Hamburg. An diesem Wochenende ist es so weit, die Vendée Globe beginnt. Das Abendblatt beantwortet alle Fragen zur legendären Weltumsegelung.

Der Hamburger Boris Herrmann startet an diesem Sonntag zum zweiten Mal bei der härtesten Regatta der Welt, der Vendée Globe. Rund 80 Tage lang wird er auf See sein, keine Hilfe von außen in Anspruch nehmen dürfen, allein mit Wind, Wellen und gegen die Einsamkeit kämpfen.

„Ich habe in den vergangenen Tagen festgestellt, dass es doch etwas anderes ist, vor einem Start zu einer Einhand-Weltumsegelung zu stehen, ich bin sehr aufgeregt“, sagt Herrmann kurz vorher. Vor dem Ocean Race mit einer Crew sei er wesentlich lockerer gewesen. „Man merkt dann, dass diese Vendée doch die ultimative Herausforderung ist.“

Fischerboot kostete Herrmann 2021 Top drei

Herrmann ist ambitioniert. Bei der Vendée Globe 2020/2021 war der Hamburger der erste deutsche Teilnehmer überhaupt. Zählte nicht zu den Favoriten. Aber er überraschte alle, war zwischenzeitlich sogar auf Siegerkurs. Nur eine Kollision mit einem Fischerboot kurz vor Frankreich warf ihn zurück, so dass er im Januar 2021 schließlich den fünften Platz belegte.

Zumindest eine Platzierung wie 2021 will der Hamburger bei der zehnten Vendée Globe erreichen. Nachdem Herrmann bei den beiden großen Einhandwettfahrten über den Atlantik in diesem Jahr den zweiten Platz belegen konnte, gehört er zum Kreis der Favoriten.

Alles sei drin, so Herrmann. Er rechne sich einen Platz unter den ersten zehn aus. „Ich zähle uns schon zum Favoritenkreis“, sagt der Hamburger kurz vor dem Start. Unter anderem, weil sein Team viel Erfahrung mit dem Schiff gesammelt habe. Aber bei der Vendée Globe ginge es nicht allein um die Platzierung, sondern auch darum, sich gut zu fühlen während der harten Wettfahrt. „Ich möchte eins werden mit meinem Boot werden, mit den Elementen.“ Wenn das gelinge, werde das Rennen insgesamt gut gelingen.

Doch bis er den Kurs auf den Zielort Les Sables d‘Olonne anlegen kann, kann viel passieren. Dort draußen warten Stürme, hohe Wellen und viele Gefahren. Bei jeder Vendée Globe schaffen es eine Reihe der Teilnehmer nicht heil ins Ziel. Das Abendblatt erklärt das Phänomen Vendée Globe und ordnet die Konkurrenz von Boris Herrmann im folgenden Text ein.

Vendée Globe: in 80 Tagen um die Welt

Die Vendée Globe gilt als härteste Regatta der Welt. Alle vier Jahre wird das legendäre Solorennen einmal nonstop um die Welt veranstaltet. Am 10. November wird Regatta zum zehnten Mal vor Les Sables d‘Olonne an der französischen Atlantikküste gestartet. Von den bisher insgesamt 200 Teilnehmern, die bei den neun Wettfahrten an den Start gingen, konnten nur 114 das Rennen auch beenden.

Rund 24.000 Seemeilen lang ist die Strecke einmal um die Welt, das sind etwa 45.000 Kilometer. Von Frankreich aus geht es durch den Atlantik um das Kap der Guten Hoffnung, weiter durch das Südpolarmeer und vorbei am Kap Leeuwin. Von hier aus steuern die Männer und Frauen Kap Horn an, um dann in den Atlantik zurückzukehren und auf Frankreich zuzufahren. Bei der ersten Vendée Globe brauchten die Segler über drei Monate für die Strecke. Bei der letzten Wettfahrt 2020/2021 fuhr der Franzose Yannick Bestaven nach 80 Tagen über die Ziellinie.

Rekord-Teilnehmerzahl bei der Vendée Globe

In diesem Jahr gibt es so viele Teilnehmer wie noch nie bei der Vendée Globe. 40 Männer und Frauen werden am 10. November an den Start gehen. Das ist deshalb interessant, weil 44 Skipperinnen und Skipper Interesse an einer Teilnahme bekundet hatten – und damit nicht alle dabei sein können. Aus Sicherheitsgründen, aber auch, um den besonderen Charakter der Regatta zu bewahren, wurde die Anzahl der Teilnehmer begrenzt. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 gingen 33 Segler aus acht Nationen an den Start.

Seit der letzten Regatta wurden die Qualifikationsregeln verschärft. Die Segler mussten zwischen 2022 und 2024 bei zwei Einzelrennen starten und mindestens eine Wettfahrt auch erfolgreich beenden. Die Regeln sahen vor, dass dies in einer Zeit geschehen musste, die die Zeit des Siegers plus 50 Prozent nicht überschreiten durfte. Von den 44 IMOCA-Seglern, die sich für einen Start im November interessierten, konnten 42 die Anforderungen erfüllen.

Das Auswahlverfahren folgte einer Vorgabe: Um Innovationen zu fördern, wurden die 13 neu konstruierten Yachten automatisch ausgewählt. Damit war auch Herrmann mit seiner neuen „Malizia – Seaexplorer“ gesetzt. 26 weitere Segler gehören zum Starterfeld, da sie seit dem Transat Jaques Vabre 2021 die meisten Seemeilen zurückgelegt haben. Somit standen für den letzten noch freien Startplatz drei Segler zur Auswahl. Die „Wild Card“ erhielt der Schweizer Skipper Oliver Herr.  Nicht dabei sein können damit der Brite James Harayda und der Franzose François Guiffant.

An den Start gehen übrigens sechs Frauen, darunter auch die deutsch-französische Seglerin Isabelle Joschke. Zwei Starter sind körperlich behindert.

Die Rennyacht von Boris Herrmann

Die Rennyacht, mit der Boris Herrmann auf die Reise geht, wurde extra für diese Vendée Globe entworfen und gebaut. Sie ist eine der insgesamt 13 neu konstruierten Schiffe und sicherte Herrmann somit auch seinen Startplatz, unabhängig von seiner seglerischen Leistung in den vergangenen Wettfahrten.

Die Malizia – Seaexplorer wurde im Jahr 2021 gezeichnet und entworfen. Am 19. Juli 2022 lief sie in Lorient vom Stapel. Rund 250 Menschen haben 80.000 Stunden Arbeit in das Schiff gesteckt, berichtete Herrmann. Die Yacht ist anders als alle Yachten der Konkurrenten. Herrmann hat die Malizia – Seaexplorer für die schwere See im Südpolarmeer gebaut, bei leichten Winden entstehen ihm dadurch Nachteile.

Segeln
Die Malizia - Seaexplorer ist im Sommer 2022 vom Stapel gelaufen. Herrmann hat sie nach seinen Erfahrungen und Vorstellungen bauen lassen. © WITTERS | PascalHuit

Erst kürzlich hat der Hamburger in einer NDR-Dokumentation berichtet, wie viel Risiko er mit seinem Team bei der Konstruktion der neuen Malizia – Seaexplorer eingegangen ist. „Dass sie so anders ist, das hat dann doch überrascht“, so Herrmann. Die Skepsis sei riesig gewesen, selbst aus dem eigenen Team.

Er habe unbedingt beweisen müssen, dass seine Idee funktioniere, berichtet Herrmann. „Ich wusste, wir können einpacken, wenn das neue Boot nicht funktioniert, nicht richtig fährt.“ Seine Karriere, einfach alles, habe davon abgehangen. Am Ende dieses harten Prozesses voller Rückschläge konnte Herrmann mit seinem Team den Beweis antreten, dass sein neues Boot besser ist als viele andere.

Inzwischen ist Herrmanns Malizia – Seaexplorer das schnellste Einrumpfboot der Welt. Das Team stellte beim Ocean Race im Sommer 2023 einen 24-Stunden-Geschwindigkeitsrekord auf. Seit dem Stapellauf 2022 ist die Malizia – Seaexplorer übrigens bereits dreimal um den Globus gesegelt (im Solo-, Zweihand- und Crewmodus) und hat damit bewiesen, dass sie für die verschiedenen Wetterbedingungen absolut geeignet ist. 

Die Konkurrenz von Boris Herrmann

Die Konkurrenz ist stark bei diesem Rennen. Herrmann selbst hat bereits erwähnt, dass einige seiner Mistreiter das Zeug dazu haben, die Vendée Globe für sich zu entscheiden. Da ist zum einen der Franzose Yannick Bestaven, der das Rennen 2020/2021 gewann. Der erste, der vor vier Jahren die Ziellinie überfuhr, war allerdings Charlie Dalin. Berechnet landete er auf dem zweiten Platz, weil Bestaven eine Zeitgutschrift bekommen hatte für die Suche nach Kevin Escoffier, dessen Schiff gesunken war. Dalin gewann seit der letzten Vendée Globe die Vendée Arctique (2022), das Rolex Fastnet Race (2023) und die New York Vendée (2024).

Nicht unterschätzt werden sollte auch der Franzose Jeremie Beyou mit seiner „Charal“. Er hat im Starterfeld vermutlich die größte Erfahrung, nahm bereits viermal an der Vendée Globe teil. Oder Thomas Ryant, der eines der schnellsten Boote der Flotte haben soll. Der Franzose gewann bereits zweimal die Transat Jacques Vabre (2021 und 2023) sowie die Route du Rhum (2022).

Auch Sam Goodchild wird versuchen, vorne mitzumischen. Er fährt für den gleichen Rennstall wie Ruyant, segelt ein älteres Schiff, das aber stetig weiterentwickelt wurde. Zuletzt sei noch Yoann Richomme erwähnt. Er gewann in diesem Jahr mit Paprec die Transat CIC, bei der Herrmann den zweiten Platz belegte. Die Liste von Richomme-Siegen ist lang. 2016 und 2019 gewann er die Serie Solitaire du Figaro, 2018 und 2022 die Route du Rhum in der Class 40. Mit einer IMOCA konnte er im vergangenen Jahr dann außerdem die Retour à la Base 2023 für sich entscheiden.

Herrmann bezeichnte Ryant and Richomme kurz vor dem Start als die beiden größten Favoriten für das Rennen. „Charlie Dalin wird im Atlantik schnell sein.“ Er bezweifle allerdings, dass er sich im Südpolarmeer so gut schlagen würde. „Deshalb sind die beiden anderen für mich die größeren Favoriten, allein weil ihre Schiffe für die gesamte Vendée Globe radikal optimiert sind.“

Die größten Herausforderungen für Boris Herrmann

Neben den Wellen, dem Wind und dem permanenten Schlafmangel gibt es vor allem zwei Themen, die den Hamburger extrem beschäftigen. Das ist zum einen die Einsamkeit auf dem rund 80 Tage lang währenden Kurs um die Welt. Er bezeichnete es als größten Widerspruch seines Lebens, dass einer wie er, der überhaupt nicht allein sein mag, allein um die Welt segele. „Wenn ich könnte, würde ich es immer vorziehen, mit einer Mannschaft zu segeln. Aber bei der Vendée Globe geht es nicht, da ist die Bedingung, dass man allein ist und alles allein macht. Wenn man teilnehmen will, muss man das akzeptieren“, sagte er dem Abendblatt.

„Auch, wenn man es wie ich schwer erträgt, allein mit einem Schiff auf dem Wasser zu sein und um mich herum niemand anders zu sehen. Das ist schon furchtbar, und ich werde vielleicht bei der nächsten Vendée Globe herausfinden, was gegen die Einsamkeit hilft. Ich habe es mit Telefonaten nach Hause versucht, mit dem Aufnehmen von Videos, die mir sehr geholfen haben, das Erlebte zu ordnen. Aber ich hatte auch Bücher dabei, gönnte mir ab und zu einen Schluck Wein oder Rum, was man halt so braucht, um sich die Zeit zu vertreiben, wenn man allein ist.“

Ein zweites großes Thema des Hamburgers ist die Höhenangst. Herrmann hat große Probleme damit, in den 29 Meter hohen Mast zu steigen. Bei der letzten Vendée Globe musste er noch im Atlantik an die Mastspitze hinaus, die Aktion beschäftigte ihn noch Tage später. Es wird spannend sein zu beobachten, ob es wieder eine ähnliche Situation während dieser Regatta geben wird.

Das Leben an Bord

Boris Herrmann wird in den rund 80 Tagen ein spartanisches Leben führen. Rund sechs Stunden Schlaf bekommt der Extremsegler in der Regel. Das Geheimnis bei einer solchen Einhand-Weltumsegelung sei, dass sich Herrmann sein Schlafpensum in vielen kleinen Ruhephasen hole, berichtet Dr. Holger Hein, der in Reinbek eine Praxis betreibt, sich auf das Thema Schlafen spezialisiert hat und Herrmann viele Jahre betreut hat. „Er ist damit in der Regel ausreichend erholt.“ Schließlich würde jeder Mensch in der Nacht mehrfach aufwachen. Zumeist merke man das nicht. „Also macht Boris letztlich nichts anderes als wir alle. Nur dass er nach den Schlafphasen nicht gleich weitergeschlafen hat, so wie wir in einer normalen Nacht.“

Hein berichtet außerdem, dass Herrmann mit der Wettfahrt seinen Körper nicht übermäßig schädige. „Jahrelanger Schlafmangel hinterlässt Spuren. Nicht die Anstrengung von 80 Tagen.“ Da passiere im Körper von Herrmann nicht viel. Es sei wichtig, dass der Extremsegler hinterher Erholung finde. „In den Regatta-Wochen wurden permanent Adrenalin und Steroide ausgeschüttet. Das kostet viel Kraft.“

Verpflegung an Bord

Boris Herrmann hat für jeden Tag Verpflegung an Bord, die in eine Tüte verpackt ist. 80 Stück sind es insgesamt. Darin befinden sich die Hauptmahlzeiten. Für jeden Tag gibt es drei bis vier Tüten gefriergetrockneter Mahlzeiten. Außerdem wird Herrmann noch ein wenig frischen Aufschnitt an Bord haben, dazu Obst und Gemüse, das zumindest für die ersten Tage reichen soll. Dazu kommen einige kleine Extras, wie etwa Kaffee, Cappuccino, Smoothies, Schokoriegel oder Dosen mit Lebensmitteln.

Das Ziel, so sein Team: Herrmann soll etwas dabei haben, das ihn in allen Lebenslagen erfreuen und auch gegebenenfalls trösten kann. Alle Lebensmittel, die an Bord gehen, wurden von dem Extremsegler selbst ausgesucht. An Weihnachten wird der Hamburger sich unter anderem ein wenig Foie Gras und einen Schluck Champagner gönnen können. Alles will sein Team allerdings nicht verraten, die eine oder andere Überraschung ist nämlich noch an Bord versteckt.

Der Klimaschutz und die Vendée Globe

Der Hamburger Segler war einer der ersten, der sich intensiv neben dem Segeln auch mit dem Thema Klimaschutz beschäftigte. Immer wieder berichtete er, wie eindrücklich er die Folgen des Klimawandels auf den Weltmeeren beobachten konnte. Sein Motto ist „Race We Must Win – Climate Action Now“ und steht auch groß auf seinem Segel geschrieben.

Seit dem Jahr 2018 wurde seine Yacht mit verschiedenen Instrumenten ausgestattet, die Daten für die Erforschung der Meere und des Wetters sammeln. Man könnte sagen: Die „Seaexplorer“ ist auch ein Forschungsschiff, das in höchstem Tempo um die Welt rast. Dank neuer kleiner und leichter Sensoren, die wenig Strom verbrauchen, können auch Sportschiffe Messungen auf den Meeren vornehmen, etwa den CO2-Gehalt, Temperaturen oder den Salzgehalt bestimmen.

Diese gewonnenen Daten wiederum werden dann von Wissenschaftlern auf der ganzen Welt genutzt, um die Rolle des Ozeans beim Klimawandel besser verstehen zu können. Besonders wertvoll sind dabei die Daten aus dem Südpolarmeer, denn hierher fahren nur selten Schiffe, und es gibt bisher wenig Erkenntnisse über die entlegene Region. Auch bei dieser Wettfahrt wird Herrmann außerdem eine sogenannte Drifterboje aussetzen, um die Meeresforschung und die Überwachung des Klimawandels weiter zu unterstützen.

Das Rennen verfolgen

Das Rennen kann auf vielen Kanälen verfolgt werden. Die Social-Media-Kanäle des Teams und der Youtube-Kanal berichten live vom Auslaufen aus dem Hafen, der Parade der Teilnehmer und vom Start am Sonntag. Auch der Veranstalter selbst hat einen eigenen Youtube-Kanal, auf dem live der Start verfolgt werden kann, ebenso auf der Website des Rennens und der offiziellen Facebook-Seite. Außerdem überträgt der NDR den gesamten Start von der Parade der Skipper bis zum Start (um 13.02 Uhr) von 7.30 bis 14.30 Uhr auf ndr.de/sport und in der ARD Mediathek.

Mehr zum Thema

Nach dem Start kann die Position Herrmanns mit Hilfe eines Race Trackers genau verfolgt werden. Unter www.team-malizia.com/live ist der Tracker zu finden. Auch die Social-Media-Kanäle Herrmanns werden immer wieder vom Rennverlauf berichten. Herrmann hat bereits bei seiner ersten Teilnahme an der Vendée Globe immer wieder Sprachnachrichten oder Videos von Bord gesendet und damit einen neuen Standard gesetzt. Auch dieses Mal wieder viele kleine Eindrücke von Bord an die Zurückgebliebenen an Land senden.