat sich erst von Red Bull Racing demütigen lassen müssen, dann von Mercedes, zuletzt wieder von Red Bull. Auf diesem Leidensweg der Ferraristi wurden Weltmeister wie Fernando Alonso und Sebastian Vettel verschlissen. Rekordhalter Lewis Hamilton, der vor Saisonbeginn seinen Wechsel für 2025 nach Maranello ankündigte, schien sich in diese Reihe unerfüllter Hoffnungen einzureihen. Der Brite musste sich noch im Sommer fragen lassen, ob er nicht aufs falsche Pferd setzen würde – und blieb die Antwort schuldig. Heute sagt er: „Es ist unglaublich, welche Fortschritte sie seither gemacht haben.“

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Seit den letzten beiden Rennen in Austin und Mexiko jedoch sind die größeren Ambitionen nicht mehr zu übersehen. In Texas feierten Charles Leclerc und Carlos Sainz einen Doppelerfolg, am vergangenen Sonntag konnte sich nur Lando Norris zwischen Sainz und Leclerc schieben. Die Fahrerpaarung in Rot ist häufig kritisiert worden, aber sie entpuppt sich als ein zuverlässiges punktendes Duo. So wird das Lächeln von Frédéric Vasseur, der im Dezember 2022 vom Kundenteam Sauber zu Ferrari gewechselt war, vor dem Gastspiel in Sao Paulo immer breiter. Das Netzwerk des 56-Jährigen im Motorsport, sein Wissen und seine beharrliche Art waren nach Jahren interner Verwerfungen bei den Italienern genau das, was Ferrari so dringend brauchte. Denn Vasseur ist auch ein gewiefter Politiker, nach innen wie außen.

Eine Pointe dieser Entwicklung ist, dass Vasseur in Maranello wieder auf seinen Zögling Charles Leclerc traf. Der 27 Jahre alte Monegasse gilt (immer noch) als Ausnahmetalent, patzt aber regelmäßig in scheinbar einfachen Situationen. In den letzten Jahren schon hat er sich den ein oder anderen Schnitzer geleistet, häufiger aber lagen die Fehler beim Material oder der Taktik. Ferrari war lange ein sich um sich selbst drehender Kosmos, angetrieben von einem gefährlichen Gemisch aus einer Menge Geld, einem überbordenden Selbstverständnis und schwer zu durchschauender Rivalitäten. Der Realo Vasseur hat das Team geerdet, alte Seilschaften gekappt und die Führungsspitze umgebaut.

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Der rote Rennwagen ist zum richtigen Zeitpunkt schneller geworden, auf manchen Pisten dem McLaren ebenbürtig und dem Red-Bull-Honda voraus, immer für eine Überraschung gut. Der Erfolg bringt ein ganz neues Gemeinschaftsgefühl mit sich, aus dem heraus vieles plötzlich möglich scheint. „Wir haben uns gegenseitig angestachelt“, weiß Carlos Sainz, „jetzt dürfen wir uns nur nicht von der Chance überwältigen lassen.“ Emotionen und Ferrari, das ist beinahe synonym. „Über die Jahre hinweg habe ich gelernt, damit umzugehen. Ich weiß aber auch, dass die Leidenschaft mit zu den besten Eigenschaften dieses Teams gehört. Anders als vor drei, vier Jahren beeinflusst uns all der Lärm von außen nicht mehr“, glaubt Charles Leclerc. Der Star ist jetzt die Mannschaft.