Hamburg. Pia Wilke, Geschäftsführerin der Hamburger Sportjugend, erklärt, warum der Freiwilligendienst im Sport so wichtig ist.

Eine wie sich hätte Pia Wilke gebraucht, als sie vor 13 Jahren nach dem Abitur vor dem stand, was man „den Ernst des Lebens“ nennt. Das soll beileibe nicht überheblich klingen, denn das entspräche ihrem Auftreten null Komma null.

Aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie damals nach der Schule ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) absolviert hätte, wenn sie von dessen Existenz gewusst hätte, ordnet die Geschäftsführerin der Hamburger Sportjugend (HSJ) als „ex­trem hoch“ ein.

Hätte, Wenn und Aber nutzen allerdings nichts, wenn man in Lösungen denkt, was Pia Wilke stets versucht. Und damit die heutige Schülergeneration nicht unwissend ins Berufsleben hinüberschlittern muss, hat die 34-Jährige den Freiwilligendienst im Hamburger Sport als eines ihrer Herzensprojekte auserkoren.

Pia Wilke liebt den Breitensport

„Ich bin selbst im Breitensport groß geworden und habe erlebt, wie schön es ist, mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten, weil sie die Basis unserer Gesellschaft sind“, sagt die frühere Volleyballerin. Als Achtjährige hatte sie in ihrem Stammverein TSG Bergedorf erstmals das Jugendzeltlager besucht – und diese drei Wochen bis zu ihrem 27. Lebensjahr zum festen Bestandteil ihrer Sommerferien gemacht.

Von der Teilnehmerin zur Leiterin – so lernt man von der Pike auf, was es bedeutet, sich freiwillig zu engagieren. Für dieses Engagement versucht Pia Wilke nun andere Menschen zu begeistern. Alle zwölf Monate wird im Zeitraum 1. August bis 1. September der neue Jahrgang auf die Abenteuerreise geschickt.

Dabei wird unterschieden zwischen dem FSJ und dem Bundesfreiwilligendienst (BFD). Das FSJ ist ein Bildungs- und Orientierungsjahr für Menschen bis zum vollendeten 27. Lebensjahr, für die die Sportjugend kraft ihrer Satzung zuständig ist, während der BFD Menschen jeden Alters offensteht.

Aktuell 130 Freiwillige im Hamburger Sport

Von den aktuell 130 Freiwilligendienstleistenden sind 45 im BFD, der Rest absolviert ein FSJ. Für den neuen Zyklus ist die Obergrenze auf 170 Freiwillige festgelegt, „mindestens 150 haben wir uns zum Ziel gesetzt“, sagt Pia Wilke. Das klingt in einer 1,8-Millionen-Einwohner-Stadt wie Hamburg zunächst nicht gerade unerreichbar – ist aber alles andere als ein Selbstgänger.

Seit dem 1. März sind Bewerbungen im Internet unter fwdimsport.de möglich, bislang sind allerdings erst 48 neue Stellen besetzt. Zwar beschäftigen sich viele potenzielle Bewerberinnen und Bewerber erst nach den absolvierten Abiturprüfungen mit ihrer Zukunft, „aber wir wissen, dass wir unsere Angebote noch intensiver bewerben müssen, um den Bedarf an Freiwilligen decken zu können“, sagt Pia Wilke. Deshalb laufen in diesem Monat neue Social-Media-Kampagnen an.

Die HSJ-Geschäftsführerin, die ausgebildete Sport- und Fitnesskauffrau ist, in Hamburg Sport- und Eventmanagement studierte und vor ihrer Amtsübernahme im Januar 2022 beim HSV e. V. in der Amateursportabteilung tätig war, kann erwartungsgemäß druckreif für das Ehrenamt werben.

Dienst dauert sechs bis 18 Monate

„Dieser Dienst ist so wichtig, weil man sich ausprobieren und orientieren kann. Fehler sind ausdrücklich erlaubt, denn das Lernen steht im Vordergrund. Außerdem leistet man einen sehr sinnvollen Beitrag für die Gesellschaft.“ Einen Beitrag, der allerdings Einsatz und Tatkraft erfordert.

In der Regel ist die Tätigkeit auf zwölf Monate angelegt, die Spanne reicht jedoch von mindestens sechs bis maximal 18 Monaten. Eingesetzt werden die Hilfskräfte, die als Qualifikationen die Erfüllung der Schulpflicht und ein makelloses Führungszeugnis vorlegen müssen, vorrangig in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.

„Der Hauptteil der Arbeit soll im sportfachlichen Bereich liegen“, sagt Pia Wilke, „aber man lernt auch die Tätigkeiten in der Verwaltung und Organisation kennen. Die Freiwilligen lernen Schritt für Schritt, Verantwortung zu tragen. Sie sollen gefördert, aber nicht überfordert werden.“

39 Wochenstunden für 306 Euro im Monat

Pro Woche sind 39 Stunden Arbeit zu leisten, es besteht ein Anspruch auf 30 Urlaubstage und die Pflicht, 25 Seminartage abzuleisten, die zur Weiterbildung auf vielen Feldern – vom Trainerschein bis zum Datenverarbeitungskurs – genutzt werden dürfen.

Vergütet wird die Arbeit mit 306 Euro im Monat. Dieser Satz wurde seit zwölf Jahren nicht erhöht, in diesem Jahr soll er auf 340 Euro steigen, was immer noch rund ein Viertel weniger ist als der Satz, der Freiwilligen im Pflegebereich gezahlt wird.

Wenig Geld für viel Einsatz – genau das ist für viele junge Menschen heutzutage ein ziemliches Problem, schließlich ist der Lebensunterhalt in einer Stadt wie Hamburg teuer. „Man muss sich Freiwilligendienst in Hamburg leisten können. Auch deshalb sind nicht nur die Jugendlichen und jungen Menschen bis 27 unsere Zielgruppe, sondern auch deren Eltern, die ihre Kinder finanziell unterstützen müssen“, sagt Pia Wilke.

Vereine tragen die Kosten allein

Es sind allerdings nicht nur die Bewerberinnen und Bewerber, die finanziell über die Runden kommen müssen. Auch für die Vereine, die die Kosten für die Freiwilligen allein tragen müssen, kann deren Beschäftigung durchaus ein Kraftakt sein.

Von den rund 500 der gut 800 Vereine im Bereich des Hamburger Sportbundes (HSB), die eigene Kinder- und Jugendabteilungen haben, sind aktuell 120 als Einsatzstellen gemeldet. Als Arbeitgeber aktiv sind derzeit nur knapp 80 von ihnen. Und das, obwohl die Zahl der in Vereinen Sport treibenden jungen Menschen nach dem Absturz in der Corona-Phase auf ein Allzeithoch gestiegen ist.

„Wir haben 144.000 Mitgliedschaften im Kinder- und Jugendbereich, die Zahl der unter 27-Jährigen in Vereinen liegt bei 204.000. Der Bedarf an Hilfskräften ist also sehr groß“, sagt Pia Wilke. Auch bei den Vereinen, die die Sportjugend bislang noch nicht als Unterstützung nutzen oder gar wahrnehmen, will die Bergedorferin mehr Gehör finden.

Vorbilder wie Mika Sosna sind wichtig

„Die HSJ ist die Interessenvertretung für Kinder und Jugendliche im Hamburger Sport. Wir versuchen, für alle daran Beteiligten beste Rahmenbedingungen zu schaffen“, sagt sie. Hilfreich sind zudem Vorbilder wie Hamburgs größtes Diskuswurftalent Mika­ Sosna (19), der aktuell ein Jahr Freiwilligendienst bei seinem Heimatverein TSG Bergedorf leistet.

„Mein Wunsch ist, dass wir alle gemeinsam daran arbeiten, Kindern und Jugendlichen ein Aufwachsen im Sport zu ermöglichen, weil das unsere Gesellschaft stärkt und ein Stück besser macht“, sagt Pia Wilke. Niemand soll in 15 Jahren sagen müssen, vom Freiwilligendienst nichts gewusst zu haben.