Melbourne. Nach ihrer Babypause bestreitet Angelique Kerber ihr erstes Grand-Slam-Turnier als Mutter. In Melbourne hat sie nichts zu verlieren.

Am 31. Januar 2016 ist Angelique Kerber in Melbourne wirklich ins kalte Wasser gesprungen. Es war der Tag nach ihrem größten Tag als Tennisspielerin, ein übermütiger Freudensatz hinein in den trüben Yarra River – in Reich- und Sichtweite der Rod Laver-Arena, in der sie sich vor acht Jahren zur sensationellen Australian Open-Königin aufschwang. „Die Erinnerung an diesen Tag ist immer noch großartig. Es war der Moment, der Triumph, an dem eigentlich alles so wirklich begann für mich“, sagt Kerber im Gespräch mit dieser Redaktion, „ich wusste zum ersten Mal, dass ich in großen Momenten große Gegnerinnen schlagen kann. Dass ich gut genug bin, Grand Slam-Siegerin zu werden.“

Kerber springt auch in diesem Melbourne-Jahr in kaltes Wasser, ins Ungewisse. Sie hat es selbst immer wieder betont, in jedem ihrer Interviews vor der Rückkehr als Tennismutter in diesem Januar 2024. Sicher, Kerber gehörte zum erfolgreichen deutschen Team, das in Sydney vor Wochenfrist den United Cup gewann, sie machte trotz negativer persönlicher Bilanz eine sehr ordentliche Figur.

Jetzt beginnt die Tennissaison erst so richtig

Aber die 35-jährige Kielerin, die schon mal die Nummer 1 der Weltrangliste war, weiß nur zu gut, dass erst bei den Australian Open die Tennissaison tatsächlich beginnt, bei einer der vier großen Leistungsmessen ihres Sports. In Melbourne, wo alle Weltklassespielerinnen zum ersten Mal nach der wie immer äußerst kurzen Vorbereitungszeit zu den Grand Slam-Duellen zusammen kommen. Wo sie nun genau stehe am Vorabend ihres ersten Einsatzes gegen die US-Amerikanerin Danielle Collins, wisse sie ehrlicher Weise nicht, sagt Kerber, „aber die Vorfreude ist groß, wieder auf den großen Bühnen zu stehen.“

Zurück am Schläger: Angelique Kerber beim Training vor den Australian Open in Melbourne.
Zurück am Schläger: Angelique Kerber beim Training vor den Australian Open in Melbourne. © AFP | DAVID GRAY

Die Australian Open sind für alle Profis das Turnier mit den größten Unwägbarkeiten, auch dann, wenn sie nicht aus einer Babypause oder einer langen Verletzungspause in den Wanderzirkus zurückkehren. Der frühe Saisontermin, das launische Wetter, die große Anspannung sorgen immer wieder für Kapriolen. Bevor sie Mutter wurde und nun mit Töchterchen Liana nach Melbourne anreiste, erlebte Kerber schon alles im National Tennis Center – das bittere Scheitern in einigen Auftaktrunden, das Aus knapp vor dem Ziel, wie 2018 im Halbfinale gegen Nummer-eins-Frau Simona Halep. Und eben auch den Titelgewinn, 2016 gegen Serena Williams.

Die echten Prüfungen warten jetzt auf Kerber

Kerber war früher nicht gerade bekannt dafür, die Geduldigste und Entspannteste zu sein. Nun aber braucht sie eine gute Spur Gelassenheit und ein ordentliches Maß Frustrationstoleranz, um den absehbar holprigen Weg dieses Comebacks zielführend beschreiten zu können – wobei zwei der großen Fernziele Wimbledon und die Olympischen Spielen in Paris sind. „Ich weiß, dass ich nicht gleich zuviel von mir erwarten darf. Aber mein Ehrgeiz ist eben auch da, das Feuer als Wettkämpferin“, sagt Kerber. Sie konnte genau dieses Feuer und die eigenen Ambitionen auch durchaus nachweisen beim United Cup, wohl wissend, dass die echten Prüfungen noch warten. Würde Kerber die erste Melbourne-Hürde überspringen, die giftige Rivalin Collins, wäre wahrscheinlich Frontfrau Iga Swiatek die nächste Gegnerin. Da müsste nach jetzigem Stand der Dinge ein kleines Grand-Slam-Wunder für Kerber her.

2016 feierte Angelique Kerber in Melbourne den ganz großen Triumph: Sie gewann die Australian Open.
2016 feierte Angelique Kerber in Melbourne den ganz großen Triumph: Sie gewann die Australian Open. © DPA Images | Joe Castro

Vor dem ersten bedeutenden Auftritt seit dem verlorenen Drittrundenspiel gegen die Belgierin Elise Mertens in Wimbledon 2022 hat Kerber gesagt, es sei die größte Herausforderung, aus dieser Babypause heraus wieder zurückzukommen. Das mag ein Augenblicks-Gefühl sein. Denn die schwierigste Aufgabe als Profispielerin hat sie längst erfolgreich gemeistert, vor mehr als einem Jahrzehnt, als sie sich nach einer längeren Phase des Mittelmaßes komplett neu erfand und plötzlich zur berechtigten Erbin von Steffi Graf wurde. Kerber war auf einmal nicht nur die Stärkste der starken deutschen Generation um Julia Görges, Andrea Petkovic und Sabine Lisicki, sondern in der Paraderolle der extrem fitten, extrem leidenschaftlichen Kämpferin auch mittendrin in der Weltklasse.

Kerber muss nichts mehr beweisen

Kerber hat nichts zu verlieren bei dieser Rückkehr, bei diesem Einstieg als sogenannte „working mum“, als arbeitende Mutter. Sie muss niemandem auch nur das Geringste beweisen, höchstens sich selbst, dass sie noch einmal einen Dreh, einen Kniff und das Niveau findet, um ganz vorne mitmischen zu können. Gelänge es nicht, wäre trotzdem alles gut für Kerber. Denn sie hat schon vieles vom Besten im Tennis geschafft, auch Wimbledon und die US Open und dazu Olympia-Silber gewonnen. Alles, was kommt, ist eine willkommene Zugabe.