Hamburg. Jeden Tag ist der 87-Jährige auf seinem Gestüt Idee in Hamburg-Rissen. Zu Besuch an einem Ort, an dem nichts so zugeht wie gedacht.
Vom Brandenburger Tor bis nach Ibiza sind es auf dem Gestüt von Albert Darboven ein paar Minuten. Theoretisch. Praktisch kann der Weg durchaus dauern, nicht so lang wie tatsächlich von Berlin nach Ibiza, klar. Aber zumindest ein paar Minuten mehr, und das ist dann der Fall, wenn man ihn an der Seite des Besitzers bestreitet, wenn man also Albert Darboven begleitet.
Einen Mann von 87 Jahren, der dieses Gestüt groß gemacht hat, der hier Pferde für den Galopp- und Trabrennsport züchtet, die bei den großen Rennen im In- und Ausland mehrere Preise gewonnen haben. Der die Gäste auf seinem Gestüt in Rissen in einer grünen Jacke aus unzähligen verschiedenen Flicken begrüßt. Und der für jedes Pferd, das ihm auf seinem Weg begegnet, einen Moment braucht.
Albert Darboven: Auf seinem Gestüt in Hamburg ist er nur für die Pferde da
Manchmal ist es nur eine kleine Geste, eine Hand, die sich Richtung Gatter streckt oder ein kurzes Nicken mit dem Kopf. Oder es sind Momente, die eine halbe Ewigkeit dauern, weil Albert Darboven dann nicht ansprechbar ist. Weil er dann nur für seine Pferde da ist, sie streichelt, mit ihnen spricht, das Fell krault oder Kopf an Kopf mit ihnen verharrt. Niemand sagt dann ein Wort. Weder die Reporter, die ihn an diesem Tag begleiten. Noch die junge Gestütsleiterin, noch die Pressesprecherin. Es ist dann einfach nur: still.
Alles beginnt an diesem Tag am Brandenburger Tor. Das steht nämlich direkt am Besucherparkplatz und ist ein Kunstwerk von vielen, die Albert Darboven auf seinem Gestüt versammelt hat, eine Art Freilichtgalerie ohne Eintrittshäuschen und Audioguide, voller wunderlicher, mitunter gewaltiger Skulpturen, die in den Himmel ragen oder meterlang über den Boden reichen. Sie bestehen mal aus riesigen, toten Baumstämmen, mal aus Steinen und Metall.
Zu jedem Kunstwerk fällt Albert Darboven eine Geschichte ein
Das Brandenburger Tor steht direkt am Besucherparkplatz. Acht Meter hoch, 6,5 Tonnen schwer, zusammengeschweißt aus 11.017 Hufeisen, rostschutzversiegelt von Blohm+Voss. So erzählt es Albert Darboven.
Zu jedem Kunstwerk erzählt er so eine Geschichte. Zu jedem Kunstwerk fällt ihm eine ein. Vielleicht, weil es für ihn das Beste aus zwei Welten ist – seinem Gestüt und der Kunst. Vielleicht aber auch nur, weil es für ihn nie nur ein Zeitvertreib war. Aber wo sind denn jetzt eigentlich die Pferde?
„Die sind natürlich auf der Weide“, sagt Gestütsleiterin Sabrina Weyl, die man im Stall trifft, wo es still ist und dunkel. Nur ein paar Sonnenstrahlen malen hier und da interessante Muster auf den Boden.
Der Stall liegt in einem Gebäuderiegel, der wie eine Grenze zwischen der Freiluftgalerie und der Welt dahinter wirkt, was man erst im Nachhinein versteht, wenn man hinaustritt aus der Kühle des Stalls und in die Nachmittagssonne blinzelt. Hier beginnt die Welt der Pferde: ein paar kleinere Koppeln direkt zu Beginn, von Bäumen gesäumte Wege, die an ihnen entlangführen. Und dahinter dann irgendwo: Ibiza. Eine naturbelassene Koppel inklusive Sandkuhle, auf der in diesen Tagen vier Mutterstuten mit ihren Fohlen leben und treiben können, was sie möchten.
Albert Darboven erzählt mit Stolz von seinem Hamburger Gestüt
„Das geht bei uns recht früh los mit der Freiluftsaison, schon seit Anfang Mai sind die Stuten auf der Weide, Tag und Nacht“, sagt Sabrina Weyl.
Rund 650 Vollblutzüchter und -züchterinnen gibt es aktuell in Deutschland. Es ist ein überschaubarer Kreis, dem ein elitärer Ruf anhängt, und wer die Nachnamen und Familiengeschichten der Züchter studiert, sieht sich bestätigt: Bankiersfamilien oder Fußballmillionäre stecken dahinter, im Falle von Albert Darboven ist es ein international agierendes Handelsunternehmen, hervorgegangen aus einem Hamburger Kaffeegeschäft.
Worum geht es also auf einem Gestüt wie dem von Albert Darboven? Tatsächlich um viel Geld, wertvolle Pferde und eine Zucht, die sich im besten Fall rentiert? Wenn Albert Darboven über die Anfänge seines Gestüts erzählt, liegt da durchaus ein Hauch von Stolz in den Worten des 87-Jährigen. Seit 1970 gibt es das Gestüt Idee, 40 Hektar im Hamburger Westen, eine weitläufige Anlage mit historischen Gebäuden und Koppeln, Ställen, einer weitläufigen Reithalle und Albert Darbovens Atelier.
Sponsor Albert Darboven stellt immer wieder Derby-Starter
„Das Gestüt Idee liegt in Hamburg, darauf sind wir sehr stolz“, sagt Darboven. Die Störfeuer aus dem Süden Deutschlands sind ihm noch immer präsent. „Lasst in Norddeutschland die Finger von den Rennpferden, Norddeutschland ist doch völlig versandet“, erzählt Albert Darboven von den ersten Kommentaren zum Start seiner Vollblutzucht in den 70er-Jahren. „Aber das war natürlich klar: Jeder wollte am Ende nur das Derby gewinnen.“
Am 2. Juli findet in Hamburg wieder das Deutsche Derby statt, zum inzwischen 154. Mal, die besten dreijährigen Vollblüter Deutschlands gehen dann auf der Horner Rennbahn an den Start. Bis heute ist Albert Darboven mit seiner Marke Idee Kaffee Sponsor der prestigeträchtigen Veranstaltung.
Immer wieder gehen Pferde aus seiner Zucht an den Start. Die vom Hamburger Renn-Club veranstaltete Derbywoche ist der Höhepunkt der deutschen Turf-Saison. Pferderennen stellen eine Auslese für die Vollblutzucht dar: Nur mit den schnellsten und gesündesten Pferden soll gezüchtet werden, befand man einst im britischen Königreich. Durch systematische Selektion auf der Rennbahn entstand dort das Englische Vollblut.
Albert Darboven ist jeden Tag auf seinem Gestüt unterwegs
Insgesamt hat das Gestüt neun Mutterstuten. Derzeit laufen fünf Stuten mit ihren Fohlen auf dem Gestüt Idee, der Hengst Polish Vulcano nicht zu vergessen. Und wie könnte man ihn übergehen! Ein Bild von einem Tier.
Das aufmerksam die Ohren spitzt, als sich Albert Darboven dem Zaun der Koppel nähert und stehen bleibt. Auch Polish Vulcano bleibt in diesem Moment stehen. Kommt angetrabt und stoppt so kurz vor dem Zaun, dass man kurz denkt, er hat sich im Bremsweg verschätzt. Hat er natürlich nicht. Aber da steht er nun und beschnuppert Albert Darboven am Ärmel, seine Nase wandert den Arm hinauf bis zur Schulter, wo er seinen Kopf für einen Moment ruhen lässt.
Jeden Tag ist Albert Darboven vor und nach den Stunden, in denen er das Familienunternehmen J. J. Darboven leitet, auf seinem Gestüt unterwegs, schaut nach den Pferden, repariert ein Stück Zaun oder ein klemmendes Schloss, arbeitet im Atelier an neuen Skulpturen – oder legt sich zu den neugeborenen Fohlen in die Box. Die Zuchtstuten kennen und vertrauen ihm. Dass es so wenige sind, ist eine bewusste Entscheidung.
Im Frühjahr ist auf Albert Darbovens Gestüt besonders viel zu tun
Für Sabrina Weyl, Pferdewirtschaftsmeisterin der Fachrichtung Zucht und Haltung, war genau diese Tatsache ein Grund, sich vor acht Jahren für das Gestüt Idee zu entscheiden. Seit anderthalb Jahren ist sie nun Leiterin. „Wir verbringen so viel Zeit mit den Pferden hier. Wenn die Zuchtstuten nur komisch gucken, dann wissen wir, dass vielleicht etwas nicht stimmt, und reagieren“ erzählt die junge Frau.
Mit 35 Jahren trägt Sabrina Weyl gemeinsam mit ihrem Team die Verantwortung für ein millionenschweres Gestüt. Ihr täglicher Job? Schwer zu beschreiben. Vermutlich irgendetwas zwischen Stallmanagement und Stall ausmisten, zwischen Geburtshilfe und Fohlen großziehen. Wenn im Frühjahr die Wehen bei den Stuten einsetzen, haben sie und ihr Team im Grunde rund um die Uhr zu tun.
Besonders dann, wenn es – wie in diesem Frühjahr – bei der Geburt auch noch zu Komplikationen kommt. Albert Darboven weiß gleich, wovon die Rede ist. Das sei das Fohlen, erzählt er, zu dem er sich in den ersten Tagen fast täglich in die Box gelegt habe.
Nur bei einem Deckhengst traut sich Albert Darboven in die Box
„Polish Vulcano ist der einzige Deckhengst, zu dem ich mich in die Box traue“, sagt Darboven, während er das prachtvolle Pferd an der Stirn krault, das noch immer stillhält wie ein Denkmal. „Ich schätze sein freundliches Wesen. Das ist nicht bei jedem Zuchthengst so.“
Inzwischen hat sich Polish Vulcano umgedreht und lässt sich von seinem Besitzer und Züchter über dem Schweif kraulen, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. „Oh ja, das weiß der Gute ganz genau, dass er hier eine Sonderrolle hat“, sagt Sabrina Weyl, lacht und nickt vielsagend in Richtung Stutenkoppel: „Dass er hier der Einzige ist, der Liebe machen darf und tolle Kinder macht.“
Hier findet der Deckakt noch in echter Zweisamkeit statt
Im Januar fängt für den Deckhengst die Arbeit an – wer denkt, dass das schon irgendwie läuft mit den Stuten, der irrt. Auch Deckhengste müssen sich vorbereiten auf ihre Saison, gehen auf das Laufband, um das zu trainieren, was sie bald ein wenig öfter tun werden: hochsteigen. Zumindest auf dem Gestüt Idee. Denn bei den Vollblütern findet das Decken der Stuten nach wie vor in echter Zweisamkeit statt und nicht per künstlicher Befruchtung.
Am Nachmittag geht es dann für alle nach Ibiza. Auch für die Reporter, die Sabrina Weyl und Albert Darboven anfangs noch zögernd folgen. Vom anderen Ende der Weide kommen die Stuten und Fohlen neugierig näher, und Darboven geht ihnen entgegen und begrüßt jedes Pferd einzeln. Manchmal sieht es aus, als würden zwei liebe Freunde sich begrüßen.
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Plötzlich steht eine rotbraune Stute neben ihm. Der 87-Jährige streicht mit der Innenfläche seiner Hand ihren Hals entlang. Schaut sie an, als würde er fragen: Darf ich? Minuten vergehen. „Das erlebe ich gerade zum ersten Mal“, sagt Albert Darboven, seine Stimme klingt ungläubig. „Die Stute hat mich noch nie an sich herangelassen, sie war immer sehr schüchtern, aber nun begrüßt sie mich und lässt sich streicheln – nach so langer Zeit!“
Sweet Montana heißt die Stute, seit 2015 ist sie auf dem Gestüt Idee. Albert Darboven lächelt. Kaum zu glauben, aber: Damit hatte er nicht gerechnet.