Melbourne. Laura Siegemund siegt zum Auftakt der Australian Open und spielt im Moment „wahrscheinlich das beste Tennis meines Lebens“.

In allen Höhen und Tiefen ihres wechselvollen Tennislebens hat Laura Siegemund eigentlich immer einem klaren Motto vertraut: „Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner.“ Doch als am ersten Montag der 2024 Ausgabe der Australian Open die Lage etwas prekär geworden war für die Altmeisterin, eine bittere Erstrunden-Niederlage im heißen Melbourne gegen die Russin Ekaterina Alexandrowa in Reichweite rückte, da war die wackere Schwäbin für etwas moralische Unterstützung sehr dankbar.

„Laura, du schaffst das“ habe ihr ein kleines Kind von der Tribüne aus immer wieder zugerufen, erinnerte sich Laura Siegemund sichtlich gerührt, „und das hat mir echt geholfen. Mir kommen die Tränen, wenn ich jetzt daran denke.“

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Laura Siegemund versetzt sich selbst ins Staunen

Als nach drei Stunden und drei Stunden in drückender Hitze letztlich abgerechnet war auf Platz 3 im National Tennis Center, da war Siegemund, was sie bisher immer in dieser jungen Saison war: die stolze Siegerin (6:2, 3:6, 7:6), die Hauptdarstellerin eines der ersten großen Grand Slam-Coups dank eines 11:9-Thrillererfolgs im Match-Tiebreak gegen die an Nummer 17 gesetzte Rivalin.

„Im Moment spiele ich wahrscheinlich das beste Tennis meines Lebens“, sagte die 35 Jahre alte Veteranin später. Nach drei Mixedsiegen beim United Cup, jeweils zwei Einzel- und Doppelerfolgen beim WTA-Wettbewerb in Adelaide vor dem Rückzug aus Verletzungsgründen untermauerte Siegemund auch auf der ganz großen Bühne in Melbourne ihren Status als Frau der Stunde im deutschen Tennis – Kerber-Comeback hin oder her.

Laura Siegemund legt alle Kraft in den Schlag - mit Erfolg, sie steht bei den Australian Open in der zweiten Runde.
Laura Siegemund legt alle Kraft in den Schlag - mit Erfolg, sie steht bei den Australian Open in der zweiten Runde. © dpa | Frank Molter

In der Hitparade der beliebtesten Spielerinnen im Tourgeschäft würde man Siegemund nicht weit vorne finden, schließlich gilt die gebürtige Filderstädterin als Akteurin, die das Regelwerk bis zur absoluten Schmerzgrenze ausreizt. Siegemund verweigert sich auch dem leidigen Kuschelkurs im Damentennis der Gewerkschaft WTA, bei dem sich ständig alle gernhaben müssen – und in dem oft genug zu kurz kommt, dass hier um große Träume, große Ziele und großes Geld hart gekämpft wird. „Ich muss nicht von jedem geliebt werden“, sagt Siegemund, die sich als ausgebildete Psychologin auch nebenberufsmäßig mit den Herausforderungen des Jobs beschäftigt. In ihrer Bachelorarbeit beackerte sie das Thema „Versagen unter Druck“, kürzlich veröffentlichte sie zudem mit Co-Autor Prof. Stefan Brunner das Buch „Wild Card – Herausforderungen mental meistern.“

DTB-Damenchefin Ritter über Siegemund: „Gibt nie, nie, nie auf“

Sie hatte dazu einiges aus eigenem Erleben zu sagen, allein schon über den außerordentlich langen Marsch durch die Tenniswelt, der mit einem Sieg als Teenagerin beim Orange Bowl in Florida (Jugend-WM) vor mehr als zwei Jahrzehnten begann. Mehr Probleme als Pokale folgten diesem frühen Coup, Siegemund hörte zwischenzeitlich sogar frustriert auf, erlebte aber auch einen zweiten und dritten Frühling als Berufsspielerin.

Was sich junge Spielerinnen von Siegemund abschauen könnten, seien das kompromisslose Arbeitsethos und die Einstellung, „nie, nie, nie aufzugeben“, sagt DTB-Damenchefin Barbara Rittner, „sie zeigt auf, was man alles tun muss, um erfolgreich zu sein.“ Siegemund glänzt zwar vornehmlich als Doppelkraft, steht aber eben auch in der Einzel-Weltrangliste unter den Top 100 (aktuell: Platz 78). Bei vielen Turnieren nimmt sie klaglos die Zweifach- oder Dreifach-Belastung (plus Mixed bei Grand Slams) auf sich, auch in dieser Hinsicht trifft die Bezeichnung „Laura Überall“ zu, die einst Boris Becker für die Schwäbin prägte.

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Gemeint war allerdings vom deutschen Tennios-Kanzler etwas anderes, nämlich Siegemunds Matchhärte, ihr vorbildliches Stellungsspiel, ihre Netzabdeckung, ihre Wachheit und Sinnesschärfe in den Centre-Court-Duellen. Und auch die Qualität, alles, wirklich alles gegen die Gegnerinnen einzusetzen – alles Erlaubte, aber auch manches Zweifelhafte. Mätzchen, Tricks und Kniffe, die in keinem Lehrbuch stehen. Dass sie in den Sozialen Medien damit gern mal zur Hassfigur wird, sich als „Hexe“ oder „das Böse“ wiederfindet, lässt sie Mittdreissigerin.

Sympathiepreise können gern andere gewinnen. Siegemund erfreut sich eher mal an Komplimenten von berufener Seite, wie zuletzt beim deutschen United Cup-Gewinn von Alexander Zverev. Der Olympiasieger kommentierte den Auftritt seiner Mitstreiterin schwärmerisch als „große Show“, bei der er beruhigt von der „Rückbank“ habe zusehen können. Das neue Jahr könnte Siegemund einen noch denkwürdigeren Moment bescheren, denn an der Seite ihrer neuen Mitstreiterin Barbora Krejcikova (Tschechien) wird ihr durchaus zugetraut, als erste Deutsche Platz eins der Doppel-Weltrangliste zu erklimmen. Von Platz fünf zum Gipfel ist es nicht mehr weit für „Laura Überall“.