Köln. Breel Embolo erlebt eigentlich eine Saison zum Vergessen - bis zum Samstag. Jetzt ist er die EM-Hoffnung von DFB-Gegner Schweiz.
Der Samstagabend in Köln endete für die Schweizer am Bahnhof Messe/Deutz, ganz in der Nähe von hier fließt der Rhein; wer zum Dom möchte, muss vielleicht eine Viertelstunde flanieren. Eine kleine Menschenmenge hatte den Mannschaftsbus bemerkt, Smartphones wurden hastig aus den Taschen gezogen, während die Fußballer zu Gleis 11 marschierten. Hier wartete der ICE nach Stuttgart, der, herzlich willkommen in Deutschland, zehn Minuten Verspätung hatte.
Breel Embolo trug eine schwarze Kappe, einen weißen Rucksack, eine Bandage wie noch im Spiel benötigte er für den kurzen Fußweg zum Zug nicht mehr. Der 27-Jährige lächelte, spitzbübisch, als würde er nur warten auf den nächsten Streich. Die, die ihn kennen, beschreiben ihn als Spaßvogel, als jemanden, der die Kollegen gerne neckt. Wobei bei ihm in der Vergangenheit mehrfach schon die Grenze zwischen Spaß und Fahrlässigkeit verschwommen ist. Eine kleine Auflistung: zu schnell am Steuer, gefälschte Covid-Zertifikate, Flucht vor der Polizei an einer illegalen Corona-Party, Autofahren ohne Führerschein und und und.
Die Schweiz und Breel Embolo - von wegen Offensivschwach
Dazu kommen zahlreiche Verletzung, im vergangenen August riss sein Kreuzband bei seinem neuen Klub AS Monaco. Eigentlich erlebt Embolo daher eine Saison zum Vergessen. Bis zum Samstag, bis zur 93. Minute, als der eingewechselte Stürmer einen verunglückten Kopfball von Willi Orban von der Brust abtropfen ließ und einen gefühlvollen Heber folgen ließ. Dieses Tor zum 3:1-Endstand gegen Ungarn entschied die in dieser Phase eigentlich wilde Partie zwischen den deutschen Gruppengegnern. Kwadwo Duah (14.) und Michel Aebischer (45.) hatten die Schweiz in Führung gebracht, lange kontrollierte die Elf von Trainer Murat Yakin die Begegnung. Dann köpfte Barnabás Varga den Anschluss (65.), dann glich die Partie einer Keilerei, dann mussten die Eidgenoss zittern, ehe Embolo traf. Die dadruch eingesammelten drei Punkte vergrößern die Hoffnung auf eine erfolgreiche EM, als nächstes wartet am Mittwoch (21 Uhr) das von Deutschland gedemütigte Schottland.
Vor dem Auftaktspiel hatte die Schweiz mit ihren knapp neun Millionen Einwohnern noch über die eigene Sturmmisere geklagt, die Offensive sei zu schach, hieß es. In Köln aber überraschte Trainer Yakin mit der Aufstellung von Kwadwo Duah im Angriffszentrum, der im Alter von 27 Jahren sein erst zweites Länderspiel erlebte und ein komplett anderer Typ sei als seine Mitspieler, eben ein echter Mittelstürmer, meinte Yakin. „Er hat super Abschlüsse.“ Wie zum Beweis zielte Duah nach einem geschickten Pass von Aebischer ganz gelassen vor Torhüter Peter Gulacsi in die linke Ecke. „Ich bin immer noch am Träumen“, sagte der unerwartete Torschütze nach dem Schlusspfiff. „Ich bin innerlich am Explodieren. Ich kann es noch gar nicht glauben, brauche noch ein paar Tage, um es zu realisieren.“
Breel Embolo: Wuchtig, kraftvoll, cool
Breel Embolo verfolgte den Führungstreffer auf der Bank, seine Zeit sollte erst ab der 74. Minute kommen. Zu diesem Zeitpunkt sehnte sich die Schweiz nach Entlastung gegen die nun wütenden Ungarn. Embolo kippte das Spiel wieder in die Richtung seines Landes, der Angreifer präsentierte seine kraftvolle Zweikampfführung, sein Tempo, seine Wucht und ließ sich bei seinem Tor auch nicht davon stören, dass er kurz zuvor die Bandage verloren hatte. „Wir mussten auf der Bank alle lachen“, berichtete Kollege Silvan Widmer.
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Ohne Grund aber trug Embolo diese Bandage natürlich nicht, nach seinem Kreuzband und weiteren Beschwerden war lange unklar, ob der ehemalige Schalker und Gladbacher überhaupt mitmachen könne bei dieser EM. „Wegen meiner Verletzung trug ich die Kompressionstulpen“, erzählte er. „Ich bin froh, dass ich auf dem Platz stehen konnte.“ Der Dank gehe an seine Ärzte und seine Physiotherapeuten. „Es war ein spezielles Jahr für mich, aber das gehört zum Leben dazu.“ Die Situation seines Spielers sei ungewiss gewesen, sagte Yakin. „Ich habe aber gespürt, dass er unbedingt dabei sein will. Wir wussten nicht, ob es von der Kraft her reicht bei ihm. Dass es geklappt hat, war eine Genugtuung.“
Schweizer Erfolgsgaranten: Granit Xhaka und Manuel Akanji
So erlebte Yakins Elf bis auf die wacklige Phase in Hälfte zwei einen gelungenen Auftakt, bei dem Kapitän Granit Xhaka den gewohnt überzeugenden Taktgeber im Zentrum gab. Verteidiger Manuel Akanji verteidigte kompromisslos. Bei allen Toren bildeten die Spieler auf dem Platz und die auf der Bank gemeinsam einen roten Jubel-Knubbel. Der Zusammenhalt scheint zu stimmen.
Der ICE brachte sie alle am Samstagabend von Köln nach Stuttgart. In der Hauptstadt Baden-Württembergs haben die Schweizer ihr Hotel bezogen. Und die neue Offensivkraft durch Kwadwo Duah und vor allem Breel Embolo soll nun dafür sorgen, dass sie dort noch lange bleiben können.
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