Hamburg. Ironman-Veranstalter spricht nach dem Tod eines Motorradfahrers über Regelverschärfungen und verteidigt die Rennfortsetzung.
Kein Tag vergehe, beteuert Oliver Schiek, an dem er nicht an den schrecklichen Unfall denke. „Mein Team und ich versuchen, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um uns bestmöglich um die Leidtragenden zu kümmern. Aber natürlich müssen wir auch nach vorn schauen und uns um unsere Veranstaltungen kümmern“, sagt der 52-Jährige.
Schiek ist Geschäftsführer der Ironman Germany GmbH die im deutschen Sprachraum Dutzende Veranstaltungen pro Jahr durchführt. In Hamburg sind sie für den Ironman, den Weltserien-Triathlon und das Radrennen Cyclassics zuständig. Pausen gibt es im Sommerhalbjahr keine, und weil das so ist, muss die Aufarbeitung dessen, was am ersten Juniwochenende die Triathlon-Welt und den Hamburger Sport aufwühlte, unter Zeitdruck erfolgen.
Ironman Hamburg: Motorradfahrer verstarb am 4. Juni
Unter weiterhin unklaren Begleitumständen, die Gegenstand der polizeilichen Ermittlungen sind, war am 4. Juni beim Profirennen des Ironman ein im Medientross als Begleitfahrer eingesetzter Motorradpilot am Spadenländer Hauptdeich in den Gegenverkehr geraten und dabei mit einem auf dem Rad entgegenkommenden britischen Athleten kollidiert. Der Biker verstarb an der Unfallstelle, der Sportler wurde schwer, ein auf dem Motorrad sitzender Fotograf leicht verletzt.
In den Tagen nach dem Unfall war Ironman stark in die Kritik geraten; einerseits, weil die Zahl der Begleitfahrzeuge auf der Strecke von vielen Beobachtern als zu hoch eingeschätzt wurde. Andererseits aber auch wegen der mangelhaften Krisenkommunikation. Nun steht vom 13. bis 16. Juli die Sprint- und Mixedstaffel-WM an, die Ironman in Kooperation mit dem Weltverband World Triathlon und der Deutschen Triathlon-Union (DTU) ausrichtet.
Ermittlungen zum Unfall dauern an
Am Montagnachmittag fand in der Ironman-Zentrale in Bahrenfeld ein Analysegespräch des Abendblatts mit Schiek und DTU-Vizepräsident Jan Philipp Krawczyk statt, um über die Auswirkungen des Unfalls auf den anstehenden Saisonhöhepunkt aufzuklären.
Ohne den Ergebnissen der Ermittlungen zum Unfallhergang vorzugreifen, kann Oliver Schiek den wichtigsten Lerneffekt klar umreißen. „Die Sicherheit unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer war und ist bei all unseren Events zu 100 Prozent das höchste Gut“, sagt er, „aber was wir jetzt tun können, um die Standards so extrem hochzufahren, dass so etwas nicht mehr passiert, werden wir tun.“ Damit sei keineswegs die Unterstellung verbunden, dass dies bisher nicht getan wurde. „Aber wir überprüfen alles und schauen, was wir über das Maß dessen, was wir bislang als höchstmögliche Sicherheit erachtet haben, tun können.“
Weniger Begleitfahrzeuge geplant
Dazu gehöre in erster Linie, die Zahl der Begleitfahrzeuge auf ein vertretbares Minimum abzusenken. „Seit dem Hamburger Ironman hatten wir vier Veranstaltungen, bei denen wir darauf besonders geachtet haben“, sagt er.
Zudem sei im Regelbriefing, das vor jedem Wettkampf durchgeführt werde, die Ansprache noch einmal deutlich verschärft worden, um für die Problematik zu sensibilisieren. „Das kann zwar nicht ausschließen, dass nicht trotzdem ein tragisches Unglück geschieht, aber wir weisen deutlich auf die Wichtigkeit hin“, sagt Schiek.
Ob die Zahl der Begleitfahrzeuge in Hamburg, so wie es der deutsche Topstar Jan Frodeno und andere Beobachter moniert hatten, tatsächlich zu hoch gewesen ist, will Schiek vor Abschluss der Ermittlungen nicht kommentieren. Fakt sei aber, bekräftigt Krawczyk, dass die ebenfalls auf Motorrädern mitfahrenden Kampfrichter die Möglichkeit haben, auch während des Renngeschehens auf Fehlverhalten zu reagieren und dessen Verursacher der Strecke zu verweisen.
Schiek verteidigt Rennfortsetzung
Die Entscheidung, das Rennen am 4. Juni nicht abzubrechen, verteidigen beide ebenso vehement wie nachvollziehbar. „Es hätte zu einem größeren Chaos mit erhöhter Unfallgefahr geführt, wenn wir versucht hätten, 2800 Athleten auf einer solch weitläufigen Rennstrecke aus dem Wettkampf zu nehmen“, sagt Schiek, der diese Entscheidung auch nicht allein gefällt hat.
Vielmehr gibt es bei jeder Veranstaltung im öffentlichen Raum einen Krisenstab aus Veranstalter, Polizei, Sicherheitsunternehmen und zuständigen Behörden, der im Ironman-Fall in der Petrikirche eingerichtet war. Dort wurde die Entscheidung einvernehmlich getroffen.
Entscheidung wurde in Hamburg getroffen
Ein Fakt, der zur Einordnung auch schon am Tag des Rennens geholfen hätte. Dort war allerdings zunächst kommuniziert worden, man habe Rücksprache mit dem Ironman-Mutterkonzern in den USA halten müssen. Dem widerspricht Schiek deutlich. „Ich habe kein einziges Mal in den USA angerufen. Natürlich berichten wir dorthin, aber die Entscheidungsgewalt muss vor Ort sein“, sagte er.
Auch die Gerüchte, das Rennen sei auch wegen der Sorge vor Regressforderungen nicht abgebrochen worden, widerlegt er. „Solche Überlegungen gab es zu keinem Zeitpunkt. Was im Fall eines Abbruchs passiert, ist geregelt, und wenn abgebrochen werden muss, tun wir das.“
Besondere Sorgfaltspflicht als Veranstalter
Auf die Frage, warum auf der Strecke und im Zielbereich noch Stunden nach dem Unfall Partymusik gespielt und erst spät eine Stellungnahme des Veranstalters veröffentlicht wurde, antwortet Schiek: „Wir haben noch einmal eine ganz andere Sorgfaltspflicht als die Medien. Wir müssen zunächst die Identität der Opfer verifizieren und uns mit allen Beteiligten abstimmen, ehe wir offiziell Stellung nehmen können. Sobald das möglich war, reduzierten wir die Musiklautstärke deutlich, und auch abends bei den letzten Finishern wurde nicht mehr überschwänglich gefeiert wie normalerweise.“
Die Kooperation mit der Stadt, die seit vielen Jahren besteht und sich insbesondere in der Corona-Phase zu einem besonderen Miteinander entwickelte, hält Oliver Schiek nicht für gefährdet. „Wir haben uns in diversen Gesprächen über alle relevanten Themen ausgetauscht und haben ein sehr gutes Verhältnis.“ Auch die in einigen Medien angestellte Mutmaßung, die weitere Austragung des Ironmans in Hamburg sei gefährdet, entbehre einer Grundlage. „Es ist ein sehr beliebtes Rennen. Für 2024 ist der nächste Ironman am 2. Juni geplant, und aus meiner Sicht gibt es keine Zweifel daran, dass er stattfindet.“
Triathlon-WM passt Konzept nicht an
Was die Sprint- und Mixedstaffel-WM betrifft, habe es keinerlei Forderungen oder Vorgaben seitens der Stadt gegeben. „Wir wurden aufgefordert, alle Konzepte zu überprüfen, aber es gab keine Forderungen, etwas zu verändern. Die Stadt vertraut Ironman und uns. Wir machen uns natürlich Gedanken, auch wenn wir wahrscheinlich wenig anders machen, als wir es getan hätten, wenn der Unfall nicht passiert wäre.“, sagt DTU-Vize Krawczyk.
Die Streckenführung mit dem beliebten Innenstadtkurs sei seit vielen Jahren gelernt und berge, da kaum Platz für Begleitfahrzeuge ist, weniger Gefahrenpotenzial. „Man kann innerstädtisch viel mehr mit statischen Kameras arbeiten“, sagt der in der DTU für Kampfrichterwesen und Veranstaltungen zuständige Vize.
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Ein wichtiger Unterschied zum Ironman ist zudem, dass auf der Langstrecke Elite- und Jedermann-Feld gemeinsam unterwegs sind. „Bei der WM sind die Elitefelder begrenzt auf eine Gruppe von rund 50 Menschen, die alle auf einem Niveau sind. Und bei den Altersklassen-Rennen gibt es keine Medienbegleitung, da fahren lediglich die Kampfrichter mit. Das entzerrt die Felder und sorgt per se für größere Sicherheit“, sagt Krawczyk. Ähnliches gilt für die Cyclassics am 20. August.
Bleibt also zu hoffen, dass die Lehren aus dem schrecklichen Unfall am 4. Juni dazu führen, dass es künftig Unglücke dieser Art gar nicht mehr aufzuarbeiten gilt.