Hamburg. Bei der Gala „Hamburg boxt“ kommt es zu einem blutigen Duell. Deutsche Schwergewichtshoffnungen überzeugen. Kisikyol tritt ab.
Im Sport neigt man ja dazu, selbst Belangloses zu historischen Akten zu verklären. Was sich am Sonnabendabend in der Sporthalle Hamburg ereignete, bot aber Stoff für die Geschichtsbücher im Großen wie vor allem im Kleinen. Global betrachtet standen in Nina Meinke und Daniela Bermudez erstmals zwei Frauen auf europäischem Boden in einem Titelkampf über zwölfmal drei Minuten im Boxring.
Wie die 31 Jahre alte Berlinerin und die 35-jährige Argentinierin dort standen, sogar am Ende jeweils noch aufrecht, machte die Gala „Hamburg boxt“ von P2M jedoch zu etwas tatsächlich Besonderem. Die zweite Runde im Fight um den IBF-WM-Titel im Federgewicht lief, da stießen die Duellantinnen unabsichtlich mit den Köpfen zusammen. In Konsequenz erlitt Meinke einen Cut am Haaransatz, der das Gefecht nachhaltig beeinflussen sollte.
Boxen: Nina Meinke IBF-Weltmeisterin nach Blutschlacht in Hamburg
Es war kein tiefer Riss, in den Rundenpausen konnte die Blutung stets gestoppt werden. Zu Beginn jeder neuen Runde gelang es Bermudez allerdings mit chirurgischer Präzision, die Wunde direkt wieder zu öffnen. Das Blut rann nur so, und Meinke kämpfte nur so. Und das auch noch ziemlich, ziemlich gut.
Zwei der drei Kampfrichter sahen das ebenso, werteten ihn mit 119:109 und 118:111. Die seltsame 114:114-Wertung spielte daher in der Endabrechnung keine Rolle. Meinke, die ihrem Spitznamen „The Brave“ (die Tapfere) alle Ehre machte, sicherte sich verdient den WM-Titel.
Peter Kadiru gewinnt Schwergewichtsduell durch K.-o.
„Meine Mama kann froh sein, dass sie heute nicht hier sein konnte“, sagte sie, nachdem die Schlacht geschlagen war. Fast mehr noch als den Sieg feierte sie das Ereignis an sich. „Wir haben Geschichte geschrieben und gezeigt, dass Frauen das Gleiche schaffen können wie Männer“, sagte Meinke, die an diesem Abend zeitweise von einer höheren Macht beschützt zu sein schien.
Ein anderer gab den Segen von ganz oben. Zumindest vom Gipfel der Euphorie. „Gott segne euch“, wünschte Peter Kadiru seinem Publikum. In den Götterstatus wurde der Hamburger an diesem Abend zwar noch nicht erhoben, die deutsche Schwergewichtshoffnung bleibt er dennoch. Fit wie nie zuvor stieg der 27-Jährige zur IBF-Interkontinentalmeisterschaft in den Ring. Das Sparring mit Superstar Anthony Joshua (34) in den Wochen zuvor hatte sich offenkundig ausgezahlt. Die Anfeuerungen des Publikums wiederum für Kadiru, der meinte: „Hamburg, ich liebe euch. Ich habe jeden von euch gespürt.“
Dilar Kisikyol beendet ihre Karriere unbesiegt
Ihn heftig zu spüren bekam der zuvor in 23 Kämpfen unbesiegte Djuar El Scheich (32) aus Berlin, dem er nicht den Hauch einer Chance ließ. Bereits nach der vierten Runde hatte der Ringarzt Sven Haladyn der Seite des Deutsch-Syrers empfohlen, das Handtuch zu werfen, um die Gesundheit des Sportlers zu schonen. Nach der Hälfte der fünften Runde wurde das ungleiche Duell dann ohnehin vom Ringrichter abgebrochen. Für Kadiru könnte es jetzt noch mal losgehen mit den Spitzenkämpfen um größere Titel.
Für Dilar Kisikyol fiel in ihrer Heimatstadt hingegen der letzte Vorhang. Zu „Final Countdown“ lief die in zuvor zehn Duellen unbesiegten WIBF-Leichtgewichtsweltmeisterin zum finalen Kampf ihrer Profilaufbahn ein. Hoch fokussiert und mit dem ihr eigenen sympathischen Charme zugleich vollendete Kisikyol diesen mit dem einzig richtigen Resultat.
Hertie-Preis für Parkinson-Projekt der Hamburger Boxerin
Unterstützt von einer lautstarken Fangemeinde, zu der unter anderem die am Ring anwesenden Showmaster-Legende Frank Elstner (82) gehörte, den die gebürtige Leverkusenerin über ihr Boxprojekt für an Parkinson erkrankte Frauen kennengelernt hat, hatte sie ihre leicht untersetzte belgische Gegnerin Djemilla Gontaruk (32) unter Kontrolle. Die Ringrichter werteten den Kampf einstimmig (100:90, 97:93, 99:91).
Ebenso einstimmig fiel unmittelbar anschließend die Wahl der Hertie-Stiftung für „Demokratie stärken und Gehirn erforschen“, Kisikyol den jährlich vergebenen und mit 25.000 Euro verbundenen Preis für Engagement und Selbsthilfe für ihr Parkinson-Projekt zu verleihen. Der Preisträgerin liefen zu diesem Zeitpunkt längst die Tränen.
Viktor Jurk schlägt sich zum Deutschen Meistertitel im Schwergewicht
„Mein Bruder sagt immer, ich sei eine Heulsuse. Heute stimmt das auch“, sagte Kisikyol. In ihrem nächsten Leben wolle sie Prinzessin werden, „weil der Weg im Ring so hart ist“. Dabei war die 32-Jährige zwischen den Seilen eine Königin. Für diejenigen, die Kisikyol bei ihren zahlreichen sozialen Projekten künftig noch intensiver betreuen wird, ist sie sowieso noch viel mehr.
Immer mehr, das will auch Viktor Jurk. Mühelos verteidigte der 24-Jährige im Anschluss an den emotionalsten Part des Abends die Deutsche Meisterschaft im Schwergewicht. Der Flensburger besiegte den vier Jahre jüngeren, mit 140 Kilogramm aber 19 Kilogramm schwereren Edonis Berisha bereits in der ersten Runde durch technischen K.-o. Jurk hatte dem Deutsch-Albaner einen üblen Cut am linken Auge geschlagen, der im Krankenhaus behandelt werden musste.
Einige Duelle bei „Hamburg boxt“ waren einseitig
Zeit, seinen Triumph zu feiern, gönnt sich der 2,05-Meter-Mann nicht. „Es geht direkt wieder zurück zum Geschäftlichen, Montag gehe ich zehn Kilometer laufen. Das Ziel ist der Weltmeistertitel“, sagte Jurk. Nicht ganz weltmeisterlich war dagegen der Zuschauerzuspruch in der Alsterdorfer Sporthalle, in der auch am späteren Abend rund die Hälfte der Plätze freiblieben.
Ebenso ausbaufähig war das sogenannte Matchmaking, die Zusammenstellung der Fights. Beinahe sämtliche acht Vorkämpfe waren komplett einseitige Angelegenheiten, gipfelnd im Auftritt der Tschechin Klara Kankova, die ohne Übertreibung wirkte, als habe sie sich in Straßenschuhen urplötzlich im Boxring gegen die Limburgerin Mei Li Folk wiedergefunden, ohne auch nur im Ansatz zu wissen, was dort zu tun wäre. Das Leichtgewichtsgefecht war nach 33 peinlichen Sekunden, von denen jede eine zu viel war, beendet.
Hamburger Boxen überzeugen bei ihren Auftritten im Ring
Erfolge mit Lokalkolorit gab es für die Hamburger Kristiano Hoxhaj (Mittelgewicht), Alexander Chupil (Supermittelgewicht) und Edison Zani (Superweltergewicht), der sich dabei aber die Bizepssehne riss. Auch Gologha Hadi (Schwerin/Superfedergewicht) sowie John Bielenburg (Lübeck/Weltergewicht) gewannen, für den Rostocker Schwergewichtler Felix Langberg lief es gegen den Slowaken Jan Uhrin flüssig.
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All das: Winzig kleine Geschichten für die Chronisten. Die große und blutigste schrieb eine der Kleinste. Die tapfere und auch offiziell historische 1,69-Meter-Weltmeisterin Nina Meinke.