Melbourne. Mirra Andrejewa wirbelt die Australian Open durcheinander. Die 16-jährige Russin schlägt eine Mitfavoritin. Wer ist sie?

Gäbe es in der Rod-Laver-Arena einen Geschwindigkeits-Blitzer, wäre am Mittwoch sicher ein schönes Motiv der jungen Mirra Andrejewa entstanden. Wie ein Wirbelwind fegte die gerade 16-jährige Russin über den Centre Court der Australian Open, nach zehn Minuten im Formel-Eins-Tempo führte sie 4:0, nach zwanzig Minuten dann 6:0 – und nach genau 55 Minuten hatte das neueste Wunderkind der Tenniswelt sein Tagwerk schon auf höchsten Touren vollbracht, mit sage und schreibe 6:0 und 6:2. Nicht gegen irgendwen, sondern gegen die Nummer 6 der Weltrangliste, die ehemalige Wimbledon-Finalistin Ons Jabeur aus Tunesien, ihr eigenes Idol. „Mirra ist sooo gut. Passt´ auf sie auf“, kabelte Tennis-Legende Chris Evert nach dem sensationellen Zweitrundenerfolg über die Sozialen Medien nach Melbourne. Gut genug vielleicht sogar für einen Überraschungscoup beim ersten Major-Wettbewerb der Saison?

Schon in Wimbledon sorgte Andrejewa für Aufsehen

Vor einem Jahr stand Mirra Andrejewa noch im Juniorinnen-Finale der Australian Open, tränenreich verließ sie nach einem knüppelharten, verlorenen Drei-Stunden-Fight gegen Landsfrau Alina Kornejewa den Platz. Damals stand sie auf Platz 293 der Tennis-Hackordnung, nun grüßt sie nach dem Rausschmiß von Titel-Mitfavoritin Jabeur bereits als Nummer 34 der Live-Weltrangliste. „Im ersten Satz habe ich so gut gespielt wie noch nie“, sagte Andrejewa, „das hätte ich selbst nie erwartet.“

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Allerdings hatte das neueste Teenager-Phänomen des Wanderzirkus schon im vergangenen Jahr in Wimbledon gehörig für Aufsehen gesorgt, als jüngste Spielerin in der Konkurrenz rauschte sie durch die ersten drei Grand-Slam-Runden, ehe sie erst im Achtelfinale von der amerikanischen Topspielerin Madison Keys in drei Sätzen gebremst werden konnte. Zum Saisonende wurde Andrejewa keinesfalls verblüffend zur „Newcomerin des Jahres 2023“ gekürt.

Erinnerungen an Maria Scharapowa

Mirra Andrejewas Geschichte erinnert an den Aufstieg einer anderen russischen Spielerin, die einst aus Sibirien auszog, um die Tenniswelt zu erobern – an Maria Scharapowa. Auch Andrejewas Eltern waren als TV-Zuschauer fasziniert von den Karrieremöglichkeiten, die sich im Tennis womöglich bieten konnten, speziell nachdem sie einen gewissen Marat Safin 2005 in Melbourne triumphieren sahen. Als ihre zweitälteste Tochter dann tatsächlich Talent im Tennis zeigte, siedelte die Familie aus Krasnojarsk in wärmere russische Gefilde nach Sotschi um. Inzwischen aber lebt und trainiert die Ausnahmeerscheinung Andrejewa im Süden Frankreichs, in einer Akademie der früheren Profis Jean-Rene Lisnard und Jean-Christophe Faurel. Und wie damals Scharapowa ist auch Andrejewa längst beim krakenhaften Vermarktungsgiganten IMG unter Vertrag.

Herzliche Umarmnung für die Siegerin: Die geschlagene Mitfvoritin Ons Jabeur (links) und Mirra Andrejewa.
Herzliche Umarmnung für die Siegerin: Die geschlagene Mitfvoritin Ons Jabeur (links) und Mirra Andrejewa. © DPA Images | Lukas Coch

Da auch Andrejewas ältere Schwester Erika (19) im Profitennis unterwegs ist, fragte die New York Times am Rande der letztjährigen French Open bereits, ob „diese Russinnen die nächsten großen Schwestern des Tennis“ sein können – in Anspielung auf den Sister Act der Williamses? Erika müßte dann allerdings ein wenig aufholen, sie rangiert derzeit mit gehörigem Abstand zu Schwester Mirra auf Platz 119 der WTA-Hitparade.

Andrejewa ist ihrer Zeit im Tennis weit voraus

Den Respekt und die Scheu vor großen Namen hat die 16-jährige Mirra auf und neben dem Platz längst abgelegt, im Frühjahr 2023 hatte sie da noch ihre kleinen Problemchen. Beim Masters in Madrid gab Andrejewa zu, noch ein wenig überwältigt von der Nähe zu den ganz Großen der Branche zu sein: „Wenn man hier Essen geht und die alle vorbeilaufen sieht… Andy Murray zum Beispiel, er ist so wunderschön im Leben, allein sein Gesicht.“ Worauf der Schotte damals seinen trockenen Humor auspackte: „Wie gut sie erst sein wird, wenn ihre Augen mal in Ordnung sind.“

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Am scharfen Blick und dem Ehrgeiz des Wunderkinds kann natürlich kein Zweifel bestehen, Andrejewa ist ihrer Zeit wie andere Superstars in diesem Alter weit voraus. Sie wirkt schon ziemlich reif, keineswegs kindisch und hat sich eine gewisse Natürlichkeit bewahrt. „Ich spiele am besten, wenn ich einfach meinem Instinkt und meinen Gefühlen folge“, sagt sie, „oft vergesse ich den Plan, den wir vorher ausgetüftelt haben.“ Auch in der Netflix-Serie „Break Point“ tauchte Andrejewa schon auf, eine kuriose Erfahrung für die Freundin des Streaming-Dienstes. „Dass ich mich da selbst sehe, ist schon ein wenig verrückt.“