Hamburg. Der Hamburger Jakob Heidtmann startet bei den Schwimm-Europameisterschaften in Glasgow in vier Disziplinen.

Wer Jacob Heidtmann lange nicht gesehen hat, stellt Veränderungen an ihm fest. Äußerliche zunächst. Er ist schlanker geworden, die Oberarmmuskeln wirken definierter, sein Gesicht sieht schmaler aus. Vier Kilo habe er, der Durchtrainierte, in den vergangenen Monaten noch mal abgenommen, erzählt er, sein Körperfettanteil sei von 13 auf elf Prozent gesunken. Er fühle sich prächtig, fit für die anstehenden Herausforderungen. Die haben es in sich.

Am heutigen Freitag beginnen im schottischen Glasgow die Schwimm-Europameisterschaften. Der Hamburger Heidtmann (23), bis Olympia 2020 Sprecher der Nationalmannschaft, wurde von Bundestrainer Henning Lambertz gleich für vier Disziplinen nominiert: für zwei Einzelstarts über 200 Meter Freistil (Vorläufe/Halbfinale am Montag, Finale am Dienstag) und 400 Meter Lagen (Vorläufe und Finale am Donnerstag) sowie für die zwei 4 x 200-Meter-Freistilstaffeln (Mixed am Sonnabend, Männer am Sonntag).

Ambitioniertes Programm

„Das ist schon ein ambitioniertes Programm, wenn du viermal ins Finale kommen willst“, sagt er lächelnd. Und genau dies ist die zweite Auffälligkeit. Heidtmann, immer schon Schwiegermutters Liebling, höflich, bescheiden, zuvorkommend, macht einen durch und durch entspannten Eindruck. Das mag seinem dreiwöchigen Trainingstrip im Mai in die USA geschuldet sein, auf dem er vor allem drei Dinge lernte: Sei relaxt! Bleib positiv! Vermeide Stress!

Dabei war er mit fast gegenteiligen Erwartungen auf eigene Kosten, rund 2800 Euro, zu Chefcoach David Marsh nach San Diego (Kalifornien) geflogen. Marsh (61) betreute bei den Olympischen Sommerspielen 2016 in Rio das erfolgreiche US-Damenteam, zuvor in Charlotte (North Carolina) unzählige Weltklasseschwimmer, darunter den sechsmaligen Olympiasieger Ryan Lochte.

Training der Tagesform angepasst

„Das Training in San Diego hat sich im Ablauf und Umfang nicht grundlegend von dem am Hamburger Bundesstützpunkt bei Veith Sieber unterschieden, es war jedoch manchmal individueller und flexibler. Positiv fiel mir auf, dass die Einheiten deiner Tagesform angepasst werden. Bist du gut drauf, machst du eben mehr, bist du schlecht drauf, weniger“, sagt Heidtmann. Die Philosophie dahinter: Spaß haben, keine negative Strömungen zulassen. Von Trainer Marsh wollte Heidtmann eines Tages wissen, wo er sich noch steigern müsse. „Du hast keine Schwächen“, antwortete der. „Du hast aber noch Potenziale.“

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Einen gravierenden Unterschied zum Training im Hamburger Dulsbergbad gab es dann schon. „Du bist mit einigen der besten Schwimmern der Welt im Becken, mit dem Eliteteam, kannst dich mit ihnen messen“, sagt Heidtmann. „Du musst dann alles aus deinem Körper rausholen, um mitzuhalten. Das macht mir riesigen Spaß. Nur so kannst du schließlich dein Leistungsniveau verbessern.“ Auch Eigeninitiative scheint in den USA gefragter als hier.

„Bei uns ist fast alles durchgeplant, dir wird sehr viel abgenommen. Du hast deine Termine, bei der Physiotherapie, bei den Ärzten. In San Diego erhielt ich ein paar Zettel mit Adressen, wo ich hingehen könne. Den Rest musste ich selbst organisieren“, erzählt Heidtmann. Wie er das fand? „Anfangs anstrengend, aber daraus erwächst auch Selbstbewusstsein, dass du alles schaffst, was du dir vornimmst.“

Form schwer einzuschätzen

Für die EM in Glasgow hat sich der Student der Sozialökonomie außer vier Finalteilnahmen nichts Konkretes vorgenommen. Nach einem eher passiven nacholympischen Jahr 2017, das er zum Studieren nutzte, und neuen Schwerpunkten im Training – mehr Kraft, weniger Kilometer im Wasser –, kann er seine Form schwer einschätzen.

Über 200 Meter Freistil, persönliche Bestzeit, im April aufgestellt: 1:47,29 Minuten, wird er als derzeit schnellster Deutscher auf Platz elf der europäischen Jahresbestenliste geführt, über seinen Paradestrecke 400 Meter Lagen als Achter. Schwimmt er an seinen nationalen Rekord (4:12,08 Minuten) heran, wäre eine Medaille wohl möglich. 2015 wurde er bei der WM im russischen Kasan mit dieser Zeit Fünfter, sein bisher größter Erfolg.

Höhere Geschwindigkeit

Mehr Kraft bringt Heidtmann dieses Jahr auf jeden Fall ins Wasser. „Kraft ist unser neuer Trainingsschwerpunkt“, sagt er. Bei seinem Freund und Trainingskollegen Ramon Klenz (20), zweiter Hamburger bei der EM, hat das bereits zu Ergebnissen geführt. Bei den deutschen Meisterschaften in Berlin verbesserte Klenz den 32 Jahren alten deutschen Rekord des Olympiasiegers Michael Groß (54) über 200 Meter Schmetterling.

„Mit mehr Kraft hast du gleich am Anfang eine höhere Geschwindigkeit für das ganze Rennen. Am Ende, wenn die Muskeln übersäuern, darfst du nur nicht sterben. Da musst du kämpfen, das tut verdammt weh“, weiß Heidtmann. „Aber das ist nun mal Hochleistungssport.“