Hamburg. Er ist der Cheftrainer der Hamburger Schwimmer, die sich am Wochenende für die Weltmeisterschaft qualifizieren wollen.
Veith Sieber ist gelernter Steuerfachangestellter, aber damit konnte er nun wirklich nicht rechnen. Dass sein Kollege Enrico Wessoly Vater werden würde, das war einkalkuliert. Aber vier Wochen vor dem errechneten Termin? „Die Übergabe vor seiner Elternzeit war genau geplant, jetzt müssen wir ein bisschen improvisieren“, sagt er in einem Tonfall, der erahnen lässt, dass ihn die verfrühte Geburt emotional nur deshalb aufwühlt, weil er sich mit seinem Büropartner freut.
Sieber, 39 Jahre alt und seit gut zwei Jahren Bundesstützpunkttrainer der Hamburger Schwimmer, weiß ja, was es heißt zu improvisieren. Im Deutschen Schwimm-Verband (DSV), der seit einigen Jahren der Weltspitze weit hinterherkrault, ist Inkonstanz die einzige Konstante. Umso wichtiger also, dass Siebers auffälligstes Charaktermerkmal seine Bärenruhe ist, die sich in seiner unaufgeregten Art zu reden manifestiert. „Veith ist ein sehr angenehmer, ruhiger Typ“, sagt Ingrid Unkelbach, Leiterin des Olympiastützpunkts in Dulsberg. „Besonders hat mich beeindruckt, wie er sich hier hochgearbeitet hat und in seine neuen Rollen hineingewachsen ist.“
Ein Kind des Stützpunkts
Tatsächlich ist der gebürtige Hamburger, der mit Frau und zwei Kindern in Barsbüttel lebt, „ein Kind des Stützpunkts“. 1991 kam er als Elfjähriger in die Förderung, nachdem er sechs Jahre zuvor bei seinem Heimatverein HT 16 mit dem Schwimmen begonnen hatte. In der Jugend zählte er über 100 Meter Schmetterling zur deutschen Spitze, aber als sich sieben Jahre später die Gewissheit durchsetzte, dass Aufwand und Ertrag in einem Missverhältnis zueinander standen, stieg er als Aktiver aus dem Becken, blieb aber als Trainer am Beckenrand.
Dort steht der A-Lizenz-Inhaber, dem zum Diplom-Sportlehrerlehrgang „bislang die Zeit fehlte“, auch heute, als Teamchef eines sieben Mitglieder umfassenden Trainerkollektivs, am liebsten. „Ich versuche, so viel wie möglich mit meinen Sportlern zu interagieren“, sagt er. Er sehe sich nicht als Übungsleiter, sondern als „Lebenshelfer, als Begleiter, der eine Dienstleistung anbietet, um Sportler schneller zu machen“. Sein Führungsstil sei antiautoritär und teamorientiert, man versuche, das bisweilen eintönige „Kacheln-Zählen“ im Training so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten. „Die Zeit des allwissenden Cheftrainers ist vorbei. Ich kann ganz viele Dinge nicht so gut wie andere, und deshalb vertraue ich denen, die es besser können“, sagt er. Ingrid Unkelbach sieht die Fähigkeit, Athleten und Trainer anzuleiten, als Siebers größte Stärke an.
Sieber kann gut Dinge vermitteln
Dinge zu vermitteln, sagt Veith Sieber, liege ihm wohl ganz gut. Die Erfolge, die er als Nachfolger von Petra Wolfram in der Betreuung der Hamburger Schwimmelite vorweisen kann, sprechen für sich – und ihn. Fünf weibliche und neun männliche Athleten im Alter zwischen 15 und 24 Jahren zählen aktuell zu seiner Trainingsgruppe, die in den kommenden zehn Tagen vor richtungweisenden Wettkämpfen steht. An diesem Wochenende in Den Haag (Niederlande) und am kommenden Wochenende in Schwedens Hauptstadt Stockholm sollen die WM-Kandidaten Jacob Heidtmann, Max Nowosad, Rafael Miroslaw, Björn Kammann, Lucie Kühn und Julia Mrozinski die Normen für die Titelkämpfe in Gwangju (Südkorea/21. bis 28. Juli) angreifen. Bis zum Monatsende ist das nationale Qualifikationsfenster geöffnet. „Die WM ist unser Saisonhöhepunkt, natürlich hoffe ich, dass wir mit vielen Athleten vertreten sind“, sagt er.
Auf die Entwicklung Rafael Miroslaws ist Veith Sieber besonders gespannt. Der 17-Jährige, der als Toptalent gilt, hat seine gesamte Karriere auf dem Hamburger Stützpunktsystem aufgebaut. „Er ist ein Modell für unsere Arbeit, an dem ich mich messen lasse“, sagt der Coach, der das Verbundsystem mit der Eliteschule des Sports am Alten Teichweg als optimal empfindet. „Das Schöne in Hamburg ist, dass wir relativ autark arbeiten können, weil wir in den vergangenen Jahren in unseren Konzepten so überzeugend waren, dass man uns machen lässt“, sagt er.
Sieber kennt alle Abläufe
Der Vorteil seines Werdegangs – 2006 wurde er Landestrainer – liegt auf der Hand: Sieber kennt alle Abläufe, und er führt die Arbeit seiner Vorgängerin im gemeinsamen Sinne fort. Das schafft Kontinuität, die Athleten zu schätzen wissen. Kein Wunder also, dass Veith Sieber auf die Frage nach seinen Visionen eine ungewöhnliche Antwort gibt. „Natürlich hätte ich gern mehr Geld, um noch drei zusätzliche Trainer und Fachkräfte für die Administration bezahlen zu können. Aber eigentlich möchte ich einfach nur die Zeit bekommen, so weiterzuarbeiten wie bisher, um die Erfolge einzufahren, die sich gerade andeuten“, sagt er. Wobei er darum bitte, den Begriff Erfolg nicht fehlzudeuten. „Für einen Olympiasieg bräuchten wir mehr Geld und Ausnahmetalente. Aber für vordere Plätze bei großen Meisterschaften haben wir ein Super-Konzept, für das wir allerdings Zeit brauchen“, sagt er.
Zeit, die er und sein Team gern investieren. 60 bis 70 Wochenstunden kommen schnell zusammen, ein normaler Arbeitstag beginnt morgens um 7 Uhr und endet gegen 20.30 Uhr. Dafür könne man den Nachwuchs heute deutlich breiter fördern als vor 15 Jahren. In der Zukunft – und das ist dann doch eine Vision – möchte Veith Sieber sich in Hamburg auf die Kurz- und Mittelstrecken konzentrieren. „Auf der 100- und 200-Meter-Distanz haben wir eine Expertise entwickelt, auf die wir aufbauen wollen. Wir müssen uns spezialisieren und das, was wir können, richtig gut machen, wenn wir den Anschluss an die Weltspitze schaffen wollen“, sagt er.
Andere Erfolgsmodelle zu kopieren ist sinnlos
Sportler zu Trainingslagern ins Ausland zu schicken sei zwar lehrreich, „wir sind für alle Einflüsse offen, aber es bringt nichts, andere Erfolgsmodelle zu kopieren. Wir müssen uns Anleihen holen, aber unser Erfolgssystem selbst erschaffen.“ Und was, wenn es am Ende doch nichts wird mit dem Erfolg? „Dann kann ich in meinen Lehrberuf zurück. Steuern wird es in Deutschland immer geben.“ Damit, das steht fest, kann Veith Sieber ganz sicher rechnen.