Hamburg. Immer häufiger melden sich Betroffene. Leila Josua, beim Hamburger Sportbund Referentin für Gewaltprävention, erklärt ihre Arbeit.
Der beste Tag ihres Berufslebens wäre der, an dem ihr Job überflüssig wird. Leila Josua sagt diesen Satz mit einem Lächeln, der Hintergrund ihrer Aussage allerdings ist ein ernster. Die 31-Jährige ist beim Hamburger Sportbund (HSB) und der Hamburger Sportjugend (HSJ) Referentin für die Prävention sexualisierter Gewalt und den Schutz vor Gewalt im Sport. Würde sie arbeitslos, bedeutete dies, dass es in den mehr als 850 Vereinen und Verbänden mit rund 500.000 Mitgliedern keine Gewaltvorfälle mehr gäbe. „Das wäre das Optimum“, sagt sie. Die Realität sieht leider ganz anders aus.
Seit Leila Josua, die in Backnang aufwuchs und 2016 zum Studium der internationalen Kriminologie nach Hamburg kam, Anfang 2021 ihre Stelle bei der Sportjugend antrat, haben sich die gemeldeten Fälle von Gewalt jeglicher Art – sexualisiert, verbal, körperlich, psychisch – vervielfacht. Genaue Zahlen, heruntergebrochen auf einzelne Sportarten, möchte sie nicht nennen, dazu ist die Dunkelziffer zu schwierig einzuschätzen und der Schutz der Privatsphäre zu wichtig.
Gewalt im Sport: "Wir bekommen wöchentlich neue Meldungen"
„Aber wir bekommen wöchentlich neue Meldungen, manchmal sind es gar mehrere am Tag“, sagt Leila Josua, die gemeinsam mit der früheren Hamburger Kanupolo-Nationalspielerin Jennifer Niß (32) den Bereich Prävention und Intervention sexualisierter Gewalt betreut.
Ihre Arbeit, die sie in Kooperation mit dem Opferhilfeverein „Zündfunke“ leisten, steht dabei auf drei Säulen: Prävention, also das Angebot eines Schutzkonzepts; Intervention, also das Eingreifen bei gemeldeten Fällen; und Fortbildung, das Schulen von Ansprechpersonen im Nachwuchsleistungssport in Vereinen und Verbänden, aber auch allen anderen Interessierten.
Hemmschwelle, sich zu offenbaren, ist deutlich niedriger geworden
Dass die Häufung der Meldungen darin begründet liegt, dass es tatsächlich mehr Gewalt im Hamburger Sport gibt, bezweifelt Leila Josua. Vielmehr sei angesichts dessen, dass die Thematik durch öffentlichkeitswirksame Fälle wie den der Turnerinnen am Bundesstützpunkt Chemnitz im vergangenen Jahr oder den des Handballtrainers André Fuhr vor einigen Wochen bundesweit mehr Aufmerksamkeit erhält, die Hemmschwelle niedriger geworden, sich einer Vertrauensperson zu offenbaren. Genau darum geht es Josua und Niß mit ihrer Arbeit: Dass Opfer von Gewalt im Sport eine neutrale Anlaufstelle haben, bei der sie sofort Hilfe erhalten.
„Aus Studien wissen wir, dass sich Betroffene im Schnitt viermal anvertrauen müssen, bis sie Hilfe erhalten. Das schreckt viele ab, sich überhaupt zu offenbaren. Deshalb versuchen wir, unser Angebot allen zugänglich zu machen“, sagt Leila Josua, die die Unterstützung durch die Führungsspitzen des HSB und der HSJ als bundesweit vorbildlich erachtet. So ist Hamburg das einzige Bundesland, das die Vergabe von Fördermitteln für Projekte im Kinder- und Jugendsport daran knüpft, dass der antragstellende Verband oder Verein ein Konzept zur Gewaltprävention vorweisen kann.
Externe Beratung immer sinnvoll
Während zu Beginn ihrer Amtszeit deutliche Widerstände gegen das Thema zu spüren waren, erfährt Leila Josua aktuell ein gewachsenes Verständnis für die Notwendigkeit ihrer Arbeit. Rund 500 Mitgliedsvereine haben Sporttreibende unter 18 Jahren gemeldet, 230 unterhalten eigene Kinder- und Jugendsportabteilungen, für die sie Fördermittel beantragen.
220 davon haben Josua und Niß bereits geschult, sodass in der großen Mehrzahl der Vereine Ansprechpersonen zur Verfügung stehen. Dennoch raten die Expertinnen dringend, Gewaltproblematiken nicht intern zu klären, sondern sich immer sofort externe Beratung dazuzuholen. „Neutral und sachlich eine Situation zu beurteilen, das gelingt Externen in den allermeisten Fällen besser“, sagt Leila Josua.
„Wir schützen Betroffene"
Natürlich sei ihr bewusst, dass viele Opfer von Gewalt aus Sorge vor persönlichen Konsequenzen oder Nachteilen für ihr Umfeld schwiegen. „Ringe des Schweigens“, so nennen sie intern die Hüllen, die sich um Betroffene, aber auch Angehörige und Institutionen legen und das Sprechen über erlebte Gewalt erschweren. Gewalterfahrung werde oft auch relativiert, nach dem Motto, dass „es“ schon nicht so schlimm gewesen sein könne.
„Für uns gilt aber der Grundsatz, dass jede Grenzüberschreitung, die ein Mensch als schlimm empfindet, bei uns gemeldet werden kann.“ Wer beim Hilfegesuch anonym bleiben wolle, könne sich auf Vertraulichkeit verlassen. „Wir schützen Betroffene, weihen so wenige Menschen wie nötig ein und achten darauf, dass die Privatsphäre aller Beteiligten gewahrt bleibt, auch die der Beschuldigten“, sagt Leila Josua.
Gewalt im Sport: Finanzielle Ressourcen fehlen
Die größte Schwierigkeit sei weiter das Fehlen finanzieller Ressourcen. Wenn selbst in Fach- und Spitzenverbänden Ehrenamtliche ohne Qualifizierung als Ansprechpersonen abgestellt werden, weil die Mittel für eine feste Stelle nicht da sind, sei das der Sache abträglich, aber „leider die Realität“. Die Contenance zu wahren und sich nicht von Empathie den neutralen Blick auf die bisweilen verstörenden Schilderungen verstellen zu lassen, das gelänge ihr deshalb, weil sie bereits im Studium einen Fokus auf die Seite der Straftäterinnen und -täter gelegt habe.
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Zudem versuche sie, den positiven Charakter ihres Tuns nicht aus den Augen zu verlieren, auch wenn die Gespräche oft bedrückenden Inhalts sind. Und sie hat recht damit, denn auch wenn man sich wünschen muss, dass ihre Aufgabe überflüssig wäre, ist sie wichtiger als je zuvor.
Wer Hilfe benötigt oder sich um andere Sorgen macht, erreicht die Referentinnen telefonisch unter 040-41 90 82 15.