Hamburg. Der Norweger Casper Ruud gilt als freundlichster Profi auf der Tennistour. Seine Qualitäten auf Sand haben ihn zum Star gemacht.

Es war, sagte Casper Ruud, der ungewöhnlichste Ort, an dem er jemals ein paar Tennisbälle geschlagen habe. Auf der „Queen Victoria“, einem Kreuzfahrtschiff von Turniersponsor Cunard, war der Weltranglistenvierte aus Norwegen am Dienstagvormittag zu einem PR-Termin geladen. Der 24-Jährige absolvierte ihn mit ebenjenem Charme, der ihm den Ruf eingebracht hat, der netteste Spieler auf der ATP-Tour zu sein.

„Das ist eine schöne Bestätigung, wenn ich von meinen Kollegen so eingeschätzt werde“, sagte er dem Abendblatt. Sein Credo sei, dass es für sein Wohlbefinden der richtige Weg ist, sich mit den Menschen, mit denen er im Tross durch die Tenniswelt reist, gut zu verstehen.

„Viele versuchen, es genauso wie ich zu machen, deshalb würde ich natürlich nicht selber behaupten, dass ich der Netteste bin. Aber ich bin froh darüber, dass ich zu vielen meiner Rivalen ein wirklich freundschaftliches Verhältnis habe“, sagte er.

Erstrundenduell mit Baez

An diesem Mittwoch allerdings ist dann auch wieder gut mit Nettigkeiten, zumindest auf dem Court. Sein Erstrundenduell mit dem Argentinier Sebastian Baez (22/Nr. 64) soll für Casper Ruud den Auftakt markieren zu einem Siegeszug, an dessen Ende der erste Titel bei einem Turnier der 500er-Kategorie (500 Weltranglistenpunkte für den Sieg) stehen soll.

Zehn ATP-Turniere hat der 1,83 Meter große Rechtshänder bislang gewonnen, allesamt jedoch auf 250er-Level. „Ich bin auf jeden meiner Titel stolz, aber natürlich möchte ich jetzt auch größere gewinnen, und Hamburg wäre dafür der richtige Ort. Vielleicht klappt es ja in dieser Woche“, sagte der Rothenbaum-Halbfinalist von 2020, der am vergangenen Sonntag in Bastad (Schweden) im Finale dem Russen Andrej Rubljow (25/Nr. 7) unterlegen und anschließend mit seinem Bezwinger im Privatjet nach Hamburg gereist war.

2017 scheiterte er an Molleker

Casper Ruud, der von seinem einst selbst als Profi aktiven Vater Christian (50) trainiert wird, ist am Rothenbaum wahrlich kein Novize. 2017 stand er als 18-Jähriger hier in der Qualifikation, unterlag damals dem noch zwei Jahre jüngeren deutschen Toptalent Rudi Molleker.

Wenn er den Ruud von damals mit dem Spieler vergleichen solle, der er heute ist, falle ihm als Gemeinsamkeit ein, „dass mein Stil, möglichst aggressiv mit der Vorhand das Match zu diktieren, der gleiche geblieben ist“.

Verändert habe sich, neben einer deutlich besseren Rückhand und einem für die Gegner schwer zu returnierenden Aufschlag, in erster Linie sein Selbstbewusstsein. „Meine Erfolge haben mir gezeigt, dass ich jeden Spieler auf der Welt besiegen kann. Mit dieser Einstellung gehe ich in jedes Match“, sagte er.

Drei Grand-Slam-Finals verloren

Dreimal führten ihn seine Qualitäten bereits in ein Grand-Slam-Finale. Die härteste Niederlage sei die bei den US Open 2022 gegen Spaniens Jungstar Carlos Alcaraz (20) gewesen, „weil ich bei 1:1 Sätzen im dritten Durchgang Satzball hatte und glaube, dass ich nie näher an meinem ersten Majortitel dran war als in New York“.

Die beiden auf seinem Lieblingsbelag Sand verlorenen French-Open-Finals gegen die Topstars Rafael Nadal (2022) und Novak Djokovic in diesem Jahr habe er als Lerneffekt abgebucht. „Dass ich es zweimal in Folge in Paris ins Finale geschafft habe, hat mir gezeigt, dass ich da oben hingehöre. Das war trotz der Niederlage ein ganz wichtiger Schritt.“

In einem Land wie Norwegen, wo der Wintersport einen Großteil der Aufmerksamkeit absaugt, als Sommersportler wahrgenommen zu werden ist nicht einfach. Die Beachvolleyball-Olympiasieger Anders Mol/Christian Sörum hatten vor einigen Wochen im Abendblatt berichtet, dass sie selbst nach dem Triumph von Tokio 2021 um Anerkennung kämpfen müssten.

Interesse in der Heimat ist groß

„In deren Fall ist es krass. Ich kenne die beiden, sie sind sehr nette Jungs, die deutlich mehr Support verdienen würden“, sagt er. Er selbst jedoch könne sich über mangelnde Anteilnahme aus der Heimat nicht beklagen. „Tennis ist in den vergangenen Jahren in Norwegen größer geworden, die Zeitungen berichten über fast jedes Match, das ich bestreite“, sagt er.

Der erste 500er-Titel dürfte das Interesse weiter anfachen. „Ich werde alles dafür tun, dass es schon in Hamburg so weit ist“, sagte er, „aber die anderen wollen auch gewinnen.“ Das mag sein, aber es reicht ja, wenn er abseits des Courts nett bleibt.