Hamburg. Neue Trainer, neues Konzept – nach vielen Querelen versucht sich der Bundesstützpunkt Schwimmen in Dulsberg für die Zukunft zu rüsten.
Man kann ihn sich wunderbar vorstellen als Protagonisten dieser launigen NDR-Fernsehspots, in denen Norddeutsche in ihren Eigenarten erläutern, was „das Beste am Norden“ sei. „Das Beste am Norden ist unsere Unaufgeregtheit“, könnte Tobias Müller dort sagen, und er müsste einfach so sein, wie er sich in Gesprächen oder während der Verrichtung seiner Arbeit am Beckenrand gibt. Unverstellt, klar, strukturiert – so beschreiben die, die regelmäßig mit dem 32-Jährigen zu tun haben, dessen Naturell.
Seit 1. August ist Tobias Müller offiziell Cheftrainer am Bundesstützpunkt (BSP) Schwimmen in Dulsberg, und wahrscheinlich konnte nur ein Mensch mit seinem Naturell die Aufgabe übernehmen, wieder Ruhe in die seit vielen Monaten aufgewühlte Atmosphäre zu bringen.
Einer wie er, der seit seiner Einstellung als Landestrainer im Oktober 2014 die Strukturen in Hamburg kennt, die vielen Konflikte zwischen Deutschem Schwimmverband (DSV) und den am Hamburger BSP beteiligten Parteien erlebt, aber nie persönlich genommen hat, war notwendig, um die Neuordnung zu organisieren, mit der der finanziell überlebenswichtige Status als einer von fünf deutschen BSP über 2024 hinaus gesichert werden soll.
DSV: Tobias Müller stößt Veränderungen an
Müllers Vorgänger Veith Sieber, der mittlerweile als Geschäftsführer ein Studio zur gezielten Figurformung (hypoxi.com) leitet, hatte sich in Konflikten aufgerieben und war wochenlang krankgeschrieben, ehe er sich mit dem DSV auf eine Vertragsauflösung einigte.
Die aussichtsreichsten Aktiven wie die Freistil-Asse Hannah Küchler (20), Julia Mrozinski (22) und Rafael Miroslaw (21) oder Schmetterlings-Spezialist Björn Kammann (21) waren mit Universitätsstipendien in die USA abgewandert. In dieser Gemengelage übernahm Tobias Müller, und er hat in den vergangenen Monaten eine Reihe an Veränderungen angestoßen.
Namhafter Neuzung für Hamburger Stützpunkt
Die wichtigste dürfte die Öffnung des bislang auf die Kurz- und Mittelstrecken fokussierten Fördermodells sein. Der DSV hatte darauf gedrungen, auch Langstrecken zu inkludieren. „Dem sind wir nachgekommen, auch wenn der Schwerpunkt auf den kürzeren Distanzen bleibt“, sagt Müller.
Um dem Rechnung zu tragen, sind aus einer Leistungssport-Trainingsgruppe zwei geworden. Müller coacht 14 Athletinnen und Athleten, die sich auf Kurz- und Mittelstrecke konzentrieren. Unter ihnen ist mit Kathrin Demler (26) ein namhafter Neuzugang, die DSV-Aktivensprecherin kam aus Essen, um ihrer Karriere einen neuen Impuls zu geben.
Drei Nachwuchshoffnungen in Hamburg
Auch die Rückenspezialisten Sonnele Öztürk (24) und Cornelius Jahn (19) sowie Schmetterlings-Experte Tobias Schulrath (19) zählen zur Gruppe, ebenso die zunächst bis Januar aus den USA zurückgekehrte Julia Mrozinski und die Nachwuchshoffnungen Esi Bondzie, Lina Scheffler und Moritz Krummel (alle 16).
Nikolai Jewsejew (56), als Schnittstellentrainer vor allem für die Nachwuchskader verantwortlich, hat ein elfköpfiges Team vorrangig aus Mitgliedern des Nachwuchskaders (NK 2), in dem auch die Langstrecke gefördert wird. Einziger Perspektivkader-Athlet in Jewsejews Gruppe ist Silas Beth (19).
Müller: Stellen sind „hochklassig“ besetzt
Ein wichtiger Schritt, sagt Tobias Müller, sei auch damit gelungen, dass alle Vakanzen im Funktionsteam, die die Trainingsarbeit über Monate ebenfalls gelähmt hatten, mittlerweile ausgefüllt seien. Über den Olympiastützpunkt (OSP) sind Dennis Brocks und Jens Okunneck als Landestrainer angestellt. Landestrainerin Jana Glas wird ebenso vom Hamburger Schwimmverband (HSV) finanziert wie Athletikcoach Niels Nürnberger.
Am OSP angestellt sind die Trainingswissenschaftler Tim Franzmann und Stefan Fuhrmann. „Wir haben es geschafft, innerhalb kurzer Zeit die offenen Stellen hochklassig zu besetzen. Mit diesem Team können wir unsere Aufgaben angehen“, sagt Tobias Müller.
Dulsbergbad vor Herausforderung Energiekrise
Die Infrastruktur im Dulsbergbad gilt, auch wenn Modernisierungen anstehen, als eine der besten der Schwimmwelt. Natürlich seien die Herausforderungen durch die Energiekrise gerade für Betreiber von Schwimmhallen enorm.
„Aber wir haben hier wirklich gute Bedingungen, tatsächlich habe ich bislang nicht erlebt, dass mir ein Wunsch nicht erfüllt wurde“, sagt Müller. Er sehe deshalb keinen Grund dafür, „warum es uns nicht gelingen sollte, Athletinnen und Athleten an die Weltklasse heranzuführen.“
Hamburger arbeiten auf Olympia 2024 hin
Bei den deutschen Kurzbahnmeisterschaften in Wuppertal, die von diesem Donnerstag bis Sonntag stattfinden, ist Hamburg mit 17 Aktiven am Start. „Wir wollen bei einer DM immer gut sein, aber die Ergebnisse stehen nicht im Vordergrund, sondern die Entwicklung“, sagt der BSP-Trainer, der in den vergangenen Wochen den Trainingsschwerpunkt auf Starts, Wenden und Tauchphasen gelegt hatte.
- Jacob Heidtmann will "Start ins normale Leben schaffen"
- In vielen Hamburger Bädern nun zwei Ruhetage pro Woche
- Sportvereine in der Krise: Sparen ist längst nicht genug
Bis zum ersten internationalen Wettkampf im Januar in Luxemburg stehen Kraft- und Wassereinheiten in Hamburg an, anschließend geht es in mehrere Trainingslager, ehe im April in Stockholm (Schweden) und Berlin die Qualifikationsphase für die WM in Fukuoka (Japan/14. bis 30. Juli) ansteht. Mittelfristig arbeiten Müller und sein Team aber auf die Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris hin, nach denen spätestens über den BSP-Status entschieden wird.
Ein „Riesenbrett“ sei die Aufgabe, die vor ihm liege, hatte Tobias Müller im Sommer gesagt, als er sich für die Bewerbung auf die BSP-Trainerstelle entschied. Er hat nun angefangen, es zu bohren, und er hat Spaß daran.