Hamburg. Falls St. Pauli und Kiel aufsteigen, würde der HSV zum dienstältesten Zweitligisten werden. Die finanziellen und personellen Folgen.
Mit den Dinosauriern ist das so eine Sache. Jahrelang hat die seriöse Wissenschaft hartnäckig behauptet, dass sie zum Ende der Kreidezeit, also vor rund 65 Millionen Jahren, ausgestorben sind. Der Tyrannosaurus Rex, der Triceratops, der Velociraptor und auch der Brontosaurus. Dass es aber einen Dino gab, den sogenannten Bundesligadino, der sogar bis in die Neuzeit überlebte, ist allgemein nur im sportwissenschaftlichen Bereich (und an sämtlichen Fußballstammtischen der Republik) bekannt.
Die Sportwissenschaft und die gesamte Stammtischkompetenz Deutschlands wissen aber auch: Seit 2018 ist auch der letzte Bundesligadino, der seine Heimat in Hamburg hatte, nur noch Geschichte. Neu ist allerdings, dass nun in mehr oder weniger seriösen Kreisen Gerüchte über eine verwandte Spezis die Runde machen. Gemeint ist der Zweitligadino.
Ab Sommer ist der HSV Zweitligadino
Sollten tatsächlich St. Pauli und Holstein Kiel aufsteigen – und so sieht es ja momentan aus – und sollte der HSV auch im siebten Jahr in Folge in der Zweiten Liga bleiben – auch das sieht dummerweise aktuell genauso aus –, dann würden die Hamburger ganz im Ernst den dienstältesten Zweitligaclub stellen. Ein klassischer Wenn-dann-Fall. Denn der HSV spielt seit 2018 im Unterhaus der Bundesliga – und das im Falle des erneuten Nichtaufstiegs so lange wie kein anderer Club.
Doch was irgendwie skurril und für den einen oder anderen auch ein wenig lustig klingt, könnte natürlich ernsthafte Konsequenzen haben. Denn wie in jedem Sommer müssten sich die HSV-Verantwortlichen auch nach dieser Saison die Frage gefallen lassen: Kann sich der HSV ein weiteres Jahr in der Zweiten Liga überhaupt leisten?
Finanziell kann sich der HSV die Zweite Liga leisten
Die simple Antwort auf diese komplexe Frage lautet: Ja. Denn zumindest finanziell ist der HSV besser denn je aufgestellt. Durch das Votum der Mitglieder für eine Rechtsformänderung wandelt sich auch automatisch das Darlehen von Klaus-Michael Kühne von 30 Millionen Euro in Anteile, sodass auch dringend benötigte Infrastrukturmaßnahmen am Stadion durchgeführt werden können.
Mit dem Blick auf die aktuelle Bilanz könnte sogar der kuriose Fall eintreten, dass der HSV im Fall des Nicht-Aufstiegs eine schwarze Null im Jahresergebnis aufweisen könnte, im Fall des Doch-noch-Aufstiegs aber wegen Prämienzahlungen ein Minus zu Buche stünde.
Papenfuß: Defizit nur im Fall des Aufstiegs
„Die AG steht so gut da wie schon lange nicht mehr. Das gilt auch für das laufende Geschäftsjahr“, hatte Aufsichtsratschef Michael Papenfuß erst vor Kurzem im Abendblatt-Podcast „HSV – wir müssen reden“ gesagt. „Ich würde mich freuen, wenn wir ein Defizit erwirtschaften, denn dann würden wir aufsteigen.“ Möglich ist, dass der HSV selbst im Falle eines Aufstiegs einen Gewinn erwirtschaftet.
Aus finanzieller Sicht der Bestfall: Der HSV steigt auf, muss aber zunächst noch Relegation spielen. Dann dürfte sich Finanzvorstand Eric Huwer, der großes Vertrauen und Wertschätzung innerhalb des Aufsichtsrates genießt, auf zusätzliche Einnahmen in Höhe von rund 2,5 Millionenen Euro freuen.
Bei Nicht-Aufstieg könnte es für Boldt eng werden
Etwas geringer fällt derzeit die Wertschätzung im Kontrollgremium für Huwers Kollegen Jonas Boldt aus. Der Vorstandsdino, immerhin schon seit fünf Jahren auf der HSV-Kommandobrücke, wird zunehmend kritisch gesehen – kämpft gegen diese negativen Stimmungen aber vehement an. Sollte der HSV unter seiner Führung allerdings zum fünften Mal in Folge den Aufstieg verpassen, dürfte es eng für Boldt werden.
Dabei könnte der meinungsstarke Sportvorstand, der immer wieder durch sein bestimmendes Auftreten aneckt, auch im Falle eines Nicht-Aufstiegs einen wettbewerbsfähigen Kader präsentieren. Denn schon jetzt steht für die HSV-Entscheider fest, dass der Gehaltsetat auch in der Zweiten Liga nicht schrumpfen muss. Unabhängig von den Auf- und Absteigern würde der HSV-Kader auch in der kommenden Saison zu den zwei wertvollsten Zweitligakadern gehören.
Aufsichtsrat bereitet sich auf Zukunft ohne Boldt vor
Boldts größtes Problem: Das war in den vergangenen Jahren auch immer der Fall. Doch obwohl der HSV finanziell mindestens immer unter den Top drei der Zweiten Liga angesiedelt war, reichte es dennoch nie zum Aufstieg. Deswegen bereitet man sich im Aufsichtsrat auch schon für ein theoretisches Szenario ohne Boldt vor.
Ein HSV ohne Boldt würde aber eine ganze Reihe von Folgeentscheidungen nach sich ziehen. So wäre beispielsweise auch die Zukunft von Sportdirektor Claus Costa, ein langjähriger Wegbegleiter Boldts, fraglich. Auch Nachwuchschef Horst Hrubesch, der schon mehrfach sein Schicksal mit dem von Boldt verknüpft hat, hätte wahrscheinlich keine Zukunft im Volkspark. Wobei der Einfluss von HSV-Dinosaurier Hrubesch (72), der derzeit die DFB-Damen auf die Olympischen Spiele in Paris vorbereitet, im Nachwuchs ohnehin in den vergangenen Monaten stark zurückgegangen sein soll.
Kündigungsquote auch bei Nicht-Aufstieg gering
Der Einzige aus der ersten HSV-Reihe, der selbst im Falle des erneuten Scheiterns so etwas wie eine Jobgarantie hätte, ist derzeit Finanzchef Huwer. Aktuell ist der Vorstand vor allem bei Partnern unterwegs, um diese trotz der sportlichen Delle davon zu überzeugen, auch weiterhin dem Zweitligadino wider Willen die Treue zu halten. Die gute Nachricht für Huwer: Von der Möglichkeit, die Zusammenarbeit wegen eines erneuten Nicht-Aufstiegs fristgerecht bis zum 31. März zu kündigen, hat bislang kaum ein HSV-Partner Gebrauch gemacht – weder bei Sponsoren noch im Logen- und VIP-Bereich.
Finanziell ist die Lage beim HSV so komfortabel wie lange nicht mehr. Zwar hat Huwer auf der Mitgliederversammlung versichert, dass man keine Risikotransfers tätigt. Aber sollte man intern von einem potenziellen Neuzugang überzeugt sein, würde man auch einen Transfer von mehr als zwei Millionen Euro stemmen können. Eine größere Summe für einen einzelnen Spieler hat der HSV seit dem Abstieg bislang nur für den seit anderthalb Jahren dopinggesperrten Mario Vuskovic gezahlt.
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Neben den Absteigern aus der Bundesliga würden Hertha BSC, Hannover 96 und gegebenenfalls Schalke 04 als die Hauptkonkurrenten für den erneuten Aufstiegskampf angesehen werden. Wobei Schalke zunächst einmal die Zugehörigkeit in der Zweiten Liga sichern müsste – und dann vor ganz anderen finanziellen Herausforderungen als der HSV stünde.
Der Spezies Zweitligadino wäre also auch vor der kommenden Saison nicht angst und bange. Viel lieber würde man allerdings auf den inoffiziellen Titel verzichten. Die Chancen für den Aufstieg schwanken zwar mittlerweile zwischen extrem gering (direkt) und eher gering (über die Relegation). Aber unabhängig von irgendwelchen wissenschaftlichen Diskussionen über das Überleben von Dinosauriern, konnte man auch am Dienstagvormittag beobachten, wie groß der ligaunabhängige Zuspruch beim HSV noch ist.
HSV: Derbykarten nach 35 Minuten vergriffen
Um 10 Uhr startete der Mitgliedervorverkauf für das Derby gegen den FC St. Pauli. Es ist das Spiel, das für viele HSV-Fans zum echten Albtraum werden könnte. Schließlich könnten die Kiezkicker ausgerechnet im Volkspark den direkten Aufstieg perfekt machen – und den Status des HSV als Zweitligadino damit zementieren. Die Frage, welcher HSV-Fan sich so ein Heimspiel ernsthaft antun möchte, darf also gestellt werden.
Die Antwort folgte nach 35 Minuten: ausverkauft.