Hamburg/Dortmund. Bei der Ruder-WM in Serbien will das Paradeboot die Olympia-Qualifikation sichern. Vier Athleten erklären ihre Positionen im Achter.

Die erste Herausforderung bei der Ruder-WM, die an diesem Sonntag in Serbiens Hauptstadt Belgrad beginnt, steht zwar erst im Vorlauf am Dienstagnachmittag (14.29 oder 14.36 Uhr) an. Anspannung und Vorfreude allerdings sind bereits gleichermaßen hoch bei den neun Athleten, die dem Deutschland-Achter am 10. September (14.59 Uhr) im A-Finale mindestens Rang fünf und damit die direkte Qualifikation für die Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris sichern sollen.

„Ich glaube, dass wir uns in den vergangenen Wochen in die richtige Richtung entwickelt haben, und bin wirklich zuversichtlich, dass wir unser Ziel, das Olympiaticket zu lösen, erreichen werden“, sagt Torben Johannesen.

Johannesen glaubt an Olympiaquali

Der 28-Jährige vom RC Favorite Hammonia aus Hamburg ist im Kader von Bundestrainerin Sabine Tschäge (53/Mülheim an der Ruhr) der Dienstälteste, war 2016 bei den Sommerspielen in Rio de Janeiro als Ersatzmann dabei und zählt seit 2017 zum Stamm des Paradeboots des Deutschen Ruderverbands (DRV).

Seit vergangenem Mittwoch ist das Team, das bei der EM Ende Mai in Bled (Slowenien) als Vierter eine Medaille verpasst hatte, in Serbien. Kurz vor der Abreise hatte das Abendblatt am Bundesstützpunkt der Riemenruderer in Dortmund die Gelegenheit, mit vier Athleten über ihre Rolle und die dafür notwendigen Fähigkeiten zu sprechen, um zu ergründen, wie so ein Achter funktioniert.

Nicht nur Kraft ist gefragt

Denn um in der Weltspitze mitzuhalten, braucht es nicht nur acht starke Männer und einen herausragenden Steuermann, sondern auch das Vermögen, sich optimal aufeinander einzulassen und technisch maximal sauber miteinander zu rudern.

Der Steuermann: Jonas Wiesen ist der einzige Athlet im Achter, der nicht seine Arme als für seinen Sport wichtigsten Körperteil bezeichnet. „Natürlich wäre ich ohne Arme aufgeschmissen, weil ich dann nicht steuern könnte“, sagt der 27-Jährige.

Der 1,70 Meter große und 55 Kilogramm leichte Student der Wirtschaftsmathematik sitzt im Heck und steuert das Boot mittels eines am Steuerruder befestigten Drahtseils. Wiesen hält aber seinen Hintern für wichtiger als die Arme.

Wiesen ist seit 2022 Steuermann

„Den brauche ich, um zu fühlen, wie das Boot läuft und was nicht passt. Auch wenn man natürlich viel hört und sieht, ist das Gefühl der wichtigste Indikator für die Ausrichtung des Bootes“, sagt er. Auch der Kopf, um schnell und klar Entscheidungen zu treffen, und die Stimme, mittels der er über Lautsprecher im Boot Anweisungen gibt, seien für ihn wichtige Elemente.

Nach den Olympischen Spielen 2021 in Tokio hatte der Mann von der RG Treis-Karden den Posten der Berliner Steuermann-Legende Martin Sauer übernommen. Dass seine Position, die bei der Bezeichnung „Achter“ gern unterschlagen wird, die wichtigste im Boot ist, weist er vehement von sich.

„Keine Position ist wichtiger als die anderen, weil wir auf niemanden verzichten könnten“, sagt er. Als Steuermann sieht er seine wichtigste Aufgabe darin, den Blick auf jeden Einzelnen zu richten und die Verantwortung für die gesamte Mannschaft zu tragen. „Dafür ist es wichtig, den Menschen hinter dem Ruderer zu kennen. Deshalb bin ich auch im Winter, wenn vorrangig Kraft trainiert wird, immer dabei und führe viele Einzelgespräche“, sagt er.

Der Schlagmann: Die Verantwortung, die Mattes Schönherr trägt, ist hoch, aber genau das mag der 23-Jährige vom RC Potsdam. „Ich muss das, was Jonas vorgibt, von vorne umsetzen und dabei darauf achten, alle mitzunehmen. Wenn das nicht funktioniert, bekommen wir Probleme“, sagt der 1,96 Meter große und 98 Kilogramm schwere Athlet, der erst nach der EM von Position sechs im Mittelschiff auf Schlag rückte.

Start und Endspurt kritische Rennpunkte

Im Rennen gibt es für ihn in erster Linie zwei kritische Punkte. „Am Start muss ich versuchen, möglichst schnell anzufahren und auf dem Tempo draufzubleiben, ohne die anderen dabei zu verlieren. Gleiches gilt für den Endspurt“, sagt er.

Die Frage, ob für ihn die Technik höhere Wichtigkeit als die Kraft hat, kann er nicht eindeutig beantworten. „Auf Schlag muss ich technisch stets sauber bleiben, aber auch physisch das ganze Rennen über auf der Höhe sein“, sagt er. Darin, unter Vollbelastung sauber zu rudern, sieht der Student der Augenoptik, der mit seinem Co-Schlagmann Wolf-Niclas Schröder (26/Arkona Berlin) harmonieren muss, seine Schwäche. „Aber diese Erfahrung kommt mit den Rennen.“

Das Mittelschiff: Als Kraftkammer des Bootes werden die Positionen drei bis sechs im Achter, die von Marc Kammann (26/Hamburger und Germania RC), Olaf Roggensack (26/RC Tegel), Torben Johannesen und Max John (26/ORC Rostock) bekleidet werden, gern bezeichnet.

Nicht auf die Kraft reduzieren

„Natürlich sind die Power und Dynamik im Mittelschiff wichtig. Wenn wir kompakt bleiben, können wir die Leute im Bug und im Heck am besten unterstützen. Wenn der Motor läuft, ergibt das einen vernünftigen Achtzylinder“, sagt Jurastudent Kammann, der erst seit dieser Saison im Achter sitzt.

Allerdings will das Quartett nicht nur auf die Kraft reduziert werden. „Wir brauchen ebenso ein Gefühl füreinander, um zu spüren, ob wir den vorgegebenen Schlag richtig übernehmen und weitergeben. Das lernt man am besten im Kleinboot, deshalb ist auch das Zweiertraining so wichtig.“

Kammann (1,98 m, 94 kg), der nach der EM mit Schönherr die Positionen tauschte und auf die Sechs rückte, empfindet auch seine Aufgabe als Schlüsselposition. „Niclas muss den Schlag weitergeben, ich muss auf Backbord übernehmen und den anderen im Mittelschiff zeigen, was gewollt ist. Wenn ich den Job nicht richtig mache, kann das nach hinten losgehen.“

Der Bugmann: Über den Lautsprecher hört Benedict Eggeling seinen Steuermann genauso gut wie alle anderen. Räumlich ist der 24-Jährige vom RC Favorite Hammonia allerdings am weitesten von Jonas Wiesen entfernt. „Aber weil viel Kommunikation auf nonverbaler Ebene passiert, ist das kein Nachteil für mich“, sagt er.

Anpassungen sind im Bug einfacher

An seiner Position schätzt der 1,90 Meter große und 91 Kilo schwere Betriebswirtschaftler die Freiheiten, die sie bietet. „Anpassungen sind im Bug deutlich einfacher zu machen, weil man dort viel besser spürt, wie das Boot sich verhält“, sagt der Hamburger, der im vergangenen Jahr im Paradeboot debütierte und mit dem vor ihm sitzenden Jasper Angl (23/RV Münster) das Bugpärchen bildet.

Das nötige Gefühl für das Boot, das unterstreicht auch Eggeling, komme mit der Rennerfahrung, von der die junge deutsche Crew noch immer nicht allzu viel gesammelt hat. „Es ist immer wieder schön zu spüren, wenn man als Team gemeinsam den richtigen Druckpunkt trifft und das Boot rund läuft. Im Bug merkt man es deutlicher, ob das Boot nach dem Ausheben horizontal weiterläuft. Deshalb kann ich sagen, dass ich aktuell auf meiner Lieblingsposition sitze“, sagt er.

Zwei gute Rennen – und, falls im Vorlauf nicht mindestens Rang zwei gelingt, einen starken Hoffnungslauf – braucht der Deutschland-Achter, um bei der WM sein Ziel zu erreichen. Was dafür nötig ist, wissen die neun Männer. Nun müssen sie es nur noch abrufen.