Hamburg. Der Chef der European League of Football (ELF) spricht zum Saisonstart über die Sea Devils, Lerneffekte und Visionen der Liga.
Ein gefragter Mann ist Patrick Esume das ganze Jahr über. Wenige Tage vor dem Start der zweiten Saison in der European League of Football (ELF), die für die Hamburg Sea Devils am Sonntag (15 Uhr, Stadion Hoheluft) gegen Berlin Thunder beginnt, hat der Ligachef, der als Deutschlands anerkanntester Experte gilt, allerdings kaum noch eine freie Minute. Für ein Gespräch mit dem Abendblatt nahm sich der 48-Jährige, geboren und wohnhaft in Hamburg, dennoch 90 Minuten Zeit, schließlich gab es einiges aufzuarbeiten und neue Visionen zu erläutern.
Hamburger Abendblatt: Herr Esume, es gibt im Deutschen dieses Sprichwort, nach dem das zweite Jahr immer das schwerste ist. Stimmt das?
Patrick Esume: Von meinen bisherigen Eindrücken ausgehend stimmt das auf jeden Fall. Im ersten Jahr haben alle die Euphorie der Pioniere, wenn etwas verkehrt läuft, wird das verziehen, weil es ja keine Blaupause gab, wie es eigentlich laufen muss. Im zweiten Jahr gilt das nicht mehr. Der Erfolg der ersten Saison hat zu einem Wachstum geführt, das uns vor Herausforderungen gestellt hat. Das zu bewältigen ist die große Aufgabe. Wir wollen vieles besser machen, wissen aber auch, dass nicht alles gelingen wird. Wir stehen noch immer am Anfang.
Können Sie konkret benennen, was Sie besser machen müssen?
Um zwei wichtige Punkte zu nennen: Die Lizenzierung der Spieler war im ersten Jahr Hand- und Fleißarbeit, weil nichts digitalisiert war. Das läuft nun über eine digitale Plattform und deshalb deutlich stressfreier. Das Thema Statistiken wollen wir anpacken. Für viele Teams, die aus dem Amateurbereich kamen, war es im ersten Jahr schlicht nicht möglich, Livestatistiken für die TV-Übertragung zu liefern. Das sind aber Dinge, die zur Professionalisierung zwingend dazugehören.
Sie haben mitten in der Pandemie eine Europaliga gegründet. Sind Sie rückblickend gar nicht mal böse darüber, dass es so viele Beschränkungen gab, weil Sie so ganz in Ruhe Dinge ausprobieren konnten?
Wenn die Pandemie etwas Gutes hatte, dann das, dass wir gesehen haben, dass die acht Teams trotz widrigster Umstände durchgehalten haben. Wer in dunkelster Stunde seine Flamme am Brennen halten kann, der schafft auch alles andere. Wir werden aber auch im zweiten Jahr keine normale Situation haben. Covid wird uns weiter begleiten, der Krieg in der Ukraine verunsichert zusätzlich alle. Lieferketten werden unterbrochen, was wir im vergangenen Jahr besonders im Bereich Merchandising gespürt haben. Aber auch das werden wir ein weiteres Jahr gemeinsam überstehen.
Es heißt, dass Fehler wichtig sind, wenn man aus ihnen lernt und sie kein zweites Mal macht. Welchen Fehler hätten Sie in der Premierensaison am liebsten kein erstes Mal gemacht?
Das Allstar-Game in Berlin nach dem Saisonfinale hätten wir uns sparen sollen. Auch wenn es für die Spieler ein Spaß war, waren wir alle dermaßen ausgepowert, dass es zu viel war. Insgesamt habe ich aus der ersten Saison vor allem gelernt, dass wir unsere Ressourcen besser schonen müssen. Wir haben zwar gesehen, dass wir mit viel Energie 20-Stunden-Tage durchpowern können. Aber wir mussten mal mit Vollgas vor die Wand fahren, um zu spüren, wie heftig der Ritt war. Jetzt sind wir besser aufgestellt, haben immerhin schon rund 20 Mitarbeitende, die sich nur um das Produkt ELF kümmern. Wir sind noch lange nicht die NFL, auch nicht die DFL. Aber die Richtung stimmt.
Zumindest die Zuschauerbeschränkungen fallen in dieser Saison weg, was den Teams die wichtige Säule Ticketing als Stütze ermöglicht. Wo taxieren Sie das Potenzial, das die Sportart American Football als Live-Event hat?
Ganz deutlich im fünfstelligen Bereich, und zwar in jedem Standort. Das ist mittelfristig auch das Ziel für jedes reguläre Saisonspiel.
In Hamburg sind fürs Eröffnungsspiel gegen Berlin 4000 Tickets verkauft. Das ist gut, aber immer noch weit entfernt von Zahlen jenseits der 30.000, die es zu NFL-Europe-Zeiten waren.
Das stimmt, aber der Vergleich hinkt. Damals stand die NFL hinter der Liga, und auch dort musste sich das Interesse erst entwickeln. Wir sind im zweiten Jahr mit einem ganz neuen Angebot. Da muss man die Kirche im Dorf lassen.
Wie aber heben Sie das Potenzial, das ja ohne Frage da ist?
Bekanntheit ist ein wichtiger Faktor. Präsenz im Free-TV, die wir über ProSieben Maxx haben, hilft da sicherlich. Aber man muss da auch Geduld haben und sich etwas Zeit geben. Ein weiteres entscheidendes Element ist das, was rund um das Spiel passiert. Football ist ein gesellschaftliches Event, das gemeinsame Erleben nicht nur des Spiels, sondern auch des Drumherums ist extrem wichtig. All das war im ersten Jahr nicht möglich. Das muss und wird sich entwickeln.
Patrick Esume: Stadionsituation ist kompliziert
Braucht es dafür nicht aber auch moderne Spielstätten? Die Sea Devils spielen an der Hoheluft, da ist kaum Raum für Rahmenprogramm, und die Kapazität ist mit 8000 Plätzen auch überschaubar. Fehlt ein mittelgroßes Stadion in Hamburg?
Tatsächlich ist die Stadionsituation nirgends in Europa so kompliziert wie in Deutschland. Selbst in Mailand, das nächste Saison in die ELF einschert, wo der Fußball mit Inter und AC alles dominiert, hat das Footballteam eine moderne Trainingsanlage und ein eigenes Kunstrasenstadion. Da ist Hamburg leider weit hinterher, was ich sehr schade finde, weil ich davon überzeugt bin, dass wir deutlich mehr Zuschauer locken würden, wenn die Rahmenbedingungen optimal wären. Aber mein Gefühl ist, dass in Deutschland zu viele Entscheider noch nicht verstanden haben, welchen gesellschaftlichen Wert der Sport im Allgemeinen hat.
Die Football-Community in Deutschland ist groß und sehr treu, große Teile der Sportfans aber können mit Ihrem Sport gar nichts anfangen. Welches Potenzial sehen Sie darin, sich neue Zielgruppen zu erschließen?
Ein sehr großes. Dass die NFL in diesem Jahr erstmals ein reguläres Saisonspiel in Deutschland austrägt, wird medial einen riesigen Einfluss haben. Vor allem aber sehe ich, wie viele junge Menschen sich für Football interessieren. Noch ist der Fußball absolut dominant, aber die Fans, die mit Football gar nichts anfangen können, werden immer weniger.
Liegt das auch darin begründet, dass Football mit seinen vielen Unterbrechungen sehr gut zur gesunkenen Aufmerksamkeitsspanne passt, die man jüngeren Generationen nachsagt?
Definitiv. Football ist perfekt dafür, um nebenbei zu socialisen. Digital stellt sich unser Sport schon jetzt deutlich fannäher dar als Fußball, zum Beispiel mit Livetalks in der Kabine oder vielen Livestatistiken. Und das hilft uns in der Erschließung neuer, junger Zielgruppen enorm.
Das Expansionstempo der ELF ist rasant, in dieser Saison wächst sie um 50 Prozent von acht auf zwölf Teams. Wie riskant ist zu schnelles Wachstum?
Das Risiko minimieren wir dadurch, dass die Standorte, die dazukommen, sehr gut strukturiert sind und uns deshalb wenig Zusatzarbeit machen. Mit Düsseldorf Rhein Fire zum Beispiel habe ich bereits Anfang vergangener Saison verhandelt, die hatten Zeit, sich alles anzuschauen und nahtlos in die Liga einzuscheren. Die beiden österreichischen Teams sind seit Jahrzehnten gewachsen. So können wir überschaubar expandieren. Aber klar ist auch, dass der Schritt vom ersten zum zweiten Jahr der größte ist. Wir wollen pro Saison um maximal vier Teams wachsen, so sind es im dritten Jahr nur noch 33 statt 50 Prozent.
Diese Standorte sollen noch in die ELF kommen
London und Paris haben Sie als Wunschstandorte bereits benannt. Was steht noch auf Ihrer Expansionsliste?
Einiges. Skandinavien, Benelux, Prag. Wir sind überall mit Gesprächen am Start, aber es muss eben passen.
Ein wichtiges Zukunftsthema ist Nachhaltigkeit. Bei einer Europaliga ist allein das Reisen schon ein Problem. Wie gehen Sie damit um?
Nachhaltigkeit umfasst ja viel mehr als nur den berühmten CO2-Abdruck, den man hinterlässt. Zum Beispiel sind wir im Bereich Gender Equality sehr weit, wir haben weibliche Schiedsrichter, Frauen in den Trainerteams, die beiden wichtigsten Positionen in unserem Hauptsitz bekleiden Frauen. Was das Reisen angeht, sind wir uns sehr wohl bewusst, dass das eine Herausforderung ist. Ich hätte gern einen Mobilitätspartner, der alle Teams zum Beispiel mit Elektroautos ausstattet, es hat sich leider noch niemand gemeldet. Aber mir ist bewusst, dass es 100 Prozent Nachhaltigkeit nicht geben wird.
Sportliche Kritik an der ELF gibt es auch immer wieder. Manche sagen, die einheimischen Ligen litten darunter, dass die besten Spieler nun alle in der ELF spielen. Was antworten Sie?
Dass ich die Kritik verstehen kann, wenn man sie nur aus der Sicht eines einzelnen Vereins äußert. Aber ich stelle die Gegenfrage: Wo war der Football in Deutschland, bevor es die ELF gab? Viele Jahre im Dornröschenschlaf, ein reiner Amateursport. Nun gibt es eine professionelle Alternative, und alle, denen es um den Sport geht und nicht nur um sich selbst, begrüßen das. Vor allem für die Spieler ist das wichtig, denn in welches System wurden die bislang entlassen, nachdem sie in der Jugend ausgebildet wurden? Die wichtigste Brille, durch die man dieses Thema betrachten sollte, ist die der Spieler. Die müssen der Mittelpunkt sein, für die machen wir das.
Muss sich die ELF nicht dennoch stärker dafür einsetzen, dass Vereine, die ihre Spieler an ELF-Teams verlieren, angemessen kompensiert werden?
Das ist meist die erste Frage, die wir gestellt bekommen: Wie werden wir kompensiert? Dann frage ich: Wie wurden denn bislang die Spieler kompensiert, die Mitgliedsbeitrag gezahlt, sich ihre Ausrüstung selbst gekauft und die Fahrten zu den Auswärtsspielen selbst finanziert haben? Wir wollen ein gutes Miteinander mit den Vereinen, weil die ELF-Teams bewusst keine Jugendarbeit machen, um die Vereine nicht zu beschneiden. Unsere Aufgabe ist, mehr Kinder in die Vereine zu bringen und auch in der Ausbildung der Trainer und Schiedsrichter zu unterstützen. Und einige Verbände wie zum Beispiel den italienischen, der uns anfangs sehr kritisch gegenüberstand, konnten wir in konstruktiven Gesprächen überzeugen. Was ich aber im ersten Jahr gelernt habe: Man kann es nie allen recht machen.
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Ist das die wichtigste Erkenntnis aus dem ersten Jahr als ELF-Commissioner?
Ich denke schon. Es war schon mit acht Teams fast unmöglich, alle zufriedenzustellen. Mit zwölf Teams geht es nicht, das muss ich lernen und akzeptieren. Ich muss Entscheidungen treffen, die aus der Sicht Einzelner sehr unpopulär sein können, für das Gesamtwohl aber unumgänglich sind. Ich hätte allerdings nicht geglaubt, dass es mir so schwerfallen würde, nicht mehr direkt am Sport zu arbeiten. Als ehemaliger Spieler und Coach ist es manchmal hart, auf der anderen Seite zu sein. Aber es ist auch spannend.
Werden Sie jetzt Commissioner Esume genannt oder immer noch Coach?
Die meisten sagen weiterhin Coach. Aber die ganz junge Generation fängt jetzt schon an, mich zu siezen und mit Herr Commissioner anzusprechen. Das zeigt mir, dass ich alt werde.
Mit dem Alter kommt Weisheit, zumindest bei manchen. Sagen Sie uns deshalb bitte zum Schluss, wie die Saison endet. Wer wird Nachfolger der Frankfurt Galaxy?
Sie wissen, dass ich als Commissioner zur Neutralität verpflichtet bin. Aber die Chancen stehen sehr gut, dass diesmal ein nicht-deutsches Team das Finale erreicht. Und wenn Sie mich als Coach fragen: Die Wroclaw Panthers sehen wirklich sehr stark aus. Aber es ist Football, alles kann passieren. Das sollte niemand verpassen.