Hamburg. Der Hamburger Schwimmer Rafael Miroslaw will bei seiner zweiten WM-Teilnahme die Halbfinals über 100 und 200 Meter Freistil erreichen.
Das Wasser perlt noch ab von seinem Oberkörper, es tropft aus den kurz geschorenen Haaren, aber sich abtrocknen oder gar umziehen, das will er nicht. „Kann losgehen, ich bin bereit“, sagt Rafael Miroslaw, gerade dem Becken entstiegen, und er wird in den gut 35 Minuten, die das Gespräch dauert, in jeder Sekunde genau diesen Eindruck unterstreichen.
Dass da ein Athlet vor einem sitzt, der bereit ist. Bereit, sich jeder Herausforderung zu stellen und das zu tun, was zum Saisonhöhepunkt gefordert ist: Bestleistung abzuliefern. An diesem Freitag reist der 22 Jahre alte Hamburger mit der deutschen Beckenschwimmer-Nationalmannschaft nach Japan. In Fukuoka beginnen die Weltmeisterschaften mit den Wettkämpfen im Freiwasser, im Becken geht es erst eine Woche später los.
Aber um sich angemessen zu akklimatisieren, beziehen Miroslaw und das deutsche Team ein Trainingslager in Kumamoto, das dem Deutschen Schwimmverband (DSV) seit vielen Jahren bei Wettkämpfen in Japan als Basis dient.
Schwimmen: Miroslaw ist einziger Hamburger
„Da kann ich am Feinschliff arbeiten, vor allem an der Spritzigkeit, und dann kann es losgehen“, sagt der Freistilspezialist, der als einziger Hamburger für die WM nominiert ist. Hannah Küchler (21), Olympiateilnehmerin von Tokio 2021 in der Staffel, hat sich für einen Start bei der Universiade in Chengdu (China/28. Juli bis 8. August) entschieden.
Rafael Miroslaw, der bei der HT 16 mit seinem Sport begann, reist mit dem Rückenwind von zwei deutschen Meistertiteln nach Japan, die er am vergangenen Wochenende in Berlin gewann. Die Tage zwischen DM und WM nutzte er für einen Heimatbesuch inklusive Training am Olympiastützpunkt in Dulsberg.
Das Programm, das er sich für die Welttitelkämpfe vorgenommen hat, klingt ambitioniert. Neben den Einzelrennen über 100 und 200 Meter Freistil will er in allen fünf Staffeln – 4x100 und 4x200 Freistil, 4x100 Lagen sowie 4x100 Freistil- und 4x100-Lagen-Mixed – an den Start gehen.
Seit Sommer 2021 in den USA
Die dafür nötige Wettkampfhärte habe er sich durch das Training an der Indiana University in Bloomington, wo er seit Sommer 2021 dank eines Vollstipendiums Management und Öffentlichkeitsarbeit studiert, angeeignet. „Es war genau der richtige Schritt, in die USA zu gehen“, sagt er. „Die Leistungssportkultur dort ist eine ganz andere.“
Nicht nur, dass seine Professoren an der Uni für wettkampfbedingte Fehlzeiten uneingeschränktes Verständnis aufbringen, das an deutschen Hochschulen oft fehlt, gefällt ihm. Sondern auch, dass in den USA aus allem ein Wettkampf gemacht werde. „Es geht nicht um vorgegebene Zeiten, sondern immer darum, Rennen zu gewinnen. Dadurch habe ich gelernt, dass ich auch mehrfach pro Tag schnell schwimmen kann, was ich mir vor meinem Wechsel nicht zugetraut habe“, sagt er.
Zu wissen, dass er selbst an einem schwachen Tag abliefern könne, gebe ihm eine Sicherheit, die ihm im vergangenen Jahr noch abging. Damals war er bei der WM in Budapest (Ungarn) erstmals im Erwachsenenbereich für die Einzelstrecken nominiert gewesen.
Rekordhalter über 100 Meter Freistil
Als neuer deutscher Rekordhalter über 100 Meter Freistil – in Berlin war er als erster Deutscher in 47,92 unter der 48-Sekunden-Marke geblieben – war er angereist, doch Sicherheit gab ihm das nicht. „Im Gegenteil, ich konnte die Leistung nicht einordnen, habe gezweifelt und befürchtet, dass ich vielleicht nur ein One-Hit-Wonder bin. Und dann plötzlich neben den ganzen Weltstars im Aufwärmraum zu sitzen, das hat mich schlicht überfordert“, sagt er. Über die Vorläufe kam er deshalb nicht hinaus.
Dennoch sei die WM-Premiere eine „absolut wichtige und notwendige“ Erfahrung gewesen. „Budapest hat mir gezeigt, wie wichtig das Mentale im Sport ist“, sagt er. Ein Jahr später habe er eine klarere Einschätzung seiner eigenen Leistungsfähigkeit. Zudem habe er gelernt, seinen Körper besser einzuschätzen.
Schulterblessur gut im Griff
Die schwere Schulterblessur, die ihn 2021 den Olympiastart in Tokio gekostet hatte, habe er dank besserer Regeneration und regelmäßigen Stretchingprogramms gut im Griff. Das mache ihn zwar nicht unbedingt gelassener, Aufregung und Vorfreude seien ebenso groß wie vor einem Jahr. „Aber es gibt mir eine Sicherheit, die mich wahrscheinlich gelassener wirken lässt.“
Tatsächlich, das bestätigt auch Tobias Müller, wirkt Rafael Miroslaw gefestigter und klarer als in den Jahren vor seinem Wechsel in die USA, als er als Toptalent galt, aber oft den Eindruck hinterließ, diese Einschätzung mit ausuferndem Ehrgeiz übererfüllen zu wollen.
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„Rafael ist kein Kindskopf mehr, er ist erwachsen geworden“, sagt Müller, Bundesstützpunkttrainer in Hamburg. Die Selbstständigkeit, die ihm das Leben in den USA abverlange, helfe dem 1,85 Meter großen Topathleten auch dabei, sportliche Ziele besser erreichen zu können. „Er wirkt sehr aufgeräumt und prozessorientiert. Deshalb denke ich, dass man bei der WM mit ihm rechnen darf“, sagt Müller.
Erreichen der Halbfinals ist WM-Ziel
Miroslaw selbst hat sich das Erreichen der Halbfinals in den Einzeldisziplinen zum Ziel gesetzt. „Ich war mit der Staffel schon in drei WM-Finals, im Einzel fehlt mir das bislang. Es sollte mein Anspruch sein, das zu ändern“, sagt er. Dafür seine Bestzeiten – der deutsche Rekord über 100 Meter und 1:45,80 Minuten über die doppelte Distanz – knacken zu müssen, schreckt ihn nicht. „Ich habe das drauf“, sagt er.
Und wenn es in diesem Jahr noch nicht reicht, sei das auch kein Weltuntergang. „Alles ist auf Olympia 2024 in Paris ausgerichtet. Da will ich mit den Besten mithalten. Aber es wäre schön, wenn das schon in Fukuoka klappt“, sagt Rafael Miroslaw. Bereit sein, wenn es wirklich zählt – diesen Lerneffekt kann er in der kommenden Woche nachweisen.