Stuttgart/Hamburg. Silas offenbart seinen wahren Namen und sein Geburtsdatum. Stuttgarter sehen ihn als Opfer eines dubiosen Spielervermittlers.
Als mutmaßliches Opfer der Machenschaften eines dubiosen Spielervermittlers saß Silas Wamangituka schüchtern und verängstigt vor den Verantwortlichen des VfB Stuttgart. „Wie ein Häufchen Elend“ habe der Angreifer dort gehockt, erinnerte sich Sportdirektor Sven Mislintat am Dienstag an das Gespräch mit dem Kongolesen Mitte Mai.
Silas schockte den Kaderplaner mit einer in dieser Form in der Fußball-Bundesliga wohl einmaligen Geschichte: Der in der vergangenen Saison oft so begeisternde Stürmer hat bisher unter falscher Identität gespielt.
Der Fall Silas erinnert an Bakery Jatta vom HSV
Sein richtiger Name ist demnach Silas Katompa Mvumpa. Auch sein Geburtsdatum war nicht korrekt. Es ist eine Geschichte, die in Hamburg sofort Vergleiche hervorruft zum Fall Bakery Jatta. Der am Sonntag 23 Jahre alt gewordene Gambier vom HSV erwehrt sich seit zwei Jahren gegen die Vorwürfe, er spiele unter falscher Identität, sei in Wahrheit
Bakary Daffeh und zwei Jahre älter.
Doch der Fall Silas ist eine ganz eigene Geschichte. „Wenn man es mit der Überschrift Menschenhandel beschreibt, dann kommen wir dem Thema schon sehr nah“, sagte Mislintat zu dem Sachverhalt, den der VfB am Dienstagmorgen öffentlich gemacht hatte.
Demnach habe Silas berichtet, dass sein ehemaliger Spielervermittler an der falschen Identität schuld sei. Laut VfB-Angaben wurde Silas am 6. Oktober 1998 in Kinshasa in der Demokratischen Republik Kongo geboren und ist somit heute 22 und damit genau ein Jahr älter als ursprünglich angenommen.
„Wir finden es beeindruckend, welchen Mut Silas aufbringt, das nun aufzuklären“, sagte VfB-Vorstandschef Thomas Hitzlsperger. Ausführlich schildert der Club, wie sein Spieler im Laufe der Zeit gelitten habe. „Ich habe in den vergangenen Jahren in ständiger Angst gelebt und mir auch um meine Familie im Kongo große Sorgen gemacht. Es war ein schwerer Schritt für mich, meine Geschichte zu offenbaren“, sagte Silas.
Spielervermittler schaltet sich ein, als Silas ein Visum braucht
Diese Geschichte beginnt laut VfB im Jahr 2017, als der damals 18-Jährige vom belgischen Topclub RSC Anderlecht zu einem Probetraining eingeladen wird. Um von der Demokratischen Republik Kongo nach Belgien reisen zu können, erhält er ein zeitlich befristetes Visum. Nach drei Monaten will der RSC ihn wohl verpflichten. Da sein Visum jedoch vor dem Ablauf steht, muss Silas zunächst zurück in die Heimat, um ein neues zu bekommen.
Hier schaltet sich der Spielervermittler ein. Unter massivem Druck soll dieser Silas davon überzeugt haben, dass er nicht mehr nach Europa zurückkehren dürfe, wenn er Belgien einmal verlasse und in die Demokratische Republik Kongo reise. Also zieht Silas stattdessen zum Vermittler nach Paris und soll in ein Abhängigkeitsverhältnis geraten sein.
Er habe in dieser Zeit „augenscheinlich“ weder auf sein Konto noch auf seine Papiere Zugriff gehabt. Schließlich habe der Vermittler auch Silas’ Identität geändert und neue Papiere verschafft.
Silas geriet in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Spielervermittler
Der VfB vermutet, dass dies zum einen passierte, um die Verbindung des Stürmers zu seinem Ausbildungsverein im Kongo zu unterbrechen, zum anderen habe sich dadurch Silas’ Abhängigkeit vom Vermittler erhöht, da er von nun an erpressbar gewesen sei. „Das ist für mich eine völlig neue Dimension“, sagte Mislintat. Die Schwaben sehen ihren Spieler als Opfer und prüfen rechtliche Schritte gegen den ehemaligen Vermittler.
Der Kontrollausschuss des Deutschen Fußball-Bundes wurde vom VfB informiert und will „die Angelegenheit im Hinblick auf ein mögliches sportstrafrechtliches Fehlverhalten des Spielers überprüfen.“
Der DFB-Sportgerichtsvorsitzende Hans E. Lorenz verwies auf eine wirksam erteilte Spielerlaubnis durch die Deutsche Fußball Liga (DFL). „Davon abgesehen sind beim DFB-Sportgericht keine Einsprüche gegen Spielwertungen anhängig. Diese können wegen Fristablauf auch nicht mehr eingelegt werden“, erklärte Lorenz.
Der VfB rechnet mit einer neuen Spielberechtigung
Und der VfB? „Wir haben sofort, nachdem Silas sich uns anvertraut hatte, alle aus unserer Sicht nötigen Maßnahmen eingeleitet“, sagte VfB-Chef Hitzlsperger. Konsequenzen für den Profi fürchten die Schwaben nicht. Nach juristischer Bewertung des Sachverhalts gehe man davon aus, „dass Silas im Besitz einer gültigen Spielberechtigung war und weiter ist“.
Außerdem rechnet der VfB damit, dass Silas zu gegebener Zeit eine neue, auf seinen richtigen Namen lautende Spielberechtigung bekommen werde. Diese müsste von der DFL erteilt werden, die dafür allerdings zunächst gültige Dokumente von Silas benötigt.
„Zur möglichen Erteilung einer neuen Spielerlaubnis für den Spieler unter seinem wahren Namen müssen die nach der Lizenzordnung Spieler (LOS) notwendigen Unterlagen, unter anderem ein behördlich erteilter, gültiger Aufenthaltstitel, eingereicht werden“, sagte ein DFL-Sprecher. Derzeit erholt sich der Stürmer von einem Kreuzbandriss.
Schon 2019 wurde der Fall Silas mit Bakery Jatta verglichen
Im Dezember 2019 hatte die französische Tageszeitung „L’Équipe“ erstmals von einer womöglich falschen Identität des ehemaligen FC-Paris-Spielers berichtet. Der VfB wies die Vorwürfe zurück mit Verweis auf die Echtheit des Reisepasses sowie früherer Spielerpässe.
„Wir sahen keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Dokumente zu zweifeln“, sagte ein VfB-Sprecher. Schon damals wurde der Fall mit der Identitätsdebatte um Bakery Jatta verglichen, die wenige Monate zuvor ins Rollen gekommen war.
Nachdem der VfB nun den Fall Silas aufklärte, wurden vor allem in den sozialen Medien erneut Parallelen zum Fall Jatta gezogen. Gegen den HSV-Profi ermittelt noch immer die Hamburger Staatsanwaltschaft wegen des Vorwurfs der Identitätsfälschung.
- HSV kassiert zehn Millionen Euro Corona-Staatshilfe
- HSV: Wie es zum großen Knall um Jansen, Bester und den Beirat kam
- Enthüllt: 23,5 Millionen der Stadt an HSV nicht zweckgebunden
- Aerosol-Test mit Puppe beim HSV – Ergebnis überrascht
- Jatta und kein Ende: Erstmals Widerstand aus der Politik
Zuletzt hatte ein Gutachten der Universität Freiburg, das die Bewegungsabläufe von Jatta mit dem gambischen Fußballer Daffeh verglich, den HSV-Spieler belastet.
Jattas Hamburger Anwalt Thomas Bliwier hatte eine Frist erhalten, zu den Ergebnissen Stellung zu nehmen, diese hat die Staatsanwaltschaft verlängert. Bliwier hält sich offen, ein eigenes Gutachten in Auftrag zu geben.
Der Fall Bakery Jatta geht somit – im Gegensatz zum Fall Silas – in die nächsten Runden.